© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/00 29. September 2000

 
"Das war’s dann"
CDU: In einem neuen Buch rechnet Wolfgang Schäuble mit seinem langjährigen Mentor Helmut Kohl ab / Kritik an Parteichefin Merkel
Paul Rosen

Im letzten Jahr, der Bonner Bundestag war noch nicht in Berlin angekommen, hatten sie im Reichstag noch schnell etwas umgebaut. Eine Kleinigkeit, gewiß. Aber ein Jahr später wird deutlich, welche Dimension der Umbau hatte. Techniker schraubten den Stuhl des Kanzlers wieder ab. Die Neuinstallation ist jetzt so ausgerichtet, daß der Sitz jederzeit – ohne Löcher im Boden zu hinterlassen – entfernt werden kann, damit auch ein Rollstuhlfahrer auf den Platz des Regierungschefs gelangen kann. Das wäre Wolfgang Schäuble gewesen, dem im letzten Jahr als CDU-Chef ein furioser Start mit Wahlsiegen in Serie gelungen war. Die Ablösung der rot-grünen Pleiten-Pech-und-Pannen-Koalition schien in greifbare Nähe gerückt zu sein. Doch dann kam die Spendenaffäre, und jetzt kommt die Abrechnung per Buch vom einstigen CDU-Chef Schäuble.

Schäuble ist so tief gestürzt wie vor ihm kein zweiter. Diesen Sturz hat er innerlich nie verwunden. Wen er dafür verantwortlich macht, ist seinem Buch "Mitten im Leben", mit dem er das offizielle CDU-Parteimotto aufgreift, an mehreren Passagen zu entnehmen. So schreibt er über seinen Vorgänger Helmut Kohl, er – Schäuble – habe viel zu spät begriffen, daß ein "intrigantes Spiel gegen mich gespielt wurde". Natürlich hatte Altkanzler Kohl versucht, aus seiner Position als Ehrenvorsitzender der CDU heraus die Partei wie früher zu regieren. Kohls altgediente Mannen in der Bonner Parteizentrale fragten erst ihren Ex-Chef, ehe sie zu Schäuble gingen.

Aber Schäuble machte als Nachfolger des Übervaters der Christenunion auch Fehler. So wollte die damalige Generalsekretärin Angela Merkel Kohls Weigerung, die Namen der anonymen Spender zu nennen, zu einer öffentlichen Attacke nutzen. Sie verfaßte einen Namensartikel für die FAZ, der am 22. Dezember 1999 auch erschien. Doch obwohl Schäuble den Text vorher gelesen hatte, ließ er auf einer Pressekonferenz kurze Zeit später seine Generalsekretärin im Regen stehen.

Und es darf nicht vergessen werden, daß Schäuble selbst den Erhalt einer Spende in Höhe von 100.000 Mark des nach Kanada geflüchteten bayerischen Waffenhändlers Schreiber zunächst leugnete. Er habe Schreiber nur einmal gesehen, sagte Schäuble im Dezember im Bundestag: "Das war’s." Doch das war es eben nicht. In der Folge verwickelte sich Schäuble immer tiefer in Widersprüche. Die frühere Schatzmeisterin Brigitte Baumeister behauptet sogar, sie habe von Schreiber das Geld in Bayern erhalten und dann an Schäuble weitergereicht, während Schäuble sagt, er habe das Geld von Schreiber direkt erhalten. Da Frau Baumeister wiedersprüchliche Versionen über die angeblich an sie erfolgte Geldübergabe lieferte, überstand Schäuble die Angriffe im Spenden-Ausschuß bisher ganz gut.

Doch den Posten des CDU-Chefs verlor er; im Januar mußte er seinen Rücktritt ankündigen. Der öffentliche Druck war zu groß geworden.

Es war am 18. Januar dieses Jahres, einem höchst spannungsgeladenen Tag in Berlin. Morgens trafen sich Kohl und Schäuble. Schäuble forderte erneut, daß der Altkanzler die Namen der Spender auf den Tisch lege. Die Partei werde ohne Preisgabe der Namen noch tiefer in die Krise stürzen. "Trittst Du zurück?" soll Kohl nur gefragt haben. Dem Oggersheimer war längst klar, daß die Spendenaffäre sich auf Schäubles 100.000 Mark konzentriert hatte, und er soll dies dem CDU-Chef auch deutlich gesagt haben. "Es war ein selbstzerstörerische Auseinandersetzung – und da war ich nicht geeignet", schreibt Schäuble über seinen Krach mit Kohl, dem er gesagt haben will: "Ich habe wohl schon zu viel meiner knapp bemessenen Lebenszeit mit Dir verbracht."

Schäuble trat zurück, Kohl hatte seinen Ehrenvorsitz verloren – selbstzerstörerisch war die Auseinandersetzung für beide Politiker. Eine Versöhnung lehnt Wolfgang Schäuble jedoch ab: Es gebe persönliche Dinge, wo es "besser ist, man sagt, das war‘s dann". Daß das Verhältnis völlig zerstört ist, läßt sich auch aus dem folgenden Satz aus Schäubles Buch schließen: Kohl habe auch nie eine Sekunde daran gedacht, "der Loyalität gegenüber der Partei und gegenüber seinem Nachfolger den Vorrang gegenüber eigener Betroffenheit" einzuräumen.

Doch das war’s dann eben wieder nicht. Inzwischen hängt Frau Merkel als neue CDU-Chefin in dem Konflikt ihrer beiden Vorgänger drin. Denn sie will das Schäuble-Buch am 5. Oktober in Berlin der Öffentlichkeit präsentieren. Das deutet auf eine Annäherung zwischen Frau Merkel und Schäuble hin, die bereits vor einigen Wochen in Berlin eine gemeinsame Pressekonferenz zum Thema zehn Jahre Beitritt der DDR zur Bundesrepublik gaben. Je stärker Kohl in den letzten Wochen wieder wurde (so hat sich ein großer Teil der Fraktion mit ihm wieder solidarisiert), desto enger schließen sich offenbar seine schwächer werdenden Gegner wieder zusammen. Der Zusammenhalt der Union ist so fest nicht, wie es scheint. Der 14. Juli dieses Jahres war ein markantes Datum. Seitdem damals im Bundesrat die Front der CDU gegen Gerhard Schröders Steuerreform ziemlich blamabel zusammenbrach, ist auch dem letzten im CDU-Vorstand klar geworden, daß mit dieser demotiverten Truppe die Bundestagswahl nicht zu gewinnen ist.

Schon lauert im Hintergrund der hessische CDU-Vorsitzende Roland Koch, um den Vorsitz von Frau Merkel zu übernehmen. Sollte Koch die Auswirkungen der hessischen Spendenaffäre überstehen, dürfte er nach einiger Zeit Anspruch auf den Vorsitz der Bundespartei anmelden. Es ist eigentlich nur die Frage, ob Koch dies vor der Bundestagswahl 2002 tun wird oder erst kurz danach. Wichtig für den Hessen: Er ist der Wunschnachfolger für Helmut Kohl.

Damit wird die politische Dimension deutlich. Schon brachte Kohl seine Truppen in Stellung. Der Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer warnte Frau Merkel, das Schäuble-Buch vorzustellen. Was bisher bekannt sei, gebe "hinreichend Anlaß für die Vermutung, daß mit diesem Buch notwendige Heilungsprozesse nicht nur hinausgezögert werden, sondern wieder einmal Zwietracht gesät wird". Mit der Buchvorstellung gehe die Vorsitzende ein "Schadensrisiko zu Lasten der CDU" ein.

Frau Merkel habe aber "auf absehbare Zeit als vordringliche Aufgabe, zusammenzuführen und zusammenzuhalten". Schon vor einem Monat hatte sich Kohl-Freund Wimmer mit einem Brief an den stellvertretenden CDU-Chef und Merkel-Vertrauten Christian Wulff zu Wort gemeldet. Wulff hatte behauptet, es dürfe im Verhältnis zu Kohl keine Politik des "Schwamm drüber" geben. Wimmer griff Wulff scharf an. Gemeint war aber eigentlich Frau Merkel, die sich geweigert hatte, dem von SPD und Grünen sehr stark attackierten Kohl hundertprozentigen Ehrenschutz zu geben. Wulff und Merkel hat das Taktieren gegenüber Kohl viele Sympathien gekostet.

Interessant ist eine Formulierung in Wimmers Brief an Merkel, die in der Öffentlichkeit nicht so stark beachtet wurde. Frau Merkel solle sich entscheiden, ob sie das Buch nun vorstelle oder nicht. Sie habe die "Wahl zwischen Versöhnen und Spalten". Da ist er wieder zu sehen, der Spaltpilz in der Christenunion, den viele seit der Wahl von Frau Merkel erfolgreich bekämpft wähnten. Doch hatte auch Fraktionschef Friedrich Merz in einer der ersten Sitzungen der CDU/CSU nach der Sommerpause gewarnt, die Statik der deutschen Parteienlandschaft sei so stabil nicht – und damit gewiß nicht die SPD gemeint. Es gärt in der CDU.


 
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