© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/00 11. August 2000

 
Die gelehrte Abenteurerin
Zum 100. Geburtstag der Publizistin Margret Boveri
Ulrike Imhof

Nach dem Mann, der mir imponiert, suche ich immer noch. Vielleicht ist er ein Wunschtraum." Sätze von diesem Kaliber erinnert am ehesten, wer anläßlich ihres bevorstehenden 100. Geburtstags an Margret Boveri denkt, die große alte Dame der politischen Publizistik in Deutschland. Vielleicht assoziiert man mit diesem hochmütig-stolzen Diktum auch Photos aus den dreißiger und vierziger Jahren, die von ihr tatsächlich den Eindruck eines resoluten Mann-Weibs vermitteln, mit dem in der Familie verbreiteten Unterkiefer eines Nußknackers, wie sie dies ganz uneitel nannte. Photos, die signalisieren, daß mit Fräulein Doktor Boveri, die zeitlebens unverheiratet blieb, nicht gut Kirschen essen war. Freunde durften daher mit gutem Grund davon überzeugt sein, daß die Journalistin vor keinem Menschen Angst hatte, ausgenommen vor ihrer Berliner Putzfrau Marie Becker – einer "galligen Sauberkeitsfanatikerin".

Das Charakter-Amalgam aus großbürgerlicher Souveränität, fränkischem Eigensinn und ihrem aus der Haßliebe zur amerikanischen Mutter gespeisten Unabhängigkeitsfuror hätte Margret Boveri, wenn sie nicht im Sommer 1975 an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben wäre, in den achtziger Jahren zu später Popularität verholfen. Womöglich mit Hilfe einer penetrant-vereinnahmenden Biographin wie Alice Schwarzer, die aus der Boveri eine Emanzipations-Ikone geformt hätte. Diese Art Ruhm einer Quotenfrau avant la lettre ist ihr zum Glück erspart geblieben. Stattdessen bereitete das sperrige Selbstdenkertum der lebenden das schnelle Vergessen der toten Publizistin vor.

Das ist wirklich eigenartig: Ohne Zweifel ist Margret Boveri die bedeutendste deutschsprachige Journalistin des20. Jahrhunderts, aber weder verfügen wir eine Generation nach ihrem Tod über eine bescheidensten Ansprüchen genügende Darstellung ihres Werdegangs, noch ist von ihren zahlreichen Werken mehr als ein Titel gegenwärtig im Buchhandel greifbar. Wer sich ihr opus magnum, die vier zwischen 1956 und 1960 in Rowohlts Deutscher Enzyklopädie veröffentlichten Bände "Der Verrat im XX. Jahrhundert" (von denen die ersten beiden immerhin in 75.000 Exemplaren abgesetzt wurden) beschaffen will, muß den Antiquar bemühen. Immerhin ist im Jubiläumsjahr zu vermelden, daß an der FU Berlin, am Lehrstuhl für Publizistik, eine Dissertation zu Leben und Werk entsteht, die aus dem umfangreichen Nachlaß Boveris schöpft, der wiederum in der Berliner Staatsbibliothek verwahrt wird und als Reservoir einer ab September zu besichtigenden Ausstellung dient, die anläßlich des 100. Geburtstags anhand von Schriftstücken und Photos die Vita der Journalistin Revue passieren läßt.

Eine sehr starke Liebe zu Deutschland empfunden

Das Unzeitgemäße, das seinen Tribut so über den Tod hinaus verlangt hat, ist das Signum der windungsreichen Biographie Margret Boveris. Als einzige Tochter des an der Universität Würzburg lehrenden, dicht am Nobelpreis vorbeigeschrammten Biologen und Genetikers Theodor Boveri (1862–1915) am 14. August 1900 geboren, Nichte von Walter Boveri, des Begründers des Weltkonzerns Brown, Boveri&Cie.AG, absolviert sie nicht das familiär vorgegebene naturwissenschaftliche, sondern ein philologisch-historisches Studium, das sie 1925 mit dem bayerischen Staatsexamen abschließt. Doch der Lehrerberuf behagt ihr nicht. Deshalb übernimmt sie, hoffnungslos unterbezahlt, aber erstmals, mit der Rückkehr in die Vaterwelt, eine berufliche "Erfüllung" findend, eine Stelle als Assistentin in der Zoologischen Station von Reinhard Dohrn in Neapel, wo sie bis 1929 bleibt. Daß sie in diesen Jahren ein Verhältnis mit einem an der Station tätigen "amerikanischen Neger" (Boveri), einem verheirateten Familienvater, hat, festigt ihren Ruf als enfant terrible. In der Weltwirtschaftskrise – im Gegensatz zu vielen Kommilitonen – finanziell abgesichert dank monatlicher Zuwendungen der Mutter, beginnt sie an der Berliner Universität bei Hermann Oncken ihre Doktorarbeit über britische Außenpolitik am Vorabend des Ersten Weltkriegs, studiert aber hauptsächlich an der Hochschule für Politik, von dem diffusen Wunsch beseelt, im Geist der Briand-Stresemannschen Europapolitik beruflich einst irgendwie zur "Verständigung" zwischen den Völkern beitragen zu können. Die dreißigjährige Doktorandin und Studentin durchlebt während der Agonie der Weimarer Republik eine "rötliche" Phase, sieht sich selbst als Internationalistin, Pazifistin, Philosemitin. Nach der NS-Machtergreifung, als viele Freunde emigrieren oder in den Untergrund gehen, stellt sie sich selbst drängend die Frage, Deutschland zu verlassen. Die Entscheidung zu bleiben, begründet sie vierzig Jahre später Uwe Johnson gegenüber damit, daß sie eine "sehr starke Liebe zu Deutschland" empfunden habe, ein Gefühl, "daß man sein Land nicht gerade dann verläßt, wenn es ihm schlecht geht". Schließlich hatte sie bei jedesmal kurz nach der Reichsgrenze "das starke Gefühl: das ist mein Land. Hier gehöre ich hin." Die positive Beziehung zur "Heimat", zu Berlin und zur fränkischen Landschaft ("das, worin man wurzelt, falls so ein Wort erlaubt ist"), immunisierte sie gegen die in ihrer Generation vorherrschende existentielle Unbehaustheit, von der viele der Zeitgenossen ergriffen waren, die die "Landschaft des Verrats" bevölkerten.

Während die Lehrer und Studienfreunde aus dem linksliberalen Weimarer Milieu also die Koffer packten, erstrebte Margret Boveri in der nach 1933 noch keineswegs gleichgeschalteten Presse einen exponierten Posten als Auslandskorrespondentin. Für die reichlich betagte, von Theodor Heuss verantwortete liberale Zeitschrift Die Hilfe, lieferte sie Artikel vornehmlich zu den politischen Konstellationen im Fernen Osten, fand aber keinen Zugang zu den wichtigen meinungsbildenden Blättern. In der von ihr über die Maßen bewunderten Frankfurter Zeitung (FZ) lehnte man sie als Frau ab, bei dem anderen liberalen Leitmedium der "Systemzeit", dem Berliner Tageblatt (BT), sprach zunächst ihr Alter gegen die Berufsanfängerin, die als Mittdreißigerin nicht über die geringste Erfahrung in der Pressearbeit verfügte.

Paul Scheffer (1883–1963), selbst eine extravagante "Existenz im Widerspruch", Philosophiestudent ohne Abschluß, Fisch im Wasser der Schwabinger Bohème, langjähriger, mit der ersten bolschewistischen Garnitur vertrauten Umgang pflegender Moskau-Korrespondent, verheiratet mit einer russischen Fürstin, übernahm 1934 die Chefredaktion des finanziell schwer angeschlagenen, auf Goebbels‘ Abschußliste stehenden "Judenblattes" BT, gab der Boveri gegen allerlei Widerstände einen Vertrag als Redakteurin,spannte sie sofort in die Leitartikel-Produktion ein und verhalf ihr in kurzer Zeit zu einem "Namen". Kräftig protegiert von Scheffer, machte Margret Boveri, immer noch im Bann linksliberaler Präferenzen – gegen das faschistische Italien und für das von Mussolinis Truppen überfallene Abbessinien, gegen Franco und für die spanischen "Roten" – eine erstaunliche Karriere als "Außenpolitikerin" des BT und als politische Reiseschriftstellerin. Ihre Reportagen aus den Krisenregionen am Mittelmeer und besonders aus dem Nahen Osten, wo sie die Kraftfelder erkundete, die zwischen Jerusalem und Teheran noch heute zu den konfliktträchtigsten des Planeten gehören, erschienen, zu dickleibigen Wälzern verknotet, 1936 ("Das Weltgeschehen am Mittelmeer") und Ende 1938 ("Vom Minarett zum Bohrturm. Eine politische Biographie Vorderasiens").

Ende 1936 ergatterte sie den begehrten Posten einer Auslandskorrespondentin in Rom, doch wenige Monate später, im Frühjahr 1937,nachdem Scheffer politisch bedingt zu Fall gekommen war, war es mit der BT-Herrlichkeit schon zu Ende. Dem neuen NS-Hauptschriftleiter reichte sie ihre Kündigung ein. 1937/38 ein berufliches Interregnum durchlebend, an der Europäischen Revue wie an der Deutschen Rundschau als freie Mitarbeiterin tätig, glückt es ihr 1938 endlich, bei der von ihr lang umbuhlten FZ zunächst als Reisekorrespondentin, 1939 als in Stockholm stationierte Auslandskorrespondentin unterzukommen. Aber das neutrale Schweden liegt abseits von der "schönen großen Politik", über die Frau Boveri berichten will, und es langweilt sie daher: "Wenn Prosperität, Wohlleben und Gedankenfreiheit und über hundertjähriger Frieden nichts anderes als diese Selbstzufriedenheit und Eitelkeit zur Folge hat, dann bin schon für ein kriegerisches und vor allem ‚gefährliches‘ Leben".

Besser ein kriegerisches
und gefährliches Leben

Mitte 1940 delegiert die FZ sie in die USA. Die Boveri bricht mit der Transsibirischen Eisenbahn Richtung Japan auf, wo sie in Tokio Richard Sorge kennenlernt, und bezieht im Oktober 1940 in New York ihren Posten, als "kein sehender Mensch" daran zweifelte, "daß Amerika sich am Kriege beteiligen werde. Debattiert wurde nur die Frage des Zeitpunktes". Die Heimat der Mutter ist ihr, gelinde gesagt, suspekt. Die negative USA-Erfahrung macht sie empfänglich für die Ideen der "Konservativen Revolution", so daß sie sich auf ihrem neuen Posten in Lissabon, nach ihrer Rückkehr im Mai 1942, in Ernst Jüngers "Arbeiter" und die "Stahlgewitter" vertieft, Bücher, die die "Anti-Militaristin aus Prinzip" und Remarque-Leserin nicht einmal als literarisches Ereignisse wahrgenommen hatte. Jünger lobt, als sie nach 1945 mit ihm korrespondiert, ihre "Amerikafibel" (1946), das Konzentrat ihres fast zweijährigen Aufenthalts in der Werkstatt des Konformismus und der Standardisierung, dem sie beängstigenden Umfeld der Entortung und des Nomadismus, als "Bestätigung meiner Thesen, da sie eine genaue Beschreibung des ‘Typus‘ in seiner amerikanischen Species enthält" (1947).

Im Frühjahr 1944, ein halbes Jahr nach dem FZ-Verbot nunmehr "freie" Publizistin, schlägt Margret Boveri Angebote der um sie werbenden deutschen Botschafter in Lissabon und Madrid aus, im Dienst des Auswärtigen Amtes weiter über die USA zu berichten. Die Sicherheit und die Annehmlichkeit, die man ihr in den neutralen Staaten der iberischen Halbinsel geboten hätte, vertauscht sie mit dem "gefährlichen Leben" in der vom alliierten Luftterror ("die Sprache der Herrschenden, etwa der Ausdruck ‘Terrorangriffe‘. Er stimmte eben") heimgesuchten Reichshauptstadt, wo sie in der Charlottenburger Wundtstraße eine Etagenwohnung bezieht. In diesen von ihr in zahlreichen Briefen fixierten "Tagen des Überlebens" (1968) setzt sie ihre auf Presse- und Rundfunkauswertungen gestützte USA-Berichterstattung fort, nun für das Goebbels-Flaggschiff "Das Reich", wo in der letzten Ausgabe am 22. April 1945 ihr Nachruf auf Franklin Delano Roosevelt noch erscheinen kann.

Die "Tage des Überlebens" vermitteln einmal mehr das Bild von der absolut furchtlos-tatkräftigen Margret Boveri, die mit ihrer Putzfrau Marie Becker noch Mitte April "zum Aussäen" ins Sommerhäuschen nach Teupitz aufbricht, wo sie in die russische Schlußoffensive gerät, ihr aber dank großer Nervenstärke in "geordneter Absetzbewegung" entkommt.

Die Journalistin, die, nicht zuletzt aufgrund enger Beziehung zu dem Diplomaten Adam Trott zu Solz, mit Widerstandskreisen in Verbindung steht, der NSDAP nie angehörte und stets ihre "Anti-Nazi"-Haltung pflegte, erwartet die nach Charlottenburg eindringenden Soldaten der Roten Armee auch deshalb mit stoischer Ruhe, weil sie Berichte über deren Greueltaten als NS-Propaganda einschätzt. Nach dem 8. Mai 1945 riskierte "Besichtigungsfahrten" zu Freunden nach Dahlem belehren sie eines Besseren: "Frau Giese und ihre vier reizenden Töchter und eine Frau v. Sydow und deren Tochter waren erhängt im Keller. Dazwischen lag ein schnarchender Russe. Die Frauen waren aber nicht durch das Erhängen getötet worden, sondern vorher vergewaltigt und übel zugerichtet worden, wohl Lustmord; die Leichen schleiften am Boden, – die vier Mädchen zwischen 8 und 14 Jahren hatte ich zuletzt beim Ostereiersuchen gesehen, da waren sie so vergnügt und lebenslustig." Margret Boveri hat diese dichten Schilderungen der im Westen viel später so genannten "Befreiung" erst 1968 veröffentlicht, weil sie fürchtete, sie würden in der Hochzeit des Kalten Krieges "für antisowjetische Propaganda mißbraucht". Das beschreibt eine wichtige Ausgangsposition der Publizistin, ihren Standort in der ungeliebten Adenauer-Republik, über den sie 1972, in einem Bekenntnis zu Willy Brandts Ostpolitik, schreibt: "Ich gehöre zu denen, die sich in den fünfziger Jahren mit Ingrimm für die Wiedervereinigung eingesetzt haben, allerdings immer unter dem Aspekt des geforderten Gesprächs mit der anderen Seite." Der US-Administration, dem "Kanzler der Alliierten" Konrad Adenauer sowie "ihrem" Westberliner Bürgermeister Ernst Reuter, beide für die Boveri Väter des "westdeutschen Separatstaates", maß sie den größeren Schuldanteil daran zu, das von den Sowjets noch in der Stalin-Note vom März 1952 vermeintlich ernsthaft angebotene "Deutschland als Ganzes" preisgegeben zu haben. Den 17. Juni 1953 ordnete sie daher eher als westliche, der deutsch-deutschen Entzweiung dienende Inszenierung ein, wie sie unter dem Eindruck der obligaten eigenen Erkundungen an Armin Mohler berichtet: "Natürlich war ich am 17. Juni in Berlin, und nicht nur das, sondern ich habe am Nachmittag, noch nicht ahnend, daß schon der Ausnahmezustand erklärt sei, einen mehrstündigen Spaziergang durch den Ostsektor gemacht, um mit eignen Augen zu sehen, wieweit die Zeitungsberichte stimmen, – wie immer stimmten sie natürlich nur halb. Ich sah erst einen jungen Mann in klein-rot-kariertem Hemd bester Textilware die ziemlich passive Menge, die beim Aktenverbrennen aus einem demolierten Bürohaus zuschaute, aufhetzen; und zwei Stunden später, nach der Rückkehr in den amerikanischen Sektor, denselben jungen Mann sich neue Instruktionen einholen. Im übrigen geht aber so vieles durcheinander: die echte, ganz unbezweifelbare Wut der Bevölkerung, die sich nun auch nicht so schnell wieder legt; die sehr undurchsichtigen Manöver des psychologischen Kriegs (hier sind soviel ich beurteilen kann, nur die Amerikaner und die SPD und Gewerkschaften tätig, – wieweit sie koordiniert sind, weiß ich nicht) und die geplante und nun durchkreuzte ‘neue Linie‘ der Semjonov-Politik, daß es sehr schwer ist, sich ein Bild zu machen." Ihr "Ziel Gesamtdeutschland" verfolgte die von Neutralisten-Zirkeln und Exponenten des "Dritten Wegs" weitgehend isolierte, allein mit dem Niekisch-Konfidenten Joseph Drexel in engem Kontakt stehende Publizistin bis in die Zeit nach dem Mauerbau. "Waffenstillstand, nicht Aufstand" betitelte sie 1962 ihren "Phasenplan" zum Wandel durch Annäherung. Einseitige, "vertrauensbildende" Vorleistungen des Westens sollten die UdSSR zur Öffnung der DDR bewegen. Berlins Vier-Mächte-Status sei dann sukzessive aufzuheben, die Jalta-Besatzer in der geteilten Stadt müßten durch polnische und holländische Soldaten ersetzt werden. Am Ende gewännen beide deutschen Staaten, trotz Zonengrenze und Mauer, einen Platz im föderativen Europa, das sich Boveri, wie ihr langjähriger Briefpartner Mohler, auf der Linie des anti-amerikanischen Generals de Gaulle als "Europa der Vaterländer" dachte. Erst im Bann sozialliberaler Ostpolitik nahm sie Abschied vom Projekt Wiedervereinigung. Da heute beide Deutschlands im West- und Ostblock die zweitstärksten Wirtschaftsmächte seien, gefürchtet, zum Teil wieder verhaßt, dürfe lautes Beharren auf nationale Einheit nicht fortgesetzt werden. Der Zusammenschluß beider so gegensätzlich organisierten, aber "in ihrer Tüchtigkeit zwillingsähnlichen deutschen Staatsgebilde" in der Mitte Europas sei im jetzigen Status unerträglich.

Solche Urteile der politischen Publizistin, die 1956 wegen ihrer Anti-Adenauer-Position nicht in die FAZ-Redaktion eintreten konnte, fand man seit 1947 in der Kulturzeitschrift Merkur, denn: "Diese große Journalistin mußte in Feuilleton und Literaturkritik emigrieren, weil sie, bis in die letzten Tage, Schwierigkeiten hatte, ihre oft unbequeme Meinung zu äußern. Auch das belegt ihr letztes Buch (‘Die Deutschen und der Status quo‘), am schlimmsten mit dem Vorwurf in einem Brief vom November 1953 an den Bundespräsidenten Heuss, ‘daß in der Tagespresse fast ebensoviel an meinen Artikeln gestrichen und geändert wird, wie unter den Nazis‘"(Rolf Michaelis in seinem Nachruf in der Zeit vom 11. Juli 1975).

Über die Pressefreiheit in Demokratien machte sich die Verfasserin eines grundlegenden Beitrags zur Pressegeschichte im Dritten Reich ("Wir lügen alle. Eine Hauptstadtzeitung unter Hitler", 1965 )nie Illusionen. Mohler, dessen Kritik der "neuen Gleichschaltung" sie als "hohnvoll-witzig" lobte, wollte sie darum nicht widersprechen, als er ihr 1954 schrieb: "Ich bin weiter der Meinung, daß man heute in Deutschland und in der Schweiz weniger frei ist als in Deutschland unter Hitler. Unter Hitler war nämlich der Zwang konkretisiert. Der Druck des Spätliberalismus ist anders: er ist anonymer, gesellschaftlicher Natur – man erkennt ihn nicht immer gleich und darum geht der Kampf noch unter meiner Haut weiter."

Im Gespräch mit Schmitt, Jünger und Mohler

Daß Margret Boveri sich selbst zu den in der "restaurativen Normalität Westdeutschlands unterdrückten Geistern aller Lager", zur non vocal opposition zählte, brachte sie fast von selbst ins Gespräch mit Mohler, Carl Schmitt und Ernst Jünger ("Jünger politisch gehört für mich zum Besten, was es gibt"; an Mohler 1951), dessen Nachkriegs-Oeuvre sie als Rezensentin kontinuierlich begleitete. Wie Schmitt, der ihr seinen "Nomos der Erde" gleich nach dem Erscheinen dezidierte, machte sie Front gegen die "universal-legalistische, auf eine Welt abzielende Ideologie der Vereinigten Staaten". Von Jünger bezog die Atheistin, die in der fünfziger Jahren vage meinte, "ohne Gott geht es nicht", wesentliche geschichtsphilosophische Bausteine, die ihr "Verrat"-Opus strukturieren, vor allem des Waldgängers und Inselfahrers Jünger verschiedene Chiffren für "Heimat", als "Widerstand gegen die Welt des beliebig Vertauschbaren" wie als Felsen im nihilistischen Strudel. Ob sie im "Verräter" nicht den Phänotyp des Heimatlosen sah, sondern wie der Jünger-Monograph Karl Heinz Bohrer meinte, eher den "individualistischen Typus des Abenteurers, den sie mit Trauer aus dem ominösen Spielfeld zwischen Politik, Literatur und Gesellschaft verschwinden sah", bliebe noch zu untersuchen. Außer Frage hingegen steht, daß sie selbst eine "gelehrte Abenteurerin" (Bohrer) war, die das Abenteuer und abenteuerliche Menschen liebte.


 
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