© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/00 29. September 2000

 
Ein General unter Feuer
Brandenburg: Bundestagspräsident Thierse und Bischof Huber erheben unberechtigte Vorwürfe gegen Schönbohm
Steffen Königer

In Brandenburg ist seit dem vergangenen Jahr in der Öffentlichkeit mehr und mehr von einem Politiker die Rede: Innenminister Jörg Schöhnbohm. Kannte ihn drei Monate vor der Landtagswahl im Land des "roten Adlers" Stolpe noch niemand, so hat sich dies grundlegend geändert. Von einem geschaßten General war die Rede, der es wohl nie schaffen würde, die gründlich auf eine Sandbank gelaufene Brandenburger CDU wieder flottzumachen. Das Ergebnis war jedoch ein anderes: Die CDU ist seit einem Jahr der Koalitionspartner der SPD in der Regierung. Der neue Innenminister Jörg Schönbohm stellte in der letzten Meinungsumfrage der Potsdamer Neuesten Nachrichten vom 30. August (dort bekommen Politiker Noten von Lesern der Zeitung) einen neuen Rekord für CDU-Politiker in Brandenburg auf: Platz zwölf auf der Beliebtheitsskala! Das ist sogar besser als der letzte beliebte Unions-Mann Peter-Michael Diestel.

Das mehr oder minder erfolgreiche Handeln dieser Koalition und der "Verursacher" des Aufwindes für die Christdemokraten in Brandenburg scheint aber nicht nur der rot-rot favorisierenden Regine Hildebrand ein großer Dorn im Auge zu sein – selbst der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse scheint keine Gelegenheit auszulassen, um dem Innenminister Schönbohm Knüppel zwischen die Beine werfen zu können. Am 28. Juli hatte er bereits einen offenen Brief an Schönbohm gerichtet, in welchem er ihn schärfstens wegen einer Abschiebung angriff. Im dort angesprochenen Fall ist vom Asylbewerber Khaled Bensaha die Rede, der auch mit im Februar 1999 in Guben angegriffen wurde und ein Trauma erlitten hätte. Der 27jährige Algerier war ein Freund des zu Tode gehetzten Omar Ben Noui, sein Asylantrag wurde bereits 1997 negativ beschieden. Damit ist Besaha im Besitz einer Aufenthaltgestattung, bis über seine Klage entschieden ist.

Im Dezember 1999 wandte sich die Anwältin an das Innenministerium mit der Bitte, ihrem Mandanten eine Aufenthaltsbefugnis zu gewähren, da nur so das Trauma zu therapieren sei. Das Innenministerium verwies auf eine Entscheidung des Berliner Oberverwaltungsgerichtes, nach der die Behandlung eines Traumas nicht von der Erteilung einer Aufenthaltbefugnis abhängig sei.

Thierse ignorierte dies. In seinem Brief heißt es: "Die Bemühungen ... werden, wie ich höre, auch von Ihnen nicht unterstützt." Er hatte sich nicht informiert, von wem die Auffassung kam, man müsse Asylbewerber nicht dort Aufenthalt gewähren, wo sie traumatisiert wurden. Anstatt sich beim Innenminister über die näheren Umstände zu informieren, glaubte er der Darstellung der Anwältin des Asylbewerbers. Thierse warf deutschen Regierungstellen vor, rechtsextremistische und rassistische Vorfälle nicht nur hinzunehmen, sondern sogar zu nutzen. Anscheinend hat der zweithöchste Repräsentant Deutschlands den Zweck seines Amtes nicht begriffen. Parteiunabhängig, wie es das Grundgesetz für dieses Amt fordert, sind diese Handlungsweisen jedenfalls nicht zu nennen.

Nachdem die Abgeordneten des Bundestages, Vera Lengsfeld und Marie-Luise Dött, einen offenen Brief an Wolfgang Thierse richteten, indem sie ihn zu einer Entschuldigung bei Schönbohm auffordern, beschäftigt sich nun der Ältestenrat des Bundestages mit diesem Fall. Besonders fatal: Zuständig für den gesamten Vorgang der Erteilung des Bleiberechts ist der SPD-Oberbürgermeister der Stadt Potsdam, "Oderheld" Matthias Platzeck.

Doch nicht nur von parlamentarischer Seite wird fleißig die Rassismuskeule geschwungen. Noch haaresträubender ist die Angelegenheit, weswegen sich die Kirche eingeschaltet hat, in Person von Wolfgang Huber, dem Bischof von Berlin-Brandenburg. Er warf dem Innenminister vor, Grund- und Menschenrechte und den Schutz von Familie und Ehe zu verweigern. Was war dort geschehen? Der Bischof setzte sich für eine vietnamesische Familie ein, die sich momentan im Kirchenasyl befindet. Doch muß die Geschichte von ganz vorn erzählt werden. Das Ehepaar reiste im November 1990 illegal über die CSSR nach Brandenburg ein. Im Mai 1991 wurde der Asylantrag abgelehnt, denn beide waren in der CSSR als Vertragsarbeiter tätig. Im Januar 1992 wurden sie dann zur Ausreise aufgefordert, was jedoch bis heute nicht erfolgt ist. Im Mai 1992 beantragten beide für den zwei Monate (!) alten Sohn Asyl, was im Februar 1993 ebenfalls verweigert wurde. Nun ist die Familie seit Januar 2000 zur Rückführung vorgesehen, und derTermin wurde auf den 23. Mai verschoben, da der Sohn plötzlich erkrankte. Als am 22. Mai die Flugtauglichkeit des Sohnes untersucht werden sollte, hieß es, die Frau sei schwanger, der Anwalt stellte Antrag auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz, am selben Tag wurde entschieden, daß die Frau bis einen Monat nach der Geburt nicht abgeschoben werden soll. Vater und Sohn begaben sich jedoch schon einen Tag zuvor ins Kirchenasyl. Am 21. Juni schließlich wurde die amtsgerichtliche Sicherungshaft des Vaters verfügt, jedoch auf die Initiative Jörg Schöhnbohms nicht gegen die Räume der Kirche durchgesetzt.

Kann der Bundestagspräsident ernsthaft gegen einen Minister Rassismusvorwürfe erheben, der sich nur um die Vermeidung des Asylmißbrauches verdient macht, um so eine Pauschaldiskriminierung derer zu vermeiden, die Hilfe wirklich nötig haben?

 

Zahlenspiegel

Bis zum 30. Juni 1999 wurden in Brandenburg 10.467 Asylbewerber gezählt, 944 mehr als 1998. Abnehmend hingegen ist die Höhe aller Sozialleistung an Asylbewerber, 1996 wurden 86 Millionen ausgegeben, 1999 waren es ca. 75 Millionen. In den ersten sieben Monaten 2000 wurden in Brandenburg insgesamt 874 Ausländer abgeschoben. Der Bundesgrenzschutz registrierte 2.177 illegale Grenzübertritte.

Quelle: LDS Brandenburg, Bundesgrenzschutz


 
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