© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/00 08. September 2000

 
Man muß solange jammern, bis es klappt
Kraftstoffpreise: Trotz des europaweiten Preisanstiegs werden nur die Franzosen militant
Jörg Fischer

Die Preise für Rohöl – und damit für Benzin, Diesel und Heizöl – steigen scheinbar unaufhaltsam. Die Notierungen für Öl aus den Staaten der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) sind auf den Jahreshöchststand von 31,73 US-Dollar pro Barrel (159 Liter) geklettert. Der Preis für Nordseeöl der Marke Brent hat sogar die psychologisch wichtige 35-Dollar-Marke durchbrochen. Tendenz weiter stark steigend.

Doch der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) sieht noch andere Gründe für die gestiegenen Kraftstoffpreise: Er droht mit einer Kampagne gegen die Ökosteuer: Bundeskanzler Gerhard Schröder versuche "mit einer Volksverdummung, den ganzen Zorn auf die Scheichs zu lenken", erklärte Stoiber. In Wirklichkeit seien aber 70 Prozent der Energiepreise Steuern. Er forderte Rot-Grün auf, "die Notbremse zu ziehen" und die Ökosteuererhöhungen ab 2001 wieder auszusetzen. Sonst komme zur importierten noch eine hausgemachte Inflation in Deutschland. FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle forderte die Abschaffung der Kfz-Steuer nach französischem Vorbild. OPEC-Präsident Ali Rodriguez hingegen sagte in Oslo, er gehe davon aus, daß die OPEC bei ihrem Treffen am 10. September in Wien Maßnahmen beschließen werde, um den Anstieg der Ölpreise einzuschränken.

Bis dahin treibt der unaufhörliche Anstieg der Treibstoffpreise Bürger, (Oppositions-)Politiker, Transportunternehmen, Landwirtschaftsverbände, Fischer und Verbraucherschützer auf die Barrikaden. In den zwanzig Monaten seit Januar 1999 sind die Kraftstoffpreise beispielsweise in Spanien um 30 Prozent gestiegen, in den ersten acht Monaten dieses Jahres allein um 10,2 Prozent. Zwar treiben der schwache Euro und die Verknappung des Angebots durch die OPEC-Länder die Preise in ganz Europa in die Höhe. Doch nur Griechen (plus 14,3 Prozent) und Iren (plus 12,1 Prozent) mußten in der EU im Laufe dieses Jahres noch größere Preisanstiege hinnehmen als die Spanier. Deshalb machen Berufsverbände und oppositionelle Parteien in Spanien die Regierung für den Anstieg der Spritpreise verantwortlich. Sie verlangen eine Senkung der Mineralölsteuer. Der Sektor werde von den drei großen Marktführern Repsol, Cepsa und BP fast monopolistisch geführt. Wettbewerb sei so nicht möglich, kritisieren die Verbände. Auch das im Juni vorgelegte Anti-Inflations-Paket der konservativen Regierung von Premier José María Aznar, das Großmärkten die Eröffnung von Tankstellen erlaubt, greife nicht. Die Verbände planen daher für den Herbst gemeinsame Protestaktionen. Auch in Ungarn sind die Kraftstoffpreise weiter im Steigen – Experten damit, daß zum Jahresende die Verbraucher insgesamt 60 Prozent (!) mehr zahlen müssen als im vergangenen Jahr – ein Liter Super-Benzin kostet momentan umgerechnet 1,85 Mark – bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von unter 400 Mark!

Die Folgen für die Benzinpreisentwicklung sind europaweit spürbar, doch nur in Frankreich kocht der Volkszorn derartig hoch: LKW-Fahrer blockieren seit vergangenem Wochenende im ganzen Land Öllager und Raffinerien. Nach Angaben der Spediteursgewerkschaft FNTR wurden am vergangenen Dienstag die Zufahrten von 70 Öllagern und zehn Raffinerien versperrt. Bauern unterstützten die Proteste, die fortgesetzt werden sollen, bis die Regierung durch eine Senkung der Kraftstoffsteuer die Preise für Dieseltreibstoff um knapp 20 Prozent reduziert. Nach Angaben von Berufsverbänden stieg der Preis in den vergangenen zwölf Monaten um 40 Prozent. Die angekündigten Proteste lösten einen Ansturm vieler Autofahrer auf die Tankstellen aus, um sich mit Benzin einzudecken. Dort bildeten sich lange Warteschlangen. Um möglichen Engpässen beim Treibstoff zu entgehen, tankten viele von ihnen ihren Wagen noch einmal voll. Tankstellenpächter berichteten, sie hätten sieben- mal so viel Umsatz gemacht wie an anderen Wochenenden.

Die französische Regierung hatte zwar schon im Vorfeld angekündigt, die Folgen der gestiegenen Treibstoffpreise für betroffene Berufsgruppen wie Bauern und Fuhrunternehmer abzufedern. Der für den Fischfang zuständige Agrarminister Jean Glavany etwa mußte einen Weg finden, die Blockade der französischen Häfen aufzuheben. Die Fischer hatten sie abgeriegelt, um gegen den Anstieg der Dieselkosten zu protestieren. Glavany stellte einen "Globalplan für den Fischfang" vor, der den Fischern einen Dieselpreis von 1,20 Franc (etwa 40 Pfennig!) garantiert. Kosten, die darüber liegen, ersetzt das Ministerium durch Senkung oder Streichung der Steuern auf Ausrüstung, Fang, Transport und Hafennutzung! Dem wachsenden Unwillen der privaten Autofahrer trug Wirtschafts- und Finanzminister Laurent Fabius vergangenen Donnerstag Rechnung, als er ankündigte, die Autofahrer künftig von der Kraftfahrzeugsteuer für Privat-Pkw zu befreien. Allein dieses Steuergeschenk kostet den überschuldeten Fiskus in den kommenden drei Jahren 13,5 Milliarden Franc.

Diese Vorzugsbehandlung erzürnte die Fuhrunternehmer: "Der Anstieg des Dieselpreises in den letzten zwölf Monaten hat unsere Kosten um sieben bis acht Prozent erhöht", erregt sich Patrice Cros von der FNTR. Der Liter Diesel kostet gegenwärtig rund 5,80 Franc, umgerechnet etwa 1,70 Mark. Davon erstattet der Staat den Spediteuren 8,62 Centimes. Der FNTR fordert eine Senkung des Mineralölsteueranteils, der jetzt 2,57 Franc beträgt – mehr als der europäische Durchschnitt. "Wir werden so lange blockieren, bis der Dieselpreis für uns vier Franc beträgt", drohte Cros gegenüber der Presse. Der kommunistische Transportminister Jean-Claude Gayssot stellte daher eine schnelle Einigung in Aussicht und traf sich mit den Vertretern der Interessenverbände. Ob der Staat nun einen Ausgleich von rund 20 Pfennig pro Liter Dieselkraftstoff gewährt, ist nicht sicher. Aber eins ist gewiß: Die französische Regierung wird sich wie in den vergangenen Jahrzehnten von gut organisierten Interessengruppen erpressen lassen und wer am wildesten protestiert hat die größten Chancen, etwas für seine Interessengruppe "herauszuschlagen".

Mit freier Marktwirtschaft hat der ganze Steuer- und Subventionsdschungel natürlich nichts mehr zu tun. Und mit Ökologie gleich gar nicht: Noch Anfang 1999 hatte die grüne Umweltministerin Dominique Voynet durchgesetzt, die Steuer auf Diesel in den nächsten sieben Jahren um jeweils sieben Centimes (etwa zwei Pfennig) zu erhöhen – um die Verwendung des umweltschädlichen Dieselkraftstoffs einzuschränken – darüber wird inzwischen kaum noch gedacht.


 
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