© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/00 22. September 2000


Ein neuer Einstieg in den Ausstieg
Verteidigungspolitik: Die FDP beschließt auf ihrem Parteitag in Berlin die Aussetzung der Wehrpflicht
Magnus Freitag

Mehr gelangweilt als tatsächlich interessiert räkelt sich Jürgen Mölle-mann auf zwei Stühlen oben auf der Tribüne des FDP-Präsidiums herum, während um ihn herum leidenschaftlich über die Zukunft der Bundeswehr diskutiert wird.

Während der Forumsdiskussion mit Befürwortern der Wehrpflicht, Christoph Bertram von der Stiftung Wissenschaft und Politik und Admiral a.D. Dieter Wellershoff, sowie ihren Gegnern, dem Botschafter Klaus Peter Klaiber sowie Peter Steinbach als Mitglied der Weizsäcker-Kommission verschwindet "Mister 18-Prozent" der Liberalen ins Foyer, wo er den Mikrofonen von Journalisten verrät, daß er durchaus "Lust dazu" hätte, als Kanzlerkandidat der FDP in den nächsten Bundestagswahlkampf zu starten. Das Wahlkampfthema hat er schon, verkündet er. Man müsse vor den Schulen demonstrieren, daß die FDP für die Freiheit sei, vom Wehrdienst nämlich.

Die Frage nach der Freiheit wovon oder der Freiheit wozu wird im Palais des Berliner Messezentrums nicht mehr gestellt. Das Argument des parlamentarischen Geschäftsführers der FDP-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen, daß Freiheit und Verantwortung zwei Seiten einer Medaille sind, quittierten die Delegierten zwar mit ausreichendem Applaus. Aber netter, weil ohne persönliche Konsequenzen fanden sie dann doch den Vorschlag des stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Jungen Liberalen, Rudolf Hielscher, die Wehrpflicht besser ganz abzuschaffen. Die Jugendorganisation der FDP hatte sich für die Abschaffung der Wehrpflicht mächtig ins Zeug gelegt. So sah man auf dem Parteitag Mitglieder der Jungen Liberalen mit weißen Blouson und der Aufschrift "Null Bock auf Pflicht" herumlaufen. Das habe nichts mit einem Werteverfall zu tun, erklärte Rudolf Hielscher, sondern vielmehr damit, daß sich Werte ändern. Gesellschaftliches Engagement sei wichtig, auch für die junge Generation, aber bitte freiwillig. Nach diesen Argumenten waren die Worte des Admirals a.D. Dieter Wellershoff schnell vergessen.

Von mißverstandener Liberalität sprach er, davon daß die Grundwehrpflicht keinesfalls ein Freiheitsentzug sei, wie Richard von Weizsäcker es früher einmal formulierte, und von den neuen Bedrohungen durch internationalen Terrorismus, nicht zuletzt in Form von immer leistungsfähigeren Langstreckenraketen.

Letztlich hat die herrschende Parteilinke auf dem Sonderparteitag der FDP einen weiteren Sieg errungen, als die Delegierten mit einer Mehrheit von 60 Prozent für die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht stimmten. "Das ist wie bei einer Schwangerschaftsunterbrechung – die wird auch nicht fortgesetzt", warf einer der Delegierten ein, womit die Mehrheit auch nicht mehr überzeugt wurde.

So werden Deutschlands Liberale zur dritten parlamentarischen Kraft, die sich gegen die Wehrpflichtarmee positioniert. Jürgen Möllemann und die Jungen Liberalen gingen als klare Sieger im parteiinternen Streit der Liberalen hervor.

Möllemann erreichte ein Einschwenken Wolfgang Gerhardts, der sich noch bis vor wenigen Wochen als Verteidiger der Wehrpflichtarmee verstand, auf die Linie der Gegner. Das Lob des kleinen Mannes an Gerhardt, seine Entscheidung sei "politisch klug", ist eine Bankrotterklärung an die Führungsrolle Gerhardts, der mit jeder anderen Position gezeigt hätte, daß er den Kurs der Liberalen nicht mehr bestimmen kann. Die Riege der altgedienten Liberalen, angefangen von Otto Graf Lambsdorff, Friedrich Genscher, Klaus Kinkel und auch Herrmann Otto Solms, die alle an der allgemeinen Wehrpflicht gerade aus liberalen Gründen festhalten – nämlich um eine Armee in der Gesellschaft integriert zu wissen – sind entmachtet, zumindest solange, wie der von Möllemann praktizierte Populismus und Gefälligkeitsliberalismus für Wahlerfolge sorgt.

Am Rande des Parteitages sammelten sich Mitglieder des neu in den Reihen der Liberalen gegründeten "Rheinischen Kreises", der sich als Sprachrohr der in der FDP verstummten konservativen und bürgerlichen Kräfte sieht und bewußt die Gegenposition zum FDP-linken Freiburger Kreis einnimmt. Dort wurde die Entscheidung der Delegiertenversammlung kritisiert und festgestellt, daß eine große Zahl von Parteimitgliedern, die jedoch nicht delegiert seien, andere Positionen verträten.

Inzwischen wurde der Beschluß der FDP in weiten Teilen von Union und SPD kritisiert. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Friedrich Merz, sprach von einem "großen gesellschaftspolitischen, aber auch sicherheitspolitischen Fehler der FDP". Mit der Abschaffung der Wehrpflicht verändere sich das Gesicht der Bundeswehr vollständig.

Als parteiinternes Machtspiel kritisierte der verteidigungspolitische Sprecher der CDU, Paul Breuer, den Beschluß zur Wehrpflicht. FDP-Chef Gerhardt habe aus Opportunismus eine liberale Idee geopfert. SPD-Verteidigungsexperte Opel nannte den Beschluß "realitätsfern und nicht durchdacht". Vielmehr ziele die FDP auf populistischen Stimmenfang, denn bei der FDP bleibe völlig unklar, woher sie das Personal für eine reine Freiwilligenarmee nehmen wolle.


 
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