© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/00 08. September 2000

 
Schröders eiskalte Miene
Bernhard Knapstein

Zumeist sitzt es sich günstiger hinter dem Orchester, um dem Dirigenten ins Gesicht sehen und jede seiner Regungen verfolgen zu können. Das Gesicht als Indikator für Freude, Ärger, Zorn und Traurigkeit. In Gesichtern kann man lesen, und bisweilen ist die Lektüre der Gesichtsmimik interessanter als jede Boulevardzeitung. Wer am Tag der Heimat im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt hinter dem Bamberger Symphonieorchester im Chor Platz gefunden hatte, konnte nicht nur dem britischen Dirigenten Jonathan Nott, sondern auch Kanzler Schröder während der Rede Erika Steinbachs, der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, ins Gesicht sehen.

Eiskalt ist noch zu warm für die waagerecht gehaltene Mundpartie des Kanzlers. Kein Stirnrunzeln oder Hochziehen der Augenbrauen. Erst als die BdV-Präsidentin davon spricht, daß im Saal keine Museumsstücke, sondern Menschen aus Fleisch und Blut säßen, berät sich der Kanzler kurz mit seinem Referenten und findet seine sonst so oft vor den ihn verfolgenden Kameras gezeigte Heiterkeit für eine Sekunde wieder, bevor sich des Kanzlers Gesicht wieder in die Gefrierstarre zurückzieht. Vertriebene sind keine Museumsstücke, ist es das, was den Kanzler zum Lachen bringt? Er weiß, was die Vertriebenen sich von ihm erhoffen. Das "Zentrum gegen Vertreibungen" soll 160 Millionen Mark kosten, und der Bund soll sich maßgeblich daran beteiligen. Damit steht und fällt das zentrale Mahnmal gegen Vertreibungen. Der Kanzler weiß aber auch, was er in dieser historischen Stunde der Annäherung zwischen SPD und Vertriebenen mitgebracht hat. Nichts. Nichts,,als seine physische Anwesenheit.

Auch in den Gesichtern der BdV-Präsidentin und des tschechischen Botschafters sowie des diplomatischen Vertreters Polens war während der Kanzlerrede viel zu lesen. Das höfliche Lächeln der Präsidentin, das die Anspannung über das bange Hoffen nicht verbergen konnte, das verhaltene Lächeln des polnischen Vertreters, dessen Mimik nicht sein Unwohlsein im Hinblick auf die anwesenden 1.500 Vertriebenen zu überspielen vermochte und nicht zuletzt die scheinbar stoische Ruhe des tschechischen Botschafters. Dies alles blieb mehr oder weniger so bis zu den Schlußworten des Kanzlers, in denen dieser das Desinteresse der Bundesregierung an dem "Zentrum gegen Vertreibungen" bekundete. Das höfliche Lächeln der BdV-Präsidentin wich einer Härte, die Tränen unterdrückte, während der Saal ächzte und mit Buhrufen für kurze Zeit anschwoll. Der tschechische Botschafter blieb bei seiner stoischen Ruhe, während der polnische Botschaftsvertreter seine Freude über die Kunde, die er seinem Botschafter übermitteln würde, sichtbar preisgab.

Die polnische und tschechische Presse hat die Rede des Kanzlers begrüßt und gewürdigt. Die Vertreibung ist praktisch nicht geschehen. Der deutsche Bundeskanzler hat einen Teil seines Volkes nach den Grenzbestätigungsverträgen von 1990 zum dritten Mal vertrieben. – Und langsam legt sich der Nebel des Vergessens über das Schicksal von 15 Millionen Deutschen.


 
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