© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/00 15. September 2000

 
Die Assimilation bedroht Israel
Israel: Der neue Präsident Moshe Katzav sieht die Kontinuität des jüdischen Volkes in großer Gefahr
Ivan Denes

Der neue israelische Staatspräsident Moshe Katzav – erstmals ein sefardischer Jude, seine Familie stammt aus dem Iran – hat am vergangenen Sonntag eine politische Lawine losgetreten: In einer Ansprache in der Residenz des Staatspräsidenten (Beit Hanassi) anläßlich einer Konferenz über Assimilation kritisierte er die momentane israelische Führungsschicht.

Diese "legitimiere das jüdische Leben außerhalb Israels" mit dem Ziel, die Diaspora-Juden auszubeuten – "wegen ihres Geldes und zu politischen Zwecken". Dieser Standpunkt und diese Praxis trage zum Teil die Schuld für die stetig wachsende Assimilation des Weltjudentums – trotz der wachsenden Stärke des Staates Israel.

Dieser Politik – also der moralisch-politischen Rechtfertigung des Weiterlebens in der Diaspora – müßte ein Ende gesetzt werden, Israel sollte einen ernsthaften Appell zur Einwanderung an alle Juden richten. Diese Worte waren eindeutig und unverkennbar an Juden in westlichen Ländern gerichtet.

Wörtlich sagte der israelische Staatspräsident: "Die israelischen Führer haben dem Leben in der Diaspora ein "Hechscher" gegeben (Hechscher ist ein Zertifikat, mit dem Lebensmittel von einer rabbinischen Autorität als "koscher" bestätigt werden – auf gut deutsch: ein Persilschein), weil sie die Diaspora-Juden für ihr Geld und für die Politik benötigt hatten." Die Politik der Duldung des jüdischen Lebens in der weltweiten Diaspora war bisher nötig gewesen, weil die Gelder aus der Diaspora nötig waren, um den Staat aufzubauen. Die Kehrseite war, daß "wir das Leben in der Diaspora legitimierten und erklärten, es störe uns nicht". Staatspräsident Katzav forderte alle Führer des Weltjudentums auf, ihre Differenzen beiseitezuschieben und die Propagierung der Einwanderung nach Israel an die "höchste Stelle der Tagesordnung" zu setzen. Die Auseinandersetzungen unter den Anführern des Weltjudentums haben keineswegs die Assimilierung aufgehalten, welche die "Kontinuität des jüdischen Volkes bedroht", sagte er weiter.

"Die einzige Sicherheit für die Kontinuität der jüdischen Nation ist der jüdische Staat", erklärte Katzav. "Es gibt keine andere Alternative zur Assimilation". (Einschließlich der jüdischen Erziehung, die er lediglich als augenblicklichen Lückenschließer betrachtet, "der im besten Fall ein oder zwei Generationen lang andauern könnte".)

Die Äußerungen des konservativen Katzavs – der sich bei seinem Amtsantritt verpflichtet hatte, sich aus der Politik herauszuhalten – haben umgehend heftige Reaktionen ausgelöst. Einwanderungsminister Yael Tamir und Justizminister Yossi Beilein erklärten, der Präsident habe die gesamte Diaspora beleidigt.

Der für Diaspora-Fragen zuständige Minister Michael Melchior, der sich zur Zeit in den USA aufhält, meinte, daß die Position Katzavs keineswegs identisch sei mit der des jüdischen Staates. Außerdem könnte eine kräftige zionistische Bewegung – also eine Auswanderungswelle in Richtung Israel – eben nur das Ergebnis einer intensiven jüdischen Erziehung sein, die aber von Katzav als unnötig hingestellt wurde. Es gebe hier einen grundsätzlichen Widerspruch, und er, Melchior, werde sofort nach seiner Heimkehr den Präsidenten um ein klärendes Gespräch bitten. Die Angelegenheit ist damit also noch nicht erledigt.


 
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