© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/00 01. September 2000

 
Krise und Kritik
Konservatismus: Dem Institut für Staatspolitik gelang mit der ersten Sommerakademie der erfolgreiche Start in die politische Bildung
Moritz Schwarz

Das erst in diesem Mai gegründete und mit großer Spannung erwartete konservative "Institut für Staatspolitik" hat nun mit einer ersten Veranstaltung die Bühne betreten. Vom 17. bis 20. August lud das Institut vierzig ausgewählte Besucher, vorzugsweise Nachwuchsakademiker, zu seiner ersten Sommerakademie zum Thema "Krisen".

Im Februar des Jahres war bekannt geworden, daß sich ein Kreis von Wissenschaftlern und Förderern um den Göttinger Historiker und Publizisten Karlheinz Weißmann darum bemühe, eine Forschungs- und Bildungseinrichtung für konservative Politik aufzubauen.

In Anlehnung an das Prinzip des linksorientierten "Hamburger Instituts für Sozialwissenschaften" des Tabak-Millionenerben Jan-Philipp Reemtsma, das Forschung, Information und Orientierung miteinander verknüpft, hatte Weißmann seine Idee einer wissenschaftlich-politischen Alternative entwickelt. Allerdings, so betonte er, fehle dem Institut eben ein "rechter Reemtsma", weshalb man auf einen stetig zu erweiternden Kreis von Förderern angewiesen sei.

So war das Institut zunächst unter dem Schlagwort "Reemtsma-Institut von rechts" bekannt geworden. Jedoch verwahrte sich Institutsmitbegründer Götz Kubitschek in einem Interview mit der JUNGEN FREIHEIT im April (JF 17/00) gegen diese Bezeichnung und betonte, man wolle eben gerade nicht Politik, sondern Wissenschaft betreiben, wenn auch im Dienste des Politischen.

Unausweichlich war der Veranstaltung eine Anfrage der PDS im Thüringer Landtag vorausgegangen. Die Landesregierung "demonstriere Ahnungslosigkeit, während sich Thüringen zum ’Tummelplatz der Rechten aller Couleur‘ entwickle", wie es in einer Meldung des Mitteldeutschen Rundfunk hieß. Eine Beantwortung der PDS-Anfrage stand, wie eine Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT im Erfurter Innenministerium ergab, bei Redaktionsschluß noch aus.

Weitab vom Trubel der Großstadt und Treiben des Zeitgeistes versammelte man sich in der grünen Stille Thüringens. Wald flutete bis dicht an das Tagungsgebäude und lud in den Mittagsstunden zu erfrischendem Spaziergang.

Den Reigen der Referate eröffnete Karlheinz Weißmann mit einem Portrait der "Krise" durch Geschichte und Zeit. Entscheidend dabei die Wendung des Begriffs "Crisis" ins Politische, vornehmlich durch die französischen Aufklärer, und das Erkennen ihres Doppelcharakters. Nämlich, die Feststellung einer Krise sei nie nur Diagnose, sondern stets auch eine Prognose. Ein wichtige Ergänzung kam aus dem Auditorium: Krise sei vor allem das Bewußtsein der Krise. "Krise" breche aus, wenn entsprechendes Bewußtsein vorhanden sei – unabhängig von tatsächlicher Krisenhaftigkeit. Ergo gehe es letzlich vor allem um die Herrschaft über das Krisenbewußtsein. Diese entscheidende Frage nach dem subjektiven Charakter der Krise blieb jedoch leider in der Diskussion unvertieft.

Zweifelsohne sind aber die Krise des Menschenbildes oder die Kulturkrise einer Epoche Krisen von überragender Bedeutung.

Wissenschaft im Dienste des Politischen

So widmete sich Professor Alexander Schuller von der Freien Universität Berlin unter dem Titel "Vom Projekt zum Produkt" der Krise des Menschen. Die entscheidende Krise des modernen Menschen sei die durch Gesellschaft und Technik hervorgerufene Entfremdung vom eigenen Körper: Der Körper störe heute das menschliche Wohlbefinden. Symptomatisch etwa sei die Entwicklung in der Medizin, deren eigentliche Aufgabe die Sorge um den Körper sei. Die Medizin habe den Körper segmentiert und zwischen Arzt und Patient sei das Gerät getreten. So werde der natürliche Körper zunehmend durch den digitalen Datenkörper ersetzt.

Askese und klassisches Training seien – so Schuller – Wege der Körperflucht mit dem Ziel, ihn wiederzufinden. Doch diese Ideale sind der Gesellschaft von heute nicht mehr zu vermitteln. Neue Möglichkeiten sind eröffnet, denn fatalerweise ist das Gefühl für die Blasphemie des Gedankens der Mensch-Maschine verlorengegangen. Ebenso der entscheidende Skrupel, Individualität gegen Vollendung zu tauschen. Der Mensch ist "machbar" geworden. Entscheidend sei deshalb, zu verhindern, daß die existierende political correctness durch eine biological correctness ergänzt und somit der Linken die Interpretationshoheit überlassen werde.

Der Krise der anderen entscheidenden kulturellen Größe, nämlich der Epoche, in der wir leben, widmete sich Professor Reinhart Maurer. Er ging dabei von der "offenen Gesellschaft" Karl Poppers aus, die 1945 und 1989 entscheidende Siege errungen habe und seitdem "weitersiege". Mit Francis Fukuyama beschreibt Maurer den Sieg der "offenen Gesellschaft" als Ende der Alternativen (im Westen). Statt also einer dialektischen Geschichte wird die künftige Geschichte des Westens eine monotone Folge von ökonomischen und ökologischen Problemen sein, insofern handele es sich tatsächlich um ein "Ende der Geschichte". Diese dekadente, wenn auch stabile Phase des Westens wird einen technodemokratischen Liberalismus perfektionieren, dem als Hauptkrise eine aus der Maßlosigkeit der Ansprüche der Bevölkerung resultiernde ökologische Krise erwachsen wird.

Die weiteren Vorträge behandelten Krisen einzelner ausgewählter Bereiche unserer Gegenwart. Siegfried Uhl von der Pädagogischen Hochschule in Erfurt gab einen Überblick über Situation und Problematik der Erziehung heute. Kinder, so Uhl, seien moralische Rigoristen und verlangten nach verläßlichen Richtlinien. Die antiautoritäre Erziehung habe dagegen Kinder quasi nur über das "moralische Angebot" informieren wollen, um sie dann selbst auswählen zu lassen. Mit den Folgen kämpften wir heute noch, denn wie könne man von Kindern erwarten, über Gut und Böse zu urteilen, wenn man ihnen nicht sage, was Gut und Böse ist. So müsse die Gesellschaft endlich wieder den Mut zu Autorität und Grenzen finden.

Doch werde dieses Unterfangen nicht gelingen, wenn die "Renaissance der Erziehung" nicht mit einer "Renaissance der Institutionen", etwa Staat und Familie, einhergehe. Als tiefere Ursache dieser Krise nannte Uhl das 18. Jahrhundert, das uns nach dem Licht der Aufklärung nun deren Schattenseiten beschere.

Die Publizistin Ellen Kositza sprach zur "Krise der Geschlechter". Das Mann-Frau-Spießeridyll der Rechten sei ebenso unerträglich wie die Kultivierung der Opferrolle der Frau auf der Linken. Doch statt einer Regelung des Konfliktes hätten die Auseinandersetzungen nur zu einem radikal-bornierten Feminismus und einer degenerierten Männlichkeit geführt. So drohe uns im 3. Jahrtausend der Homunkulus des geschlechtslosen Menschen. Als beispielhaften Vorboten dieses Verfalls zitierte die Referentin aus einer aktuellen Broschüre der Techniker Krankenkasse: "Androgynes Verhalten und Erscheinungsbild sind bei den Geschlechtern heute die beste Voraussetzung für Erfolg und Gesundheit."

"Es dürfte Sie alle eigentlich nicht geben"

Stefan Maninger gab unter dem Titel "Die Volkskrise" Einblick in die Krisensituation des Volkes als der Grundlage von Staat und Gesellschaft.

Ausgehend von einigen durchaus überzeugenden definitorischen Grundsätzen, wechselte er bald zum Problem des Volksschwundes: Aufgrund einer Kinderquote unterhalb des Reproduktionsfaktors werde, so Maninger, das Volk der Deutschen bis zum Jahr 2100 auf zwanzig Millionen Menschen schrumpfen. Unsere offene Gesellschaft suche dieses Problem durch einen Bevölkerungsimport zu lösen, über dessen Folgen sie die Bürger jedoch im unklaren lasse. So vollziehe sich der Prozeß nach eigenen Gesetzen, was Maninger "psychologische Geographie" nennt: Fremde fänden hier ihren eigenen Bäcker, Fleischer, Fernsehsender, Zeitung, Abgeordnete. Statt sich zu integrieren, kämen sie so natürlich bald auf die Idee, eine solche Umgebung als Teil ihres Heimatlandes zu betrachten.

In Arbeitsgruppen beschäftigten sich die Teilnehmer schließlich mit verschiedenen Krisenanalysen etwa von Samuel Huntington oder Hans-Peter Dürr. Eine Autorenfilmvorführung zum Thema und ein stellenweise geradezu schauspielerisch dramatisierter Vortrag des Philosophen Baal Müller über "Nietzsches Krisen" ergänzten das Programm bei Rotwein und Kerzenlicht mit würziger Leichte.

So wie Karlheinz Weißmann mit seiner Untersuchung des Begriffs "Krise" das Thema eröffnet hatte, schloß er es mit der Untersuchung der Frage: "Was ist Dekadenz?" Er analysierte verschiedene gesellschaftliche Phänomene als Dekadenzerscheinungen. So sei Politik zwar schon immer anfällig für Korruption gewesen, doch wenn korrupte Politiker wiedergewählt würden, wie etwa in Belgien geschehen, so verdiene dieser Umstand durchaus die Bezeichnung "Massenmachiavellismus" (Friedrich Meinecke). Als letztes untrügliches Zeichen für Dekadenz allerdings erscheint Weißmann die Haltung der Menschen, die angesichts der Krise nicht mehr fragen "Was werden wir tun?", sondern "Was wird geschehen?"

Wenn auch wegen des engen Zeitrahmens viel Wünschenswertes wegfallen mußte, so gelang es dem "Institut für Staatspolitik" doch, einen fundierten Einstieg ins Thema zu bieten. Allerdings hat das Institut mit der Wahl des Themas "Krisen" und der Behandlung des Gegenstandes seinen praxisbezogenen Ansatz deutlich gemacht. Offenbar will man Konkretes aufgreifen, Vorschläge formulieren und Ergebnisse erzielen.

Die Initiatoren verweisen abschließend auf das hohe Teilnehmer der Besucher und erinnern an Erfahrungen mit früheren Projekten, vor deren Hintergrund diese Veranstaltung als Erfolg verbucht werden kann. Karlheinz Weißmann gab gegenüber den Besuchern zu bedenken, daß es "Sie eigentlich alle gar nicht geben dürfte", da die vorherige Generation in dieser Hinsicht nichts hinterlassen habe. Götz Kubitschek erinnerte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT daran, daß es um "erste Schritte" gehe, also darum, solche Veranstaltungen erst einmal zu institutionalisieren, um sie dann qualitativ weiter ausbauen zu können. Der hohe Grad an Zustimmung, den die Sommerakademie bei den Teilnehmern in der Schlußaussprache fand, zeigt, daß dieses Ziel erreicht wurde.

Und so wird über eine Winterakademie Anfang nächsten Jahres bereits nachgedacht. Zudem sollen die Aktivitäten des Instituts in puncto politischer Bildung ausgeweitet werden: Am 16. September startet die erste Veranstaltung aus der Reihe "Berliner Kolleg", eine Podiumsdiskussion mit namhaften Gästen wie Roland Baader, Alain de Benoist, Lothar Höbelt und Karlheinz Weißmann zum Thema "Freiheit – Gemeinsamkeiten und Gegensätze zwischen Liberalen, Libertären, Konservativen und der Nouvelle Droite".

 

Informationen: Institut für Staatspolitik, Alte Frankfurter Straße 54, 61118 Bad Vilbel, Tel./Fax: 0 61 01 / 50 11 20, www.staatspolitik.de


 
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