© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/00 08. September 2000

 
Ein Hauch von Bürgerkrieg lag in der Luft
Die Bundesrepublik nach 68: Als der Kampf gegen Rechts noch gegen die Springer-Presse geführt wurde
Carl Gustaf Ströhm

Die Nachricht, daß sich der Axel-Springer Verlag – darunter die Welt und Bild-Zeitung – an einer "website gegen Rechts" beteiligen und die Art und Weise, wie die Zeitungen eines Hauses, das einst als einflußreichste konservative, nicht-linke Institution der deutschen Publizistik galt, hysterische Reaktionen anheizen, anstatt die Dinge auf ein vernünftiges, demokratisches Maß zu bringen: Alles das weckt in mir Erinnerungen an die Zeit, als ich in das Haus Springer eintrat, dem ich insgesamt 27 Jahre, davon 23 Jahre auf dem damals nicht ganz risikofreien Posten eines Korrespondenten der Welt für Osteuropa angehörte.

Als ich im Herbst 1972 meinen Posten als Leiter der Südosteuropa-Programme der "Deutschen Welle" in Köln verließ, um mich vom Chefredakteur der "Welt" als Leiter des Münchner Büros und als Experte für Ostfragen anheuern zu lassen, war die politische Atmosphäre derart angeheizt, daß mich wohlmeinende Freunde und Kollegen warnten: "Springer ist doch erledigt. Von dem nimmt doch kein Hund ein Stück Brot mehr. Der gilt als Rechter, als Reaktionär und Kalter Krieger. Und die Welt – das ist doch ein vorgestriges Auslaufmodell. Demnächst wird Springer ohnedies enteignet. Ströhm, Sie begeben sich auf ein untergehendes Schiff!"

Nun, ich betrat dieses Schiff trotz aller Unkenrufe – und machte gleich am ersten Tag eine interessante Erfahrung. Herbert Kremp rief mich an und bat mich – gewissermaßen als Einstieg –, ein Porträt des bayerischen SPD-Vorsitzenden Hans Jochen Vogel für die "Welt" zu schreiben. Im Zuge des Wahlkampfes – die "Brandt-Wahlen" 1972 standen bevor – begab ich mich nach Ingolstadt, wo Vogel damals eine Kundgebung in einer großen Halle abhielt. Ich setzte mich an den für die Presse reservierten Tisch, an dem schon einige mir unbekannte Journalisten Platz genommen hatten. Nach der kurzen Begrüßung fragte mich mein Tischnachbar: "Ich habe Sie hier noch nie gesehen, Herr Kollege, für wen schreiben Sie eigentlich?" Ich anwortete: "Für die Welt!" Da schaute er mich abschätzig an und sagte: "So, so – und da schämen Sie sich nicht?"

Ich blieb die Antwort nicht schuldig und sagte ihm, der einzige Unterschied zwischen uns beiden sei doch, daß ich mich beim großen Springer verdingt habe, während er sich in Abhängigkeit von einem kleinen Provinz-Springer befinde. Damit endete diese Begegnung ziemlich frostig.

Was der Kollege aus der bayerischen Provinz von sich gab, war in intellektuellen und halbintellektuellen Kreisen der damaligen Bundesrepublik weit verbreitet. Die Journalisten des Verlages wurden offen als "Springer-Knechte" apostrophiert. Besonders jüngere Kollegen litten unter ständigen Anpöbelungen. Im günstigsten Fall wurden sie herablassend wie arme Irre behandelt – im schlimmsten Fall gab es offene Drohungen. Axel Springer und seine Zeitungen befanden sich damals im Fadenkreuz der 68er Bewegung. Die Parole "Enteignet Springer!" wurde systematisch verbreitet – und wie immer in solchen Situationen gab es aus dem "bürgerlichen Lager" keine nennenswerte Solidarität. "Na ja, der Springer hat sich das mit seiner Kalten Kriegspropaganda selber zuzuschreiben", hieß es, als es zu Bombenanschlägen und Brandstiftungen im Hamburger Verlagsgebäude und sogar an den Privatvillen des Verlegers kam. Damals gab es mehrere Schwerverletzte, soviel ich weiß, waren es einfache Verlagsangestellte.

Die Folge war, daß der Verlag seine Sicherheitsvorkehrungen gegen linksradikale Terroranschläge verstärken mußte. An der Pforte wurden Akten- und Handtaschen kontrolliert. Während bisher alle Dienstwagen des Verlages das Kennzeichen "HH-AS" trugen – also eine Kombination von "Hansestadt Hamburg" mit den Initialen Axel Springers –, wurden eilig neue, "unverdächtige" Nummerntafeln ausgegeben. Außerdem legte man uns nahe, morgens nicht immer den gleichen Weg in die Redaktion zu benutzen. In der Pförtnerloge der Münchner Schellingstraße 39, wo Bild residierte und die Welt drei kleinere Büroräume hatte, sah ich die Sicherheitsleute von der Wach- und Schließgesellschaft sitzen, und es war mit klar: Sollte es zu einem Überfall kommen, wären sie die ersten Opfer. Im Ernstfall hätten sie gegen die Terroristen der RAF keine Chance gehabt.

Das war die Zeit, in der mir Franz Josef Strauß nicht ohne einen Anflug von Schadenfreude erklärte: "Der Genscher traut sich in Bonn nur noch in Begleitung eines Panzerspähwagens auf die Straße!" Strauß selber hatte bei Autofahrten stets schwerbewaffnete Beamte der Sicherungsgruppe im nachfolgenden Wagen. Die bundesrepublikanische Atmosphäre war ungemütlich. Die Stimmung hatte etwas chiliastisches: auf der einen Seite die "Guten", die Anhänger Willy Brandts und der Entspannungspolitik, inklusive der 68er – und auf der anderen die "reaktionären" Finsterlinge von der CDU und CSU inklusive der "Springer-Knechte", die man als "Regierungsfeinde" zu bezeichnen pflegte (eine bemerkenswerte Wortwahl für die Opposition in einem demokratischen Staat!). Und was die Terroristen betrifft, entbrannte damals eine öffentliche Polemik, in der man sich um die Frage stritt, ob man "Baader-Meinhof-Bande" oder nur "Baader-Meinhof-Gruppe" schreiben sollte. Die "Springer-Presse" – auch das war damals so eine abschätzige Formulierung – war für "Bande", die immer lauter agierende "linke Reichshälfte" war natürlich für "Gruppe".

Ich selber hatte das "Glück", mich mit den damals kommunistischen Ländern beschäftigen zu müssen, so daß ich einen Großteil der negativen Erfahrungen etwa meiner Kollegen aus der Zentralredaktion oder besonders dem Kulturressort nicht machen mußte. Nur hörte ich gelegentlich, daß auch Familienangehörige von "Springer-Knechten" unter Druck gesetzt und angeprangert wurden. (Damals gab es noch keine website – sonst hätten sich nicht wenige Springer-Redakteure und Autoren auf diesen Seiten wiedergefunden). Da wurde der Sohn meines (inzwischen verstorbenen) Kollegen und baltischen Landsmanns Enno von Loewenstern – Enno war als unerschrockener Kommentator der Welt bekannt – von einem 68er Lehrer vor versammelter Klasse wegen seines "reaktionären", "rechten" Vaters zur Rede gestellt. Die damalige Anti-Springer-Kampagne hatte etwas Unduldsames, Bösartiges an sich: man war nicht bereit, den "Springer-Knechten" auch nur mildernde Umstände zuzubilligen. Ein Hauch von Bürgerkrieg lag in der Luft.

Mich faszinierte damals immer wieder der Gegensatz zwischen bundesrepublikanischer Befindlichkeit und der Stimmung in den kommunistisch regierten Ostblock-Staaten. Während man sich im Westen Deutschlands fast dafür entschuldigen mußte, ein "Springer-Knecht" zu sein, genoß man als solcher in den kommunistisch regierten Staaten höchstes Ansehen. Wenn ich einem der damals verfolgten Dissidenten und Oppositionellen in Prag, Warschau oder Budapest meine Welt-Visitenkarte zeigte, wurde ich umarmt und fand sofort offene Türen. Die "offiziellen" Kommunisten mochten mich zwar nicht leiden, sie überwachten und schikanierten mich, aber sie haben mir – trotz meiner bekannt antikommunistischen Schreibweise – ernsthaft nie etwas getan (außer daß sie mich gelegentlich bei eiskaltem Wetter zwei Stunden an der Grenze warten ließen, bis sie mit meinem Paß fertig waren). Das war auch klar: Die Kommunisten und ihre diversen Geheimpolizeien hielten "Springer" für einen mächtigen Mann, hinter dem die "internationale Reaktion", das "Großkapital", der "Vatikan", Amerika und Israel stünden. Folglich war es besser, es sich mit einem "Springer-Knecht", wie ich einer war, nicht ganz zu verderben. Einmal allerdings wurden die kommunistischen Geheimdienste nervös – als ich nämlich im Sommer 1979 vom stellvertretenden Welt-Chefredakteur Wilfried Hertz-Eichenrode den Auftrag erhielt, nach Polen zu reisen und über den ersten Besuch des polnischen Papstes – bis vor kurzen noch Karol Wojtyla, Kardinal von Krakau – zu berichten. Als ich die unvergeßliche Szene auf dem Warschauer "Heldenplatz" erlebte: Hunderttausende von Polen auf den Knien – und über ihnen der Papst, der mitten im kommunistischen Polen den Verrat der Sowjets und der Kommunisten an den polnischen Aufständischen anprangerte, da war ich so mitgerissen von der Größe des Augenblicks, daß ich in meinem (damals per Telefon übermittelten) Bericht schrieb: "Dies ist das Ende des Kommunismus in Polen und vielleicht in ganz Osteuropa."

Die "Welt" druckte meine Berichte, von denen einige meiner gleichfalls in Polen anwesenden westdeutschen Kollegen keineswegs erbaut waren. Eine damals prominente westdeutsche Journalistin schnauzte mich tags darauf im Warschauer Pressezentrum an: "Herr Ströhm,wenn man Ihre Berichte so liest, könnte man meinen, daß in Polen morgen die Revolution ausbrechen wird. Was Sie da machen, ist doch äußerst unseriös!" Das war gewissermaßen das Echo der Anti-Springer-Kampagne über die deutschen Grenzen hinweg.

Nun, im Gegensatz zur erstbesten prominenten westdeutschen Kollegin hatte der kommunistische polnische Geheimdienst präzise erfaßt, daß das mit dem Sturz des Kommunismus in Polen nicht ganz so abwegig war. Sofort begannen die Geheimdienstler zu kombinieren: Woher hat der Ströhm die Informationen? Wieso weiß er das? Und sie begannen, mich abzuhören und anzuzapfen – besonders, was meine Kontakte zu den polnischen Dissidenten betraf. Damals traf ich Jacek Kuron und Adam Michnik, die mir beide sagten, sie erwarteten stündlich ihre Verhaftung. Das Resultat meiner vorwitzigen Neugierde war schlicht und einfach: bei der Ausreise am Warschauer Flughafen hielten die kommunistischen Grenzpolizisten meinen Paß zurück, bis alle Passagiere abgefertigt waren. Ich steckte einem österreichischen Geschäftsmann meine Visitenkarte zu und bat ihn, die deutsche Botschaft zu verständigen, falls ich nicht an Bord der Maschine nach Wien sein sollte. Allerdings – fünf Minuten vor Abflug übergab mir ein Polizist wortlos meinen Paß.

Die Folgen bekam nicht nur ich, sondern der deutsche Außenminister Genscher zu spüren: als ich ihn in der Sondermaschine der Bundesluftwaffe nach Warschau begleiten sollte, erhielt ich als einziger deutscher Journalist kein polnisches Visum. Genscher mußte daraufhin nach einigen Telefonaten mit Bundeskanzler Kohl die Reise zunächst absagen. Dann flog er doch, aber in einer kleinen Maschine, die Journalisten mußten mit Linienflügen vorlieb nehmen. Damit war bei der Ablehnung meiner Person Genschers Prestige nicht involviert. Weder bei Kohl noch bei Genscher hatte ich mich mit meiner Meinung vom bevorstehenden Sturz des Kommunismus beliebt gemacht.

Ein Jahr nach dem ersten Besuch des polnischen Papstes brachen die Streiks in der Danziger Leninwerft aus – und ein unbekannter Elektriker namens Lech Walesa gründete die erste freie Gewerkschaft – "Solidarnosc" – in einem kommunistischen Land. Heute wissen wir – es war das Ende des Kommunismus, zumindest der Anfang von seinem Ende. Auf dem Höhepunkt der polnischen Krise 1980 erschien das Neue Deutschland, damals SED-Zentralorgan, mit einem ganzseitigen Artikel unter der Schlagzeile: "Zur antipolnischen Verschwörung des Springer-Konzerns", in dem ich als "hoher BND-Offizier" und "Agentenführer" der Dissidenten in Polen und anderen "sozialistischen Ländern" bezeichnet wurde. Einige Zeit später – in Polen war bereits das Kriegsrecht unter Jaruzelski ausgerufen worden – begleitete ich den damaligen österreichischen Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger in die DDR. Als Quartier in Ostberlin wurde mir ein Zimmer im Hotel Metropol am Bahnhof Friedrichstraße zugewiesen. Es war damals natürlich ein Stasi-Hotel – und der Empfangschef zeigte sich informiert. Als ich mich anmeldete, fragte er mich: "Herr Dokta, woll‘n Se‘n Zimmer mit Blick uff Ihren Arbeitjeba?" Ich bekam ein Zimmer, aus dessen Fenster ich zum Greifen nahe das Berliner Springer-Hochhaus an der damaligen Sektorengrenze sehen konnte. Abends waren sogar die Gestalten zu erkennen, die sich in den beleuchteten Räumen bewegten. Dazwischen aber stand – die Mauer.

Inzwischen ist die Mauer weg – aber Welt und Bild beteiligen sich an website-Kampagnen, die man als bessere Form der Menschenjagd und als rechtsstaatlich höchst bedenklich bezeichnen muß. Vor allem eine Schlagzeile der Bild-Zeitung versetzte mich in Erstaunen. Im Zusammenhang mit rechtsextremen Ausschreitungen heißt es da: "Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!" Das war am Ende der Weimarer Republik der Kampfruf der Stalinisten innerhalb der KPD. Die Formel "... wo ihr sie trefft" sollte besagen, daß man die "Faschisten" nicht nur (und vielleicht nicht einmal so sehr) in den Reihen der NSDAP "schlagen" sollte , sondern auch in den Reihen der Sozialdemokraten, die damals von Stalin (und KPD-Chef Ernst Thälmann) zu "Sozial-Faschisten" ernannt wurden. Aber so etwas lernt man heute auf keiner Schule und bei keiner Journalisten-Ausbildung.

So kommt es, daß Springers Bild fünfzehn Jahre nach dem Tode des großen Axel mitten in der kommunistischen "Antifa"-Terminologie gelandet ist, und zwar ausgerechnet beim Wortschatz des alten Josef Stalin. Man kann sich vor-stellen, was der letzte große Verleger Deutschlands zu diesem seltsamen Frontwechsel seines publizistischen Lieblingskindes sagen würde – aber Axel Springer ist tot. Und Bild verfährt jetzt mit anderen so, wie dereinst mit ihm verfahren wurde.


 
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