© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    34/00 18. August 2000

 
Rührung und Realismus
Burkhart Berthold

Zu den Dingen, die wir vermissen, zählt allemal eine Biographie über Joachim Fernau. Einen Schritt näher an diesen Autoren, der sein Leben lang auf Selbstdarstellung und Selbstentblößung verzichtete, leistet das Buch "Geschichten von Herr und Hund" (Herbig), das die Witwe des Autors, Gabriele Fernau, geschrieben hat. In ihm berichtet sie von Vierbeinern in München und Florenz, die sie und ihren Mann begleitet haben: Wir lernen Joachim Fernau kennen als praktizierenden Tierfreund, seinen italienischen Nachbarn ein sprudelnder Quell der Befremdung. Zugleich lernen wir auch diese Nachbarn der Fernaus kennen als ein fröhliches, gelegentlich etwas bizarres, aber im ganzen doch sympathisches Völkchen, mit dem man es gut aushalten kann – vorausgesetzt, man ist kein Hund. Die Tierliebe dieser Italiener kulminiert beim ossobucco milanese – oder bei einer knusprigen Portion selbstgeschossener Singvögel. Gerade unter dieser Jagdleidenschaft hat Joachim Fernau gelitten. Er empfand eine tiefe Liebe zur Schöpfung; sie durchzieht sein Werk und verleiht ihm Wärme – so ironisch und bisweilen sarkastisch es ist.

Bemerkenswert ist der flotte und präzise Stil von Gabriele Fernau. Wer als Leser der Erzählungen ihres Mannes bemerkt hat, wie pointiert gerade seine Frauen-Gestalten sprechen, spürt nun, wo er das Vorbild fand; manche der Dialoge des Ehepaars Fernau im Hundebuch erinnern an die besten Passagen in "Weinsberg". Natürlich könnte man sich wünschen, daß Gabriele Fernau etwa die Entstehung der schriftstellerischen Arbeit ihres Mannes in den Vordergrund der Skizze rücken würde. Aber zum einen teilt sie offenbar den Hang zur Diskretion, den ihr Mann besaß, zum anderen seinen Hang zur Ironie: Wir dürfen vermuten, daß sie nicht nur von einem benachbarten Bauern-Ehepaar spricht, wenn sie auf die Sage von Philemon und Baucis anspielt: "Zeus", schreibt Gabriele Fernau mit Blick auf ihre alte Nachbarin, die ihren Mann überlebt hat, "erfüllt keine Wünsche mehr." Nur findet sich diese Passage beinahe versteckt zwischen den Zeilen, bevor sie eine fröhliche Beschreibung des winterlichen Florenz beginnt – die plötzlich umschlägt, als ein kranker, vernachlässigter Hund den Fernaus ins Haus schneit und ans Herz wächst: der birnenfressende Wilhelm.

Gewiß sind die "Geschichten von Herr und Herr" zunächst eine vergnügliche Lektüre für Hundefreunde: Herrlich grotesk etwa die Fahrten und Abenteuer der großen Dogge Albert, die das Leben eines germanophilen Italieners verändert! Zugleich aber bietet dieses Buch einen willkommenen Einstieg in die Biographie eines Schriftstellers, über den wir gern noch viel mehr wüßten.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen