© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/00 25. August 2000

 
BLICK NACH OSTEN
Versunkene Illusionen
Carl Gustaf Ströhm

Die Katastrophe des russischen Atom-U-Boots "Kursk" hat nicht nur die schwere Krise, sondern in gewissem Sinne bereits den Zerfall der russischen Militärmacht offenkundig werden lassen. Gleichzeitig versank auch die im Westen gehätschelte Legende von der "Sicherheitspartnerschaft" zwischen Moskau und der Nato in der Barent-See.

Enthüllend war bereits das Erscheinen der russischen Generäle im Brüsseler Nato-Hauptquartier, wo sie offensichtlich widerwillig gezwungen waren, um westliche Bergungshilfe zu bitten – zu spät allerdings. Schon ihre Körpersprache verriet, daß die hohen russischen Militärs nicht das Gefühl hatten, Freunde zu besuchen. Nein, diese Admirale fühlten sich wie in Feindesland – jede Geste verriet die Abwehrhaltung von Menschen, die sich – unter demütigenden Bedingungen – in die "Höhle eines Ungeheuers" begeben mußten. Die Optik war dramatisch genug: Auf der einen Seite, schlank und in legeren Uniformen die hohen Nato-Offiziere und Generäle. Ein deutscher Oberst parlierte – wie könnte es inzwischen anders sein – mit den russischen Gästen auf englisch. Auf deren anderen Seite die Russen, die aussahen, wie man sie sich seit Stalins oder Chrustschows Zeiten vorstellt. Weder Gorbatschows Perestrojka noch Jelzins wilde Liberalisierungen haben das Erscheinungsbild grundlegend verändert: Da stiegen vierschrötig-untersetzte Männer in unvorteilhaften schwarzen Uniform-Zweireihern aus dem Wagen. Sie trugen mehrere Reihen von Ordensspangen, als ginge es zur Parade auf dem Roten Platz. Dazu hatten sie jene überdimensionierten weißen Tellermützen (inzwischen ohne Hammer-und-Sichel-Stern) aufgesetzt, die für sich allein schon eine Studie wert wären – Imponiergehabe bis zum Exzeß: Wir wollen auch Weltmacht sein!

Was immer die Kursk-Katastrophe an die (Wasser-)Oberfläche bringt – eins ist sicher: Die "russische Seele" wird dem "Westen" die bewußt oder unbewußt zugefügten Demütigungen nicht so schnell verzeihen. Engländer und Norweger haben den Russen gezeigt, wie man`s macht – während die russische Seemacht nichts zustande brachte. Solche Situationen bringen nicht Freundschaft und Dankbarkeit, sondern Abneigung und Mißtrauen: Der andere hat mich in einem "schwachen Augenblick" gesehen.

Jene westlichen Militärs und Politiker, die meinen, es genüge, dem russischen Partner jovial auf die Schulter zu klopfen, verkennen das tiefe Mißtrauen gegen den Westen. Es kursierten in Rußland Gerüchte, die Engländer – die "scheinheilig" ihr modernstes Rettungs-U-Boot schickten – hätten den Kursk-Untergang verschuldet. Nun wolle der Westen auch noch das "Allerheiligste" ausspionieren!

"Rußland ist eine Flamme, die wärmt, ohne zu leuchten – der Westen ist eine Flamme, die leuchtet, ohne zu wärmen" – dieser Satz eines russischen Exilanten trifft die Situation. Das gedemütigte Rußland greift in extremen Momenten auf alte, teils vorsowjetische Metoden zurück: Alles geheimhalten – die Schuld Saboteuren und dem feindlichen Ausland zuschieben.

Der Westen wiederum tut sich schwer, Herablassung und ironisches Befremden zu verbergen – was – kombiniert mit plumper Anbiederung – das ganze noch viel schlimmer macht. Nikolai Gogols berühmte Frage: "Rußland, wohin jagst du?" bleibt weiter unbeantwortet.


 
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