© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/00 01. September 2000

 
Orientalische Spiele
Thomas Pekar folgt Ernst Jünger auf seinen Reisen in die Gegenräume der Moderne
Tobias Wimbauer

Ernst Jünger und der Orient? Was auf den ersten Blick abwegig erscheinen mag, erweist sich bei der Lektüre des Pekarschen Opus über "Ernst Jünger und der Orient "als hochinteressante Fragestellung.

Zu dieser Arbeit ließ sich Thomas Pekar, der erste Ernst-Jünger-Stipendiat des Landes Baden-Württemberg, bei einem langjährigen Asienaufenthalt anregen. Es kommt dem Buch sehr zugute, daß es nicht nur aus der Sicht eines Germanisten geschrieben ist, sondern daß auch die Kenntnis der orientalischen Lebenswelt mit einfließt.

Einführend stellt Pekar die Bildung des literarischen und kulturhistorischen Topos "Orient" dar, der insbesondere in der Romantik Wirkung zeitigte. Mit Bachofen wurde das Orientbild durch die Komponente des mütterlichen Prinzips bereichert, dem freilich tatsächlich eine patriarchal geprägte Welt gegenüberstand (und steht). Im Persien-Feldzug Alexanders des Großen fand das historische Aufeinandertreffen von Orient und Okzident statt, gipfelnd in der Zerschlagung des Gordischen Knotens (titelgebend für Jüngers Essay über Ost und West, 1953).

Wie schon Claudia Gerhards in "Apokalypse und Moderne" (siehe JUNGE FREIHEIT 28/00) versucht Pekar herauszufinden, was Jüngers Antwort auf die "entzauberte" (Max Weber) und rationalisierte Technikwelt gewesen sei.

Aufschlußreich ist hier Pekars Einteilung der "Phasen" der Technik-Rezeption Jüngers: die "romantische Technikfeindschaft" bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, der "revolutionäre Überbietungsversuch der Technik", der im "Arbeiter" 1932 seinen Höhepunkt fand und schließlich eine "konservative Technikkritik" die in den Dreißigern ansetzt und die einhergeht mit einer vierten Haltung, der "magischen Techniküberwindung".

Jüngers Orientbild (das nach Pekar Afrika, Asien, den Nahen Osten und auch den Kaukasus einschließt) ist geprägt durch die früh einsetzende Lektüre der Geschichten aus "Tausendundeiner Nacht", die Pekar als "eine Art Fundament" von Jüngers Erzählen ansieht, durch Abenteuerromane etwa von Karl May, Defoe, Kipling, Conrad oder James F. Cooper, die für Jünger eine "feste Reservestellung" gegen die "Zugriffe des Alltäglichen" darstellten, sowie vieler Reiseberichte (man denke nur an Henry Morton Stanleys "Quer durch den dunklen Erdteil" oder Heinrich Wißmanns "Zweite Durchquerung Äquatorial-Afrikas").

Der Orient ist zunächst ein rein imaginärer Zufluchtsort, gewissermaßen ein "Gegenraum" zur Moderne (oder "Ferntraum", Ernst Bloch), auf den sich Jünger als Unterprimaner in sommerlichen Treibhaussitzungen einstimmte. Friedrich Georg Jünger berichtete: "Er sann nur noch darüber nach, wie er in die Tropen kommen konnte." Die "unbestimmte Sehnsucht nach anderen Welten" (Jünger), nach magischen Reichen in ihrer Ursprünglichkeit, ließ Jünger zur Fremdenlegion ausreißen.

Auch Alfred Kubins Roman "Die andere Seite" findet Eingang in den "Orient-Diskurs" Jüngers (der sich nach Pekar übrigens keineswegs in einem dialektischen, sondern in einem dualistischen Weltbild bewegt), indem unter dem Begriff der "anderen Seite" Vorstellungen des "Abenteuerlichen", des "Dämonischen", "Magischen" usw. subsumiert werden. Diese "andere Seite" wird im "Orient" verortet. Exemplarisch werden einzelne Orient-Diskurse behandelt:

? "Zerstörung des romantischen Orients"; Desillusionierung durch Erkennen des Auseinanderklaffens der phantastischen Orient-Projektion und der erfahrenen Wirklichkeit als Fremdenlegionär ("Afrikanische Spiele"). Als symbolischen Akt der Abkehr von der Phantasie-Welt nennt Pekar, daß Helmut Berger, der Protagonist der "Afrikanischen Spiele", sein Exemplar eines Afrika-Buches, dessen Titel an Stanley gemahnt, ins Meer wirft. Bleibt zu ergänzen, daß auch Jünger nach Erscheinen sein Exemplar der "Afrikanischen Spiele" zu Beginn der "Atlantischen Fahrt" über Bord wirft, aus ähnlichen Motiven: weil "die Idee stets unerreichbar bleibt und vor dem Traumesglanze die Niederschrift verblaßt".

"Polarität", die tiefe Gegensätzlichkeit von Orient und Okzident, etwa in den Beobachtungen der Zerstörung und des Nihilismus in den "Kaukasischen Aufzeichnungen" oder im "Gordischen Knoten" die Auseinandersetzung und Begegnung von Ost und West, deren Gegensatz vornehmlich auf der Frage der Freiheit beruht, was sich bis in die Form der Kriegsführung äußert (auch ein Grund dafür, daß im Zweiten Weltkriege zwei "grundverschiedene Feldzüge", so Jünger, geführt wurden). Im postulierten "Weltbürgerkrieg" finden sich Ost und West vereint.

??"Austausch". In der Droge, im Rausch, findet die geistige Begegnung von Orient und Okzident statt, zur Trias erweitert durch Mexiko.

??"Zeichen des Übergangs". Der "Eintritt der Erde in ein neues Zeitalter", in das titanische Zeitalter, der sich in Ziffern, Zeichen, Ideogrammen manifestiert. Im Übergang droht zum Beispiel ein "reduziertes Englisch als Weltsprache" (dies zeigt sich heute deutlich in unserem Land, das auf dem "besten" Wege dorthin eine weitverbreitete reduzierte deutsche Sprache spricht, durchsetzt mit Anglizismen). Das "Gegenprogramm" ist die "Vergeistigung", die Natur quasi als (deutbare!) Hieroglyphe.

Pekar zusammenfassend: Jünger ist ein Autor, der mit dem "Orientalismus" beginnt und ihn schließlich destruiert, "damit wäre (…) das Feld freigeräumt für das 21. Jahrhundert".

Bei dieser Gelegenheit sei die Legende beseitigt, die sich in einigen Jünger–Büchern der letzten Jahre findet und auch von Pekar wiedergegeben wird, daß die auf Jüngers "tempestatibus maturesco"-Ex-Libris abgebildete Lampe eine Darstellung von Aladins Wunderlampe sei. Zu seinem Ex-Libris schrieb Ernst Jünger in einem unveröffentlichten Brief vom 31. Dezember 1955 an seinen späteren Verleger Ernst Klett: "Unten dann eine antike Lampe als Sinnbild der Studien." Also: kein Aladin und auch kein Atomzeitalter (wie andernorts schon zu lesen war). Inspiriert wurde Jünger möglicherweise von dem Ex-Libris Alfred Kubins für Alfred Klemenz, welches eine solche Lampe, von einer Schlange umringt, darstellt.

Pekar hat eine vorzügliche Arbeit vorgelegt, die viele Hintergründe zu erklären vermag, und einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum Verständnis der Werke Jüngers geleistet.

Thomas Pekar: Ernst Jünger und der Orient. Mythos – Lektüre – Reise. Ergon, Würzburg 1999 (= Literatura. Wissenschaftliche Beiträge zur Moderne und ihrer Geschichte. 11), 263 Seiten, 89 Mark


 
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