© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/00 08. September 2000

 
Pankraz,
Machiavelli und das Dilemma der Verächter

Dieses Pack", zürnte der Dichter U.S., "kann man gar nicht mehr hassen, man kann es nur noch verachten." Er meinte damit die hiesige politische Klasse und die ihr zugeordneten Medien.Was die sich in jüngster Zeit an totalitärem Kampagnengeist, an Knopfdruck-Hysterie und wohlfeiler, ungeniert vorgezeigter Lumpengesinnung geleistet hätten, liege jenseits von allem, was noch irgendwie mit Kampf Mann gegen Mann, mit Meinungsmessen und Klingenkreuzen zu tun habe. Es sei nur noch Müll für die Abraumhalde, eben zutiefst verächtlich.

U.S. steht nicht allein. Besonders Junge mit einigem geistigen Anspruch üben sich zur Zeit in Verachtung, sobald die Rede auf aktuelle deutsche Politik kommt. Herabgezogene Mundwinkel, ironisches oder angewidertes Augenfunkeln. Knüppel liegen nicht bereit. Widerstand will man nicht leisten, man hält ihn für zwecklos. Den Haß überläßt man den Skinheads.

Pankraz fragt sich, was die Folgen solcher Haltung sein könnten. Verachtung ist zwar – im Unterschied zum Haß – ein aristokratischer Affekt, lohnt sich im Grunde aber nur für die Mächtigen. Aus der Fülle der Macht heraus die Ohnmächtigen und ihr Geschrei verachten zu können, verschafft Genugtuung und kann sogar mit – scheinbarer, gespielter – Großzügigkeit einhergehen. Man wirft den Schreihälsen hin und wieder einen Brocken zu, um den sie sich raufen können. Das steigert die eigene Verachtung ungemein.

Die Jungen und Anspruchsvollen hingegen, die die Spiele der Mächtigen verachten, drohen leicht an dieser ihrer Verachtung zu ersticken. Sie sind jedenfalls ganz ungefährlich für die Mächtigen, die in aller Ruhe darauf warten können, "bis diese Jungen auch so werden wie wir". Insofern hatten Goethe und Schopenhauer unrecht, als sie schrieben, daß die Verachtung auf Dauer wirksamer sei als der Haß, daß sie "den Menschen stürzet", wie Goethe zu Eckermann sagte.

Verachtung "stürzet" niemanden – es sei denn, sie verwandelt sich in etwas, daß Machiavelli seinerzeit "desinvoltura" nannte und allen Vaterlandsfreunden in scheinbar aussichtloser Lage als Überlebens- und Kampfmittel empfahl. "Desinvoltura", von Haus aus nichts weiter als "Ungezwungenheit", "Lässigkeit" bedeutend, meint in der machiavellistischen Version eine Art von Geistesboykott, ein höheres Mobbing, wenn man will, ein hochironisches, genau überlegtes "Arbeiten nach Vorschrift".

Man läßt den aufgeblasenen Machthaber spüren: "Wir können zwar (noch) nichts gegen dich machen, aber wir halten jede deiner Behauptungen und vor allem jede deiner Anweisungen für vollkommenen Unfug, für den puren Ausfluß von Dummheit oder von Feigheit oder von Frechheit oder von allen dreien zusammen." Den Machthabern wird intensiv beigebracht, daß sie momentan zwar über die Hände und vielleicht auch über die Worte der Jungen und Anspruchsvollen gebieten, doch nie und nimmer über ihre Seelen und Herzen.

Parallel dazu muß ein Aufbau von Gegenwelten gegen die offizielle, von den Medien propagierte Welt der Mächtigen passieren: Geheimsprachen und andere Zeichensysteme, mit deren Hilfe man sich ungestört untereinander verständigen kann, Kultfiguren, die sich nicht billig vermarkten und in den offiziellen Betrieb einordnen lassen, Kulturpraktiken, die zukunftshaltig sind und auch für Nichteingeweihte attraktiv funkeln.

Ferner ist auf seiten der Desinvoltüre Übenden ein gerütteltes Maß Unempfindlichkeit gegenüber Zumutungen nötig, was an sich unjugendlich ist und deshalb schwerfallen mag. Aber es bleibt wohl dabei: Die Kampagnen der Machthaber müssen an den Verächtern abperlen wie Wassertropfen von einem Krokodilpanzer. Es gilt, in allen Lagen gelassen, humorvoll und liberal zu bleiben.

Nichts wäre falscher, als den Medienagenten, die hin und wieder doch anklopfen, um ein Statement oder ein paar Bilder zu ergattern, verächtlich die kalte Schulter zu zeigen. Man soll sich ruhig mit ihnen einlassen, soll sich freilich stets über ihre habituelle, strukturelle Niedertracht und Heimtücke im Klaren sein und sich darauf einstellen. Wer heute mit Medien zu tun kriegt und mit ihnen nicht unter einer Decke steckt, braucht einen langen Löffel.

Und der Erfolg von Desinvoltüre ist keineswegs garantiert, heute in demokratischen Zeiten noch weniger als zu Zeiten von Machiavelli. Eine politische Veränderung kommt immer auf zwei Schienen einher, einesteils auf der Schiene neuartiger geistiger Konzepte und Verhaltensweisen, andernteils auf der Schiene grober, haßbeflügelter, oft auch gewaltgeneigter Massen- und Unterklassenbewegungen, zu denen die Geistigen, so sie denn wirklich auf Veränderung aus sind, ein heikles, zwiespältiges Verhältnis aufrechterhalten müssen.

Sie müssen mäßigen und disziplinieren, die Energien von unten in geordnete, politisch rechtfertigbare Bahnen lenken, doch sie dürfen die Energien dabei nicht auslöschen, weil sie dann ja letztlich jenen Mächtigen die Kastanien aus dem Feuer holen würden, denen die Verachtung gilt. Auch solche Balance gehört zum Geschäft der Desinvoltüre.

Sie unterscheidet sich doch sehr von der "reinen" Verachtung, der ein Zug von Nichtverstehen innewohnt, auch von Garnichthabenwollen. Schopenhauer, der am gründlichsten über die Verachtung nachgedacht hat, hielt nur diejenigen für "richtige" Verächter, die eine Sache erst zu verachten anfangen, wenn sie sie selber haben. Solche Verächter seien "edel". Das mag wirklich so sein. Aber zum politischen Geschäft, fügt Pankraz an, taugen solche Verächter nicht, nicht einmal zum kulturellen.

Um Desinvoltüre zu üben, ist eine andere (altpersische) Weisheit vonnöten, die ebenfalls bei Schopenhauer steht: "Der Spötter Witz kann nichts verächtlich machen, / was wirklich nicht verächtlich ist."


 
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