© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    35/00 25. August 2000

 
Darf man stolz sein?
Günther Nenning

Unlängst ertappte ich mich bei einer rechtsextremen Gedankensünde, zum Glück waren die drei Weisen schon abgereist. Ich sah in einer deutschen Zeitung das Foto eines Rechtsextremen, von hinten, feister Nacken, geschorener Schädel, ein Typ zum Fürchten. Auf seiner Jacke ein Aufnäher – "Sticker" heißt das auf deutsch – "lch bin stolz ein Deutscher zu sein".

Die Zeitung schrieb drunter: "Ein typisch ostdeutscher Rechtsextremer." – Und ich ertappte mich bei dem absolut unkorrekten Gedanken: Was ist dran eigentlich falsch, wenn einer stolz ist, ein Deutscher zu sein?

Es ist nicht sehr originell, es ist nicht intellektuell, feinere Leute haben feinere Gedanken. Kultur, Kunst, Weltbürgertum und so. Aber was ist dran falsch?

Na ja, wenn einer als Österreicher meint, er sei stolz, ein Österreicher zu sein, wird er womöglich auch als Rechtsextremer eingereiht. Aber wer da sagt: Ich bin stolz, ein Amerikaner zu sein – ich bin stolz, ein Franzose zu sein – usw. usf. – lauter Rechtsextreme?

Wahrscheinlich ist der Typ auf dem Foto wirklich ein schrecklicher Kerl, der außer diesem prinzipiell doch harmlosen Sticker noch alle möglichen anderen unguten Sprüche und Untaten drauf hat.

Aber wenn einer ein "Unterschichtler" ist, ohne höhere Schulbildung, ohne gute Berufsbildung, mit schlecht bezahltem oder gar keinem Arbeitsplatz – darf der arme Teufel nicht wenigstens stolz sein auf seine Nation – mit wenig Begründung sehr hilflos, aber halt stolz.

Eine Nation ist schließlich dazu da, das Gefäß zu sein, für die Sehnsüchte und freilebenden Gefühle der Menschen, die dieser Nation zugehören.

Wenn einer mehr hat als seine Nation, wenn er multikulti ist, gebildet und mit gutem Job und guter Zukunft – so ist das natürlich ganz wunderbar, aber wenn einer gar nichts sonst hat?

Damit sind wir beim Kern des Problems "Rechtsextremismus", das in Deutschland derzeit so heiß und hilflos diskutiert wird. Mehr Polizei – schärfer durchgreifen – Verbote: Kann das helfen?

Ausbildung und Arbeitsplätze – aber genau diese sind nicht in Sicht. Der Import von zehntausend Computerkundigen geht zudem schneller und kommt billiger.

Umerziehen die Burschen – zur Demokratie, auf die sie eine Wut haben, weil sie zu ihrem Anspruch auf Leben nichts beiträgt. Aber wer soll umerziehen und wohin? Gehört es zur Umerziehung, den jungen Menschen zu sagen: "Weil du ein Deutscher bist, bist du ein Schuldiger, du darfst nicht stolz sein, ein Deutscher zu sein."

Der hessische Ministerpräsident Koch traute sich neulich den Satz: "Die kleinen Leute haben Angst vor dem Verbot des Nationalstaats und fürchten, daß sie die Zeche der Globalisierung bezahlen müssen. "

 

Bei dem Text handelt es sich um einen vom Autor genehmigten Nachdruck der Kolumne "Anders gesehen" aus der "Neuen Kronen Zeitung" vom 17. August 2000


 
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