© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/00 15. September 2000

 
Olympia 2000: Nicht nur den deutschen Athleten droht der Absturz
Blech statt Bronze, Silber und Gold
Jutta Winckler

Eins plus eins macht nicht immer und überall zwei. Als 1988 zwei deutsche Olympia-Aufgebote nach Korea reisten, um sich "in friedlichem Kampf mit der Jugend der Welt zu messen" (so P. de Coubertin, Olympia-Neubegründer des Jahres 1896 zur Idee des Ganzen), war der Triumph ein vollständiger. Die DDR, leistungssportlich eine Art Sparta im märkischen Sand, räumte mehr als hundert Medaillen ab; die Westdeutschen schafften immerhin vierzig. Macht zusammen einhundertvierzig, womit die Teutonen sowohl die USA wie die UdSSR um Längen hinter sich gelassen hatte.

Etwa um die gleiche Zeit, da die Spiele von Seoul ihren olympischen Gang gingen, müssen sich jene beiden tonfüßigen Giganten bezüglich ihres militärischen Besatzungsgebietes auf "Wiedervereinigung" verständigt haben. Freilich auf Kohlsche Manier, auf jene Treuhand-, Abwicklungs- und Ausverkaufs-Vereinigung, bei der Adam Riese hätte lernen können, wie aus eins plus eins null werden kann. Auch im Leistungssport. Denn nach zehn Jahren DDR-Verwesung (im kameralistischen Sinn) ist die leistungssportliche Spitzenposition Mitteldeutschlands ruiniert. Der rheinische Mammonismus, unter Ex-Advokat Schröder ins Liebesparaden-Berlin der Diepgen und Thierse übersiedelt, hat "alte Strukturen" zerstört, ohne sie durch leistungsfähige zu ersetzen. Auch das sportpolitische Segment der DDR-Administration wurde kriminalisiert; die besten Übungsleiter wurden aus dem Lande getrieben, Staatsanwaltschaften kümmerten sich um Sportmediziner; wenig erfolgreiche Funktionäre sahen die Stunde gekommen, ihren Rachedurst zu stillen.

Sydney wird nun zum Offenbarungseid der Groß-BRD. Seit Jahren genießen Unesco-Parolen und parasozialpolitische Kampagnen die größte Aufmerksamkeit bei Schily, von Richthofen und dem restlichen Rattenschwanz zuständiger Figuren und Instanzen. Motto, hier wie überall: Hauptsache dabeigewesen. Bloß nicht auffallen. Mitsurfen in der "Weltgemeinschaft". Siegen ist nix für Deutsche. Hypermoralischer Größenwahn und realpolitisches Biedermeier, deutsche Krämpfe, Krähwinkel läßt grüßen, früher reaktionär, derzeit progressiv getüncht. Diese trübselige Nachvereinigungsgesellschaft minütlicher Börsenmeldungen ist kein Klima, in dem strahlende Siegertypen gedeihen. Die Angst ist ein Meister aus Deutschland. Wie jener psychopathische Dauerkreuzzug gegen einen just zwischen Heidelberg, Tübingen und Müngersdorf entdeckten Menschheitsfeind namens "Doping". Als sportpolitische Fortsetzung der "Vergangenheitsbewältigung" reicht das vom Dritten Reich (1936!) bis zur späten DDR; die Einschlägigen betreiben auch hier systematische Kriminalisierung deutscher Vergangenheit und Gegenwart, insofern und insoweit beide sich dem liberalistisch-hedonistischen Weltgeist widerständig zeigen bzw. gezeigt haben.

Globalistisches Koofmich-Streben nach Auflösung der Nation/en in menschheitliche Verblasenheiten mag keine "Nationalmannschaft/en", wie der Sport sie kennt. Am liebsten wäre diesem börsengestützten UN-Zelotismus wohl der Start von Solisten, die für nichts als ihre krude Einzelexistenz stünden. Und die Höhe ihrer Dollar-Prämien. Kommt derlei, steht der BRD-Sport gewiß in der ersten Reihe. Ob dies auch leistungsmäßig gilt, darf wohlbegründet angezweifelt werden. In Sydney droht die große Pleite. Statt Gold, Silber und Bronze bloß Blech für Deutschland. Rekordmarken erreicht die BRD-Truppe allenfalls in der Anzahl eher aussichtslos mitreisender Touri-Athleten und Betreuer. Der finanzielle Aufwand ist groß, der meßbare Ertrag wird klein sein, so klein wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Insbesondere der olympische Kern, die Leichtathletik, verheißt wenig Gutes.

Beispielhaft für die selbstverursachte Malaise sind die Veteraninnen van Almsiek, Henkel und Drechsler sowie Dieter "Colgate" Baumann, der Don Quichotte der hiesigen Langstrecke. Längst hätte leistungsstarker Nachwuchs nachdrängen müssen. Der aber bleibt aus. Von den Medien gehätschelt räumen Ex-Rekordler die Startgelder und Prämien der großen Meetings ab. Instinktlos werkelt man am fünften, sechsten Comeback, quält sich mit der Sydney-Norm. Die politkorrekte Sportöffentlichkeit hat eh andere Sorgen als deutsche Siege in Sydney: Bei einem Qualifizierungsrennen putzte Hürdensprinter Balzer einen dunkelhäutigen Verbands-Konkurrenten zu Recht runter, nachdem der ihn weggerempelt hatte. Nicht die Unfairneß des Letzteren, sondern die vermeintlich rassistische "Einstellung" des Läufers aus Jena steht anderntags im Zentrum des Berichtertums. Das setzt den am ehesten psychopathologisch begreifbaren Boden eines inversen Rassismus voraus, dessen Ressentiment sich reflexhaft mit Exotisch-Fremden solidarisiert, während es ebenso irrational das Eigene verwirft. Bis ins sportjournalistische Segment der BRD-Bewußtseinsindustrie ist das Bewältigungsaxiom durchgesickert; die Rentabilität des Invers-Rassismus garantieren die einschlägigen Instanzen.

Mag das bundesdeutsche Aufgebot quantitativ dem früherer Olympiaden gleichkommen, so ist die Zahl der Medaillenanwärter prozentual so klein wie nie zuvor. Insbesondere die Leichtathletik kümmert in Vereinigungsdeutschland vor sich hin. Dank üppiger Förderung seitens der hellhäutig-westlichen Welt, die "Sport" zu ihrem Pläsir erfand, dominieren heute, mit wenigen, meist deutschen Ausnahmen, Farbige just die klassischen, die griechischen Disziplinen. Zyniker sprechen von "Geradeauslaufen und Hopsen", von "Primitivsportarten", doch auch in den technisch anspruchvolleren Arten holt man massiv auf. Der Stuttgarter Unionspatriarch Meyer-Vorfelder bedauerte, mit Blick auf den Profifußball, "daß wir Deutschen zu früh unsere Kolonien verloren haben." Die "nationalen" Sportauswahlen Frankreichs und Englands werden in wenigen Jahren ohne Autochthone auskommen.

Das Jahr 2000 wird zum Tiefpunkt deutscher Leistungssportgeschichte werden. Lächerliche 23 Damen und 33 Herren vermochten bislang jene Norm zu erfüllen, die zum Start in den leichtathletischen Vor- und Zwischenkämpfen berechtigt. Vom Endkampf, gar von Medaillen, dürfen kaum ein Dutzend träumen. Realistisch betrachtet schafft die einst führende Sportnation Deutschland in Sydney eine Silber- und zwei Bronzemedaillen. An ihren Früchten werdet Ihr sie erkennen...: Franka Dietzsch, natürlich aus dem "Beitrittsgebiet", als zweitbeste Diskuswerferin; der farbige Dreispringer Charles Friedek und die eingebürgerte Langstrecken-Russin Irina Mikitenko als drittplazierte. "Bei vielen Athleten ist Panik da. Viele stehen auf der Kippe und werden den Zug verpassen", so Friedek, der wie viele hiesige Sportprofis seine Haut in diversen Nacktpostillen zum Markte trägt. Der leistungssportliche Effekt wurde in Schröders Groß-BRD einer Ökonomie, die selbst die Suche nach ihrem Daseinszweck eingestellt zu haben scheint, vom showsportlichen überflügelt. Zum Beleg posiert ein Joseph Wilhelm Fischer – er gibt derzeit den "grünen" Außenminister – im Läufer-Leibchen mit ESSO-Logo. Jedem das Seine.


 
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