© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/00 22. September 2000

 
Ursprung und Genese der totalitären Demokratie
Der Politikwissenschaftler Klaus Hornung erinnert an den Ideenhistoriker Jacob L. Talmon
Irene Casparius

Mit welchen Widerständen die Nationalsozialismus, Faschismus und Sowjetsystem vergleichende, vornehmlich im angelsächsischen Raum entwickelte und bis Mitte der fünfziger Jahre voll ausgebildete "Totalitarismustheorie" hierzulande immer noch zu rechnen hat, belegt die in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft veröffentlichte, weitverbreitete kleine Übersicht des Berliner Historikers Wolfgang Wippermann ("Totalitarismustheorien. Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute", Darmstadt 1997). Wippermann, wohl auch aufgrund enttäuschter Karrierehoffnungen verbittert bekennender "Anti"- (Faschist, Rassist und Sexist) fertigt darin etwa , im Banne Daniel J. Goldhagens, Hannah Arendts Deutung der totalitären Herrschaft als inakzeptable Gleichsetzung von "Kommunismus und (nationalsozialistischem) Rassismus" ab. Solche panische Furcht vor "deutsche Schuld" unangemessen "relativierenden Vergleichen" klingt noch in der gereizten Auslassung Franzsika Augsteins durch, die jüngst monierte, daß das 1993 gegründete Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung "die DDR und das Nazi-Regime nebeneinandergestellt" habe, wo doch ein Grande der "NS-Bewältigung" wie Hans Mommsen längst dekretiert hat, er verspreche sich "keinen besonderen Erkenntnisgewinn von dem Vergleich" (FAZ vom 16. September). Solche NS-Fixierung hat die westdeutsche Rezeption der Totalitarismustheorie bis heute behindert. Wenn der Stuttgarter Politikwissenschaftler Klaus Hornung darum jetzt an den anglojüdischen Ideenhistoriker Jacob L. Talmon (1916– 1982), einen ihrer Protagonisten, erinnert (Zeitschrift für Politik, Heft 2/00), so mutet dies fast wie eine Neuentdeckung an.

Unter dem Eindruck von Stalins "großen Säuberung" hatte sich Talmon schon als Student in Polen mit den Parallelen zwischen jakobinischer Schreckensherrschaft und den Moskauer Schauprozessen befaßt. Im englischen Exil, als Schüler von Edward Hallet Carr und Lewis Namier, dezidierten Kritikern der "großen Erzählungen", formulierte Talmon sein Konzept der "totalitären Demokratie", deren Ursprünge er bereits in der Philosophie der Aufklärung, speziell in der Gesellschaftslehre Jean-Jacques Rousseaus ausmacht und die er in seinem dreibändigen Werk "The Origins of Totalitarian Democracy" (1952–1980) bis in die Diktatur-Ideologien des 20. Jahrhunderts hinein verfolgt. Unsere Lage charakterisiert der Umstand, daß der dritte Band über die "Nemesis des politischen Messianismus" nie ins Deutsche übersetzt worden ist.


 
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