© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/00 29. September 2000

 
Wenigstens die Flüsse beginnen wieder zu leben
Umweltschutz: Das Ende der DDR war auch ökologisch ein Weg zur Vernunft
Volker Kempf

In den "realsozialistischen" Ländern wurde jahrzehntelang behauptet, daß nur der Kapitalismus wegen seines Profitstrebens zur Umweltzerstörung verleite. Der Club of Rome, der 1973 mit der Studie "Die Grenzen des Wachstums" aufwartete, wurde in DDR-Zeitungen als Klub der Ratlosigkeit dargestellt.

Den kapitalistischen Ländern wurde die Änderung der Produktionsverhältnisse nach Vorbild der DDR als die Alternative empfohlen. Durch die Rotbrille betrachtet, konnte es im Sozialismus keine Umweltzerstörung geben. In der SED-Zeitung Neues Deutschland wurde beispielsweise am 30. August 1984 berichtet, wie Werktätige bei einem Rundflug im Bezirk Suhl angeblich sehen konnten, wie ein "guter Wald herangewachsen" war. Dabei war gerade dort das Waldsterben unübersehbar. So machten sich kirchliche Umweltgruppen daran, Umweltzerstörung in der DDR zur Sprache zu bringen. Der Aufbau von Umweltbibliotheken wurde begonnen. Doch alle Umweltinitiativen wurden von der Stasi mit Argus-Augen beobachtet, ihre Mitstreiter verfolgt und des Landes verwiesen. Ein prominentes Fallbeispiel für dieses Prozedere ist Rudolf Bahro. Der hatte in der damaligen DDR sowohl das Gesellschaftssystem kritisiert wie auch den ökologischen Umbau gefordert. Er wurde zu einer langen Haftstrafe verurteilt, wobei der fingierte Grund herhalten mußte, daß sein im Westteil Deutschlands veröffentlichtes Buch "Die Alternative" Staatsgeheimnisse verrate.

Vertreter der DDR folgten der Marxistischen Doktrin, wonach der Kapitalismus zwangsläufig untergehen und den Sozialismus hervorbringen werde. Da hierfür aber keinerlei Anzeichen vorlagen, bot sich die Umweltzerstörung als Krisensymptom des Kapitalismus an. Dazu mußte man allerdings die Augen vor der Umweltzerstörung in den sozialistischen Ländern verschließen. Auch Neomarxisten in der Bundesrepublik Deutschland stimmten in diese Sichtweise ein, legten sogar Steilvorlagen für den Durchbruch dieser Lesart der Zustände vor. Der Sozialphilosoph Jürgen Habermas schrieb bereits 1973 von der Umweltzerstörung als einem der "Legitimationsprobleme des Spätkapitalismus". Der Kapitalismus sei unfähig, auf Umweltzerstörung zu reagieren, während der Sozialismus dank seiner Planwirtschaft die heile Welt schaffen könne.

Als dann 1989 die Mauer fiel, sahen nicht nur DDR-Politiker, sondern auch westdeutsche Intellektuelle, besonders neomarxistische Soziologen, Politologen und Sozialphilosophen alt aus. Die Elbe war ein totes Gewässer. Die Verbrennung der Braunkohle bei schlechter oder nicht vorhandener Filtertechnik hatte Wälder absterben lassen, Häuser wurden verdreckt und die Gesundheit der Bevölkerung beeinträchtigt. Geringe Produktivkraft bei hoher Umweltzerstörung lautete die Ineffizienzformel der DDR-Wirtschaft. Doch diejenigen, die sich so fundamental geirrt haben beziehungsweise die Realität nicht sehen wollten, sondern sozialistische Tagträumereien vom Paradies auf Erden vorlegten, tun sich noch heute, zehn Jahre nach dem Mauerfall als besonders erhabene moralische Instanz hervor. Das hat kürzlich erst die Habermas-Sloterdijk-Kontroverse vor Augen geführt. Wo bleibt nach zehn Jahren Einheit, das heißt nach zehn Jahren Zusammenbruch des DDR-Sozialismus, die längst überfällige Legitimationskrise der Neomarxisten in der Bundesrepublik Deutschland? Solange hier kein Bruch vollzogen wird, ein Leitmedium wie das Wochenblatt Die Zeit Habermas als zukunftsweisenden Denker mitunter sogar auf der Titelseite präsentiert, solange kann man vom heutigen Deutschland nicht als einer wirklich neuen Republik, nämlich der "Berliner Republik" reden, sondern eher schon von einer DDR-light.

Wenigstens in ökologischen Fragen ging man nach der Wiedervereinigung Deutschlands den Weg der Vernunft, stellte die Braunkohleverfeuerung ein, Filtertechniken setzten sich durch, und Kläranlagen halten heute die Flüsse sauber. Wirtschaftswachstum in der Marktwirtschaft hat die Umweltzerstörung nicht beseitigen, aber doch ihre augenscheinlichsten Erscheinungen angehen können. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Wachstum von Bevölkerung und Produktion systemübergreifend zu Problemen führt. Der Energieverbrauch steigt mit dem Wirtschaftswachstum an, ebenso mit steigender Bevölkerungszahl. Unterdessen schwinden Wildnis und Artenreichtum, fruchtbare Erde wird versiegelt. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gibt es ein großes nationales Naturerbe, das mangels wirtschaftlicher Expansion noch heute besteht, aber scheibchenweise aufgebraucht zu werden droht.


 
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