© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    37/00 08. September 2000

 
Stunde des Kanzlers
Schröder hat die Union in zentralen Fragen beerbt oder zur Kapitulation gezwungen
Paul Rosen

Soeben ist Fürst Gerhard von der Bereisung der neu erworbenen Ostgebiete zurückgekehrt und ist begeistert, auch wenn er noch ein Jahrzehnt zuvor nichts vom Ostlandritt hatte wissen wollen. Deutschland im Herbst – das ist auch die Erfolgsgeschichte der Sozialdemokraten, die sich binnen Jahresfrist von ihrem Tief erholt haben und auf absehbare Zeit die bestimmende Rolle in der deutschen Politik spielen werden.

Politik lebt vom Wettbewerb. Aber im Sommer hat ausgerechnet Schröders SPD diesen Wettbewerb so eindeutig gewonnen, daß die Union als größte Oppositionspartei faktisch nicht mehr wahrnehmbar ist. Wenn Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber zu der Niederlage bei der Steuerreform am 14. Juli im Bundesrat sagt, nach dem Spiel sei immer vor dem Spiel, so ist das sicher richtig. Nur, wer mit einer demotivierten Mannschaft und ohne erfahrene Spielführer zur nächsten Runde antritt, kann allenfalls noch auf einen Anschlußtreffer hoffen.

Schon mit den vom Bundesrat verlangten Nachbesserungen zur Steuerreform, die Grundlage für die Zustimmung der Großen Koalitionen in Berlin, Brandenburg und Bremen waren, werden Schröder und sein Finanzminister Hans Eichel keine Schwierigkeiten haben. Die leichten Verbesserungen für den Mittelstand und die im Vergleich zum ersten Regierungsbeschluß stärkere Senkung des Steuertarifs werden im Prinzip auch von der Opposition gutgeheißen. Noch verlangt zwar die beleidigte CSU eine Ablehnung dieses Steuerergänzungesetzes, weil es Ergebnis eines Stimmenkaufs im Bundesrat sei, aber die CDU scheint hier weit angepaßter zu sein und will das Gesetz am liebsten unauffällig passieren lassen, um nicht weiteran ihre Niederlage erinnert zu werden.

Keine Probleme wird Schröder mit dem Haushalt für 2001 haben, der Mitte September zur Beratung im Bundestag ansteht. Durch die unerwartet hohen Einnahmen im Zuge der UMTS-Funklizenzen-Versteigerung in Höhe von knapp 100 Milliarden Mark entsteht erstmals seit den Zeiten des legendären CSU-Finanzministers Fritz Schäffer in den fünfziger Jahren ein Haushaltsüberschuß, das heißt, die Bundesrepublik baut wieder Schulden ab, statt wie bisher den staatlichen Schuldenberg mit jedem neuen Haushalt weiter zu erhöhen. Das ist im Prinzip eine konservative Haushaltspolitik, auch wenn die Versteigerungserlöse nur eine vorübergehende Erscheinung darstellen. Doch Eichel hatte bereits vor dem Milliardensegen angekündigt, spätestens 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu wollen.

Was soll die Opposition hier noch unternehmen? Gewiß, sie kann verlangen, daß mehr für Verkehrsinfrastruktur ausgegeben wird. Doch hat die Regierung auch hier schon die gewünschte Richtung eingeschlagen und spendiert ein paar Milliarden aus Zinsersparnissen durch die unverhoffte Schuldentilgung für den Verkehr, weitere Summen für die Bildung. Was will man mehr? Etwa mehr Soldaten und Panzer, wie die Union fordert? Natürlich ist der Verteidigungsetat zu niedrig. Aber die Unions-Position von 300.000 Soldaten (CSU) oder sogar 330.000 (CSU) entspricht nicht mehr den heutigen Antworten auf die Frage nach einer modernen Landesverteidigung.

Nach Steuern und Haushalt hat die Regierung noch die rechtliche Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften auf der Tagesordung. Hier schreckte die Opposition vor einer Kampagne zurück, so daß die rot-grüne Regierung das Konzept mit ein paar Abstrichen durch die Gremien bringen wird. So ist kaum damit zu rechnen, daß homosexuelle Partnerschaften wie Familien die beitragsfreie Mitversicherung in der Krankenkasse erhalten werden. Auch die steuerlichen Erleichterungen, die Homsexuelle besser stellen würden als Geschiedene, die für ihre Ex-Ehefrau Unterhalt zu zahlen haben, dürfte in dieser Form nicht Realität werden.

Es bleibt als großes und entscheidendes Thema die Sicherheit der gesetzlichen Renten. Bereits in den nächsten Jahren macht sich die negative demographische Entwicklung bemerkbar: Da immer weniger junge Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen, müssen weniger Beitragszahler für mehr Rentner aufkommen. In einigen Jahrzehnten wird die Lage sogar dramatisch. "Das Gleichgewicht zwischen den Generationen kippt: Gegenwärtig kommen auf zehn Personen im Alter von 20 bis 60 Jahren vier Personen, die 60 Jahre oder älter sind, im Jahr 2030 sind es sieben bis acht Personen über 60 Jahre. Der Generationenvertrag wird faktisch aufgekündigt", sagt der CSU-Politiker Johannes Singhammer.

Doch die Opposition läßt ihren Worten keine Taten folgen. Zu sehr schielen CDU-Chefin Angela Merkel und auch CSU-Chef Edmund Stoiber auf einen Kompromiß mit der Regierung. Schröder tut der Unionsführung praktisch jeden Gefallen. Permanent legt Sozialminister Walter Riester nach und kommt der Opposition immer mehr entgegen, obwohl die Rentenreform nicht einmal im Bundesrat zustimmungspflichtig ist. Damit gibt die Christenunion praktisch ihren letzten Wahlkampfschlager aus der Hand. Und Schröder kann, wenn in zwei bis drei Jahren das Haltbarkeitsdatum auch dieser Reform überschritten sein wird, die Opposition in die Mithaftung für die wieder einmal gescheiterte Rentenreform nehmen.

Denn über die eigentliche Ursache der Misere wird in Berlin natürlich nicht gesprochen. Noch einmal Singhammer: "Die Deutschen werden immer älter, und es werden immer weniger. Die Lebenserwartung bei der Geburt beträgt derzeit für Männer fast 75 und für Frauen fast 80 Jahre, 60jährige können damit rechnen, 79 (Männer) bzw. 84 (Frauen) alt zu werden. Noch 1965 wurden in Deutschland 1.325.386 Kinder geboren, 1999 gerade mal 770.000. Früher hat – statistisch betrachtet – eine Frau 2,5 Kinder geboren, jetzt nur noch 1,4. Zum Erhalt der Bevölkerung sind aber 2,1 Geburten nötig." Singhammer verlangt eine aktive Bevölkerungspolitik, wie sie auch andere europäische Staaten betreiben, um die Zahl der Geburten zu erhöhen, damit das Verhältnis zwischen den Generationen im Gleichgewicht bleibt beziehungsweise wieder ins Gleichgewicht kommt.

Daß Rot-Grün die Brisanz des Themas erkannt hat, zeigt sich an den jüngsten Reaktionen. Nachdem Stoiber und seine CSU das Thema Bevölkerungspolitik wenigstens angesprochen hatten, kündigte die Regierung sofort eine weitere Erhöhung des Kindergeldes an. Mit 20 Mark mehr im Monat löst man zwar keinen Babyboom aus, gewinnt jedoch zusätzliche Simmen bei den Landtagswahlen im nächsten Frühjahr.

Die Rostocker Pastorentochter Merkel ist mit der Führung der CDU hoffnungslos überfordert; auch dies ist ein Eindruck des dahingegangenen Sommers. Sonst würde nicht ausgerechnet Jürgen Möllemann seiner FDP empfehlen, einen eigenen Kanzlerkandidaten aufzustellen.


 
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