© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/00 11. August 2000

 
Pankraz,
Georg Simmel und der Hunger von König Midas

P ünktlich zum hundert sten Jahrestag des Er scheinens von Georg Simmels "Philosophie des Geldes" hat der Suhrkamp-Verlag jetzt eine neue Auflage des berühmten Buches herausgebracht, angereichert durch mancherlei biographisches und bibliographisches Material. Darunter ist eine interessante, von Simmel selbst verfaßte Anzeige, die 1901 im Börsenblatt erschien und die illusionslos den "Doppelcharakter" des Geldes darlegt. Sein Buch, schreibt Simmel, wolle zeigen, daß das Geld zwar ein eminenter Motor und Beförderer der Freiheit sei, daß es andererseits aber den Menschen entwurzele und seine Persönlichkeit zerstöre. Die Freiheit, die das Geld stifte, sei – für sich genommen – lediglich "negative Freiheit".

Im Buch selbst ist dieser Gedanke gar nicht so leicht zu entdecken, was auch an seiner passagenweisen Umständlichkeit und Geschwätzigkeit liegen mag. Die ersten Leser vor hundert Jahren nahmen jedenfalls ganz überwiegend die positiven Seiten des Geldes wahr, die Simmel mit vielerlei feinen Buntstiften ausmalte. Sein Opus galt in weiten Kreisen als eine Widerlegung des "Kapitals" von Marx, als eine willkommene, überzeugende Kritik an Marxens "historischem Materialismus" und dessen Verteufelung des Geldes als eines scheußlichen "Fetischs".

Das Geld bei Simmel war, schon in der Antike, die große Gegenmacht gegen die Macht der Krieger und Priester. Als Symbol des Tausches und des Marktes war es gleichzeitig Symbol aller friedlichen und einverständlichen Formen der Kommunikation, des Handels und Wandels. In seinem Zeichen konnten sich die Staaten spontan zu beiderseitigem Nutzen verständigen, das Geld überstieg die beschränkte Polis, wies über sie hinaus, machte den einzelnen von ihr frei.

Und indem es alles und jedes miteinander vergleichbar machte, verlieh es jeder Sache einen bestimmten "Wert" über ihren aktuellen Gebrauchswert hinaus. Es machte die Welt also "wertvoll" – und es machte sie gerecht. Das Geld war die lange gesuchte Waage, auf der sich alles ins Lot bringen ließ. Damit wurde es tatsächlich zu einem Fetisch, doch zu einem freundlich lächelnden, zu einem Abbild Gottes als dem Inbegriff der Gerechtigkeit und des vernünftigen Maßes.

F ür die lange Tradition der Verachtung des Gel- des, die ja nicht nur eine Sache der Marxisten war, sondern die ganze Geistesgeschichte durchzieht und sich gerade bei ihren größten Vertretern, von Aristoteles bis Shakespeare oder Molière, in der deftigsten Weise artikuliert, hatte Simmel nicht das geringste Verständnis. Wenn etwa Aristoteles, der typische Denker der Waage und des rechten Maßes, den Geldhandel als "Chrematistik", als eine Art höheren Gaunertums hinstellt, so ist das für Simmel lediglich Ausfluß von Ignoranz gegenüber dem "wahren" Charakter des Geldes, seiner "Funktionalität", die darauf angelegt sei, alles Materielle zu verflüssigen, zu beschleunigen und selber in Funktion zu verwandeln. Moralische Kriterien gehörten nicht in dieses Spiel.

Simpler Tauschhandel, so der wahrnehmbare Tenor der "Philosophie des Geldes", sei bloß eine Vorform und, bei entwickelter Geldwirtschaft, ein provinzieller Nebenaspekt der Funktion Geld. Deren eigent-liches Zentrum sei eben der Geldhandel, die Verwandlung von Geld in Kapital, das sich nur momentweise auf konkrete Verhältnisse einlasse, mit der Absicht zu "hecken" (Marx), d.h. sich selbst zu vermehren. Dabei ziehe es immer weitere Kreise, beziehe immer neue konkrete Lebensbereiche in
seine abstrakt-funktionale Vermehrungsabsicht hinein.

Zweifellos ist das richtig gesehen, aber entzieht es sich wirklich moralischer Bewertungen? Ist es wirklich ein Spiel ohne Verlierer? Gewiß (schon Simmel deutet es an), das marxistische Schema des historischen Materialismus, wonach "die menschliche Ware Arbeitskraft" den Deppen abgibt, sticht nicht, denn Ingenieurkunst und Wissenschaft setzen diese Art von Ware zunehmend außer Kurs: das Geld, die Investition in Fortschritt und Technik, "befreit" auch den Arbeiter, macht ihn mobil und (über)flüssig. Aber wollen wir diese Art Freiheit denn? Ist sie gottgewollt?

Wenn die Besitze", schreibt der nach denklich gewordene Simmel in seiner Selbstanzeige im Börsenblatt, "bei sehr rapidem Geldverkehr überhaupt nicht mehr unter der Kategorie eines definitiven Lebensinhaltes angesehen werden, so kommt es nicht mehr zu jener innerlichen Bindung, Verschmelzung, Hingabe, die der Persönlichkeit zwar Grenzen, aber zugleich Halt und Inhalt gibt. So erklärt es sich, daß unsere Zeit … ihrer Freiheit so wenig froh wird."

Gut gebrüllt, Löwe. Aristoteles (der "Unfunktionelle") hätte es kaum besser formulieren können. Er faßte die Kalamität bekanntlich unter dem Bild des Königs Midas, des geborenen Kapitalisten, der alles, was er mit seinem Körper berührte, in Gold verwandelte und darüber, bei allem Reichtum, elendiglich verhungern mußte. So, lehrte Aristoteles, werden wir alle verhungern, zuerst geistig und ästhetisch, wenn wir uns vorbehaltlos und vorkehrungslos dem reinen Geldhandel und der Lebensauffassung der Chrematistiker überlassen.

Friedrich Nietzsche hat das präzisiert, indem er empfahl: "Bei Geld und bei Wechslern muß man Handschuhe anziehen". Geld, fährt er fort, ist nötig, ein gut funktionierender Kapitalismus ist wie ein gut funktionierender Darmkanal, jedes Gemeinwesen braucht ihn, natürlich auch ein von aristokratischen Idealen beflügeltes Gemeinwesen. Aber man muß deshalb vor den Eingeweiden und ihrer Perestaltik nicht in Devotion versinken und ihnen blindlings opfern.

Der Nietzscheaner Georg Simmel hat das mit seiner "Philosophie des Geldes" glücklicherweise auch nicht getan. Das Buch ist deshalb auch nach hundert Jahren noch lehrreich und anregend – eine gut geschriebene Geschichte der sozialen Verdauung.


 
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