© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    38/00 15. September 2000

 
Josef Kardinal Ratzinger
Ein Bayer im Vatikan
von Jutta Winckler-Volz

Noch 1973 las es sich so beim Regensburger Dogmatikprofessor Ratzinger: "Das Erbe des Zweiten Vaticanums ist noch nicht erweckt. Aber es wartet auf seine Stunde. Und sie wird kommen, dessen bin ich gewiß." Heute, dreißig Jahre später, bewertet er, agil und weise, das Konzil als Urheber der ihm folgenden Misere: Statt eine vermeintliche Krise zu überwinden, löste es selbst den beispiellosen Niedergang aus.

Der 1927 in Marktl am Inn geborene Kardinal und am Chiemsee aufgewachsene Oberbayer ist wie kein zweiter mit den Umwälzungen in Theologie und römisch-katholischer Kirche vertraut. Schon mit 31 Jahren wurde er für Dogmatik, das Kernfach der Glaubenslehre, habilitiert und kam über Freising, Bonn, Münster und Tübingen nach Regensburg. Von der Bildung und fachlichen Brillanz des zeitlebens jugendlich wirkenden Universitätslehrers war der damalige Kölner Oberhirte Frings so angetan, daß er den "theologischen Teenager" anläßlich des Vaticanum II (1962–65) zu seinem Berater ("Konzils-Peritus") ernannte. "Aggiornamento" hieß damals die Parole: Hinwendung der Kirche zur "modernen Welt", der es sich zu "öffnen" gelte, ein Prozeß, der rückschauend als aberwitziger Versuch bewertet werden muß, den eigenen Ersatz, aufklärerische Heilsideologien liberaler bzw. linker Couleur zu beerben. Durch Erfahrung bekehrt und belehrt, kehrte der zum Münchner Erzbischof Geweihte zur Tradition zurück. 1981 begann sein Wirken als Präfekt der römischen Glaubenskongregation, ein Dienst wie eine Herkules-Aufgabe: Ausmisten des progressistischen Augiasstalles.

Von Jahr zu Jahr trat die Reserve des Glaubenshüters gegenüber den "Errungenschaften" der Konzilskirche stärker hervor: Überspannungen der Kollegialität der Bischöfe, der Mitsprache der Laien, der liturgischen Autochthonie sowie liberale Laxheiten in Disziplin und Sittenlehre, Zerklüftung der Glaubenslehre, "ökumenische" Selbstrelativierung des tradierten eigenen Anspruchs. Diese restitutio in integrum vollzieht Ratzinger mit diplomatischer Eleganz, auf daß nicht ähnliche Verheerungen anfallen, wie sie der Progressismus verursacht hat. Mit unverkennbar deutlicher Handschrift prägt der Kardinalerzbischof (aus musisch begabtem Elternhaus) Verlautbarungen des Päpstlichen Stuhls, insbesondere in Kernfragen des dogmatisch fixierten Glaubensgutes. Dieser Tage unterstreicht sein Dokument "Dominus Iesus" den exklusiven Wahrheitsanspruch Roms; bezüglich der in Heiliger Schrift und christkatholischer Tradition dargebotenen Offenbarungslehre weicht es kein "ökumenisches" Jota von dem ab, was Päpste und maßgebende Konzilien diesbezüglich vertreten haben.

Wütende Einlassungen der liberalen "Weltöffentlichkeit" bestätigen den Präfekten in seinem Ziel, die durch innerkirchliche Bestrebungen beschädigte Identität des Katholizismus wiederherzustellen. Die Kirche Petri ist eben mehr als eine "religiöse" Kulturtradition, ein "Heilsweg" unter allerlei möglichen: Sie sieht sich, so Ratzinger, als Richterin über den Traditionen, als Christ-Königsweg zur rettenden Wahrheit.


 
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