© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/00 01. September 2000

 
CD: Pop
Überlebt
Holger Stürenburg

Daß die Synthipopmusik der achtziger Jahre zumeist narzißtisch, körperbetont-elegant, hedonistisch, leicht dekadent und vollkommen romantisierend daherkam, ist bekannt. Viele Bands tauchten plötzlich auf, schufen ein oder zwei hinreißende Hits, verschwanden jedoch schnell wieder von der Bildfläche. Die meisten Gruppen, die mit wehenden Synthiklängen und romantisch-triefender Lyrik unsere Adoleszenz im Zuge der kühlen Dekade subventionierten, hatten keine bleibende Wirkung hinterlassen und uns zur Dekadenwende nichts mehr zu sagen gehabt. Bei Alphaville, jener einst im westfälischen Münster und heute in Berlin ansässigen Popband, ist dies jedoch alles ganz anders!

Natürlich hatten auch sie Mitte der achtziger Jahre ihre besten Tage, konnten sie bereits mit ihrer allerersten Single "Big in Japan" einen Nummer-1-Hit erzielen, und mit weiteren Schmankerln der Sorte "Sounds like a Melody", "Universal Daddy" oder "Jet Set", kommerziell höchst erfolgreich, das Yuppietum der mittleren Achtziger zeitnah und gewitzt untermalen. Aber Alphaville sind nicht nur heute noch immer im Geschäft, sondern haben uns einst mit ihrer Ballade "Forever Young" letztendlich den spezifischen und einzigartigen Soundtrack unserer Jugend erschaffen: "I want to be forever young!" – so daß wir sie, im Gegensatz zu vielen anderen Genrekollegen, niemals vergessen konnten! Das wollten wir doch damals alle, für immer jung sein; niemandem von uns war klar, daß die Achtziger – und mit ihnen die eigene Jugend – einmal zu Ende gehen werden. Von Wiedervereinigung, Globalisierung und Neuer Mediengesellschaft war noch nichts bekannt, als wir alle auf dem Schulhof sangen: "I want to be forever young!"

Jung sind auch Alphaville nicht geblieben, zumindest körperlich. Aber phantastisch "jung" klingt noch immer ihre Musik: Ihre mal romantisch-warmen, mal klirrend-kalten, aber immer tanzbaren und eingängigen Pophymnen, derer 13 nun als Live-Versionen – sämtlich in den letzten vier Jahren all over the World mitgeschnitten – auf CD vorliegen.

Obgleich das Album "Stark Naked and Absolutely Live" mit dem Sticker "includes their worldwide Hits" versehen ist, so bleiben doch die Gassenhauer in der Minderzahl. Viel eher scheint Frontmann und Texter Marian Gold – der einzige, der von der Urbesetzung übrig geblieben ist – für diese CD neben ein paar Hits vor allem seine speziellen, eigenen Favoriten herausgesucht zu haben.

Selbst wenn zu Alphaville-Songs meist nur getanzt und wenig gedacht wurde, so wollte Marian Gold doch immer wieder interessante politische, gesellschaftliche, zwischenmenschliche Problemfelder in seine Texte einbauen. So ist zum Beispiel "Big in Japan", Alphavilles Debüthit, zu dem im März 1984 die Welt der Teenagergirls Discofox tanzte, die deprimierende Geschichte eines drogensüchtigen Strichmädchens, oder "Jerusalem" ein Lied über Hippies und deren Wunsch nach Frieden. Beide Songs befinden sich teils in rockigen, teils in balladesken, pianoorientierten Fassungen ebenfalls auf "Stark Naked und absolutely Live". Weitere Songs des gelungenen Livealbums sind, neben den Hits "Sounds like a Melody" und "Dance with me" (Vorsicht: Erst als "hidden track" zu finden!), Golds spätere Solohits "Cosmopolitician" und "Wishful Thinking" sowie interessante, aber bislang eher unbekannte Lieder wie "Guardian Angel", "New Horizon" oder "Flame".

Trotzdem will die Achtziger-Jahre-Stimmung bei dieser Version einfach nicht aufkommen. Vielleicht sind Alphaville im Jahre 2000 einfach fehl am Platze. Auch wenn sie selbst dazu nichts beigetragen haben, sondern sich nur das kulturelle, politische und zwischenmenschliche Umfeld gegen Alphaville und die New Romantics entschieden hat!


 
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