© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    36/00 01. September 2000

 
Die Stadt, das Geld und der Tod
"American Psycho": Vom Schock der eigenen Unschockierbarkeit
Silke Lührmann

American Psycho" ist die satirisch – man könnte auch sagen: ins Alberne – überzogene Geschichte des 27jährigen New Yorker Börsenmaklers Patrick Bateman, der – der Sterilität seines überprivilegierten Yuppiemilieus so ausgeliefert wie entfremdet – zum psychopathischen Serienmörder wird. Seine Gewalttaten sind Hilferufe, Versuche, die Schallmauer um seine empfindsam-empfindungsleere Seele zu durchbrechen. Leider lassen sie seine Mitmenschen völlig kalt. Allzu nahtlos fügt sich Patricks Mordlust in den freudlosen Hedonismus seiner Clique ein, allzu reibungslos gehen seine obsessiven Geständnisse im ständigen Wortgeplätscher unter: Hat er tatsächlich "murders and executions" als sein Spezialgebiet angegeben oder doch nur harmlos – wie seine Gesprächspartnerin versteht – "mergers and acquisitions" ("Fusionen und Übernahmen")? Aus Neid tötet er schließlich auch einen Konkurrenten, der es gesellschaftlich und beruflich weiter gebracht hat, und entkommt nur dank einer komödiantischen Identitätsverwechslung und der Inkompetenz des auf den Fall angesetzten Detektivs (Willem Dafoe) einer Verhaftung.

So will es Mary Harrons Film. "Eigentlich bin ich gar nicht da", versichert uns Patrick, während er sich verzückt im Spiegel betrachtet. Ihm zu glauben, verlangt dem Zuschauer viel Vorstellungskraft ab, denn verschmitzt lächelt ihm das vergleichsweise ausdrucksstarke, durchaus charmante Gesicht Christian Bales entgegen. Auch Reese Witherspoon als seine Verlobte Evelyn strahlt viel mehr Persönlichkeit aus, als in Bret Easton Ellis‘ Romanvorlage (1991) angelegt ist, und selbst Patricks Freunde weisen im Film rudimentäre Charakterzüge auf. Einzig Samantha Mathis, die Patricks gelegentliche Bettgefährtin Courtney spielt, wird ihrer Rolle als perfektionierter "Hartkörper" gerecht.

Der Roman dagegen hält die Perspektive des Ich-Erzählers zunächst so konsequent ein, daß man sich erst auf der vierten Seite seiner körperlichen – statt nur narrativen – Präsenz sicher sein kann. Wahrnehmung ist ein Palimpsest beliebig austauschbarer Schriftzeichen: von blutroten Graffiti-Botschaften über die allgegenwärtigen Reklamen für das Hit-Musical "Les Misérables" bis zu den goldenen McDonald’s-Bögen. "Gebt alle Hoffnung auf, die Ihr hier eintretet!" verkündet der Text mit der ersten Zeile und schließt den Leser in einer Welt der Privilegien ein. Er beginnt mit dem Blick aus einem Taxifenster und endet in einem Nachtklub, mit der Beschriftung an einer Tür, die in ihrer absurden Willkür an Kafka oder Orwell erinnert: "This is not an exit". ("Hier kein Ausgang".) Die geklont wirkenden Figuren dieser Scheinwelt verwechseln sich ständig gegenseitig, so hart haben sie im Fitneßstudio, auf der Sonnenbank und bei der Zusammenstellung ihrer Garderobe daran gearbeitet, alle Regungen von Individualität auszumerzen – und sind dennoch bereit, Unsummen für persönlich gestaltete Visitenkarten zu investieren.

Gewalt –in der amerikanischen Kulturgeschichte immer wieder als Befreiung aus der Zivilisation und Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, Authentischen begriffen – gerät hier zur Wiederholung längst verbrauchter Bilder und Effekte und liest sich wie von der Leinwand eines drittklassigen Thrillers abgeschrieben: mindestens ebenso langweilig wie ekelerregend. Schockierend wirkt dabei hauptsächlich die Erfahrung der eigenen Unschockierbarkeit.

Harron hat die Gewaltexzesse des Romans – mit Rücksicht auf den Eklat um die Veröffentlichung des Romans und sicher zur Erleichterung vieler Zuschauer – auf ein erträgliches Minimum heruntergeschraubt. Erspart bleiben dem Kinopublikum auch die seitenlangen Kataloge exklusiver Markenartikel mitsamt den dazugehörigen Werbeslogans, die beim Lesen die eigentliche Tortur ausmachen. Ein Kameraschwenk durch das minimalistische Weiß der Wohnung genügt; kurz und schmerzlos wird der Zuschauer mit einer Auswahl der unzähligen Kosmetika vertraut gemacht, mit denen sich Patrick allmorgendlich präpariert.

So etwas wie moralische Verdammung ist allenfalls in den Augen einer Prostituierten (Cara Seymour) zu lesen, die Patrick zunächst mißhandelt und dann, weil sie ihm eine zweite Chance gibt, tötet, und im hilflosen Weinen seiner Sekretärin (Chloe Sevigny), als sie die obszönen Kritzeleien entdeckt, mit denen er seine Arbeitszeit totschlägt, und sich glücklich schätzen muß, mit einem gebrochenen Herzen davongekommen zu sein. Der soziologische Kommentar ist beabsichtigt: Christie und Jean sind normale Frauen, keine makellosen Luxuspüppchen, und sie sind – anders als etwa Courtney und Evelyn – wirtschaftlich von Patrick und seinesgleichen abhängig.

Die Logik des Spätkapitalismus hat etwas philosophisch Bestechendes, das dazu verführt, in den endlosen Kreisläufen von Vermarktung, Konsum und Entsorgung die Sinnlosigkeit menschlichen Lebens und Sterbens reproduziert zu sehen. Daß dieser Kreislauf ein Kurzschluß ist, der sowohl Herstellung als auch Nutzen ausklammert und echtes Verlangen in Impulskäufe und PR-Strategien kanalisiert, dafür existiert in "American Psycho" keinerlei Bewußtsein. Insofern ist die einen Laib Brot zerhackende Hand, die den Film eröffnet, ein – zugegebenermaßen effektiver – Stilbruch. Essen ist in dieser kalt gewordenen Welt kein menschliches Grundbedürfnis, sondern ein komplexes Regelwerk ständig wechselnder Moden; aus Nahrungsmitteln werden Designelemente. Selber zu kochen ist ebenso verpönt wie Live-Musik. Kein Wunder, daß Patrick seinen Mangel an Küchenerfahrung auszugleichen sucht, indem er Leichenteile kochen will und Evelyn einen WC-Duftstein als feines Törtchen zum Dessert anbietet. Auch Wasser und Sonnenschein, deren Naturgegebenheit selbst der denaturalisierten Postmoderne noch selbstverständlich ist, werden zu Produkten mit Markennamen und Preisschild und damit zu Prestigeobjekten. Nicht zufällig verweist die dem Text vorangestellte Beteuerung seiner Fiktionalität nicht nur, wie üblich, auf Personen, Orte und historische Ereignisse, sondern auch auf "die Produkte und Dienstleistungen irgendwelcher Firmen".

Seinen ohnehin schon parasitären und unproduktiven Beruf übt Patrick nicht einmal aus. Er hat sich lediglich die Attrappen des damit einhergehenden Lebensstils zugelegt: eine Sekretärin, deren einzige Aufgabe darin besteht, Tischreservierungen in exklusiven Restaurants vorzunehmen und wieder rückgängig zu machen, ein teuer eingerichtetes Büro – im Film weit weniger imposant, als man es sich vorgestellt hat –, in dem er fernsieht und Musik hört. Solange er die richtigen Marken trägt und die richtigen Restaurants und Nachtklubs zu besuchen weiß, scheint dies seinen Freunden genausowenig aufzufallen wie den Rezensenten des Romans.

Als soziale Verantwortung und Verpflichtung bleibt einzig die Rückgabe von Videofilmen: Die Zirkulationskette der vervielfältigten Bilder darf keinesfalls unterbrochen werden. Eine andere Art der Reproduktion, die biologische, findet hingegen nicht statt; Kinder sind kein Thema in Patricks Bekanntenkreis.

Der "American Psycho" des Films ist ein Produkt seines sozialen Umfelds. Im Roman gibt es keine Gesellschaft – ein Begriff, dem immerhin noch ein Beigeschmack des Organischen, historisch und gar natürlich Gewachsenen anhaftet –, sondern nur künstlich geschaffene Zeichenordnungen: die der Sprache und die des Geldes. Beide sind gleichermaßen artifiziell, arbiträr und allmächtig; aus beiden verweigert der Text jeglichen Ausbruch. Ob Patrick seine Morde "wirklich" begeht, ist im Buch ebenso ambivalent wie irrelevant; irrelevant deshalb, weil die Schilderung eines Tagtraums genauso quälend zu lesen ist wie die einer – auf der fiktiven Handlungsebene – wirklich geschehenen Gewalttat: die Worte sind dieselben.

Daß Patrick ein äußerst unzuverlässiger Gewährsmann für das Erzählte ist, kann der Leser anhand zahlreicher kleiner Fehler, die geschickt in seine Exkurse über Popmusik eingebaut sind, ohne weiteres verifizieren. Phil Collins, Whitney Houston und Huey Lewis heißen seine überraschenden Vorbilder, in deren Musik er eine wachsende Reife und Menschlichkeit zu entdecken vermeint – Attribute, die er um sich herum zu Recht vermißt, die sich aber in der durchkommerzialisierten Musik der achtziger Jahre auch nur bedingt verorten lassen. Im Buch folgen diese Monologe den Mordszenen unmittelbar in eigenständigen – und eigentümlichen – Kapiteln. Der Film unterlegt sie den Gewaltszenen als makabre Situationskomik: "Hip to be square", die Bekenntnishymne einer durch Ironie befriedeten Generation, lädt zum hysterischen Mitsingen ein, während Patrick rhythmisch die Säge schwingt.

So wie sie in "I Shot Andy Warhol" (1996) den Stil der sechziger Jahre nachvollzog, hat die in Kanada geborene BBC-Dokumentarfilmerin Harron nun eine fetischistische Hommage an die unterkühlten Achtziger gedreht, die im Fahrwasser nicht enden wollender Depeche-Mode-Partys und der Nostalgie nach der alten Weltordnung sicherlich ihr Publikum finden wird.

Der eigentlich verstörende Effekt von Film wie Buch ist, daß sowohl die Satire als auch der Systembegriff so absolut sind, daß dem Rezipienten jeder Vernunftpol entzogen wird. Dagegen wehrt man sich mit der allzu komfortablen Einsicht, daß es in Wirklichkeit so schlimm doch gar nicht um uns bestellt sei: Wir mögen zwar in etwas befangen sein, das wir weder überschauen noch aufhalten können, doch in den Stahl-und-Glas-Schluchten unseres Alltags scheint wenigstens ab und an gratis die Sonne. Solange Modernisierungsgewinner nur virtuell, per Computer und Telefon, Existenzen vernichten, statt nachts mit Axt und Bohrmaschine zu wüten, ist alles gut.

 

Silke Lührmann hat Literaturwissenschaft in Marburg und Yale studiert und arbeitet zur Zeit an ihrer Promotion zum Thema Gewalt und Fiktion.


 
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