© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/00 11. August 2000

 
Hausbesuche nach der Sommerpause
Kampagne gegen Rechts: Jetzt schlägt in Deutschland die Stunde der Repression
Michael Wiesberg

Düsseldorf, 27. Juli: Bei einem Anschlag an einer S-Bahn-Sta tion werden zehn Passanten, vorwiegend Juden aus der früheren Sowjetunion, zum Teil erheblich verletzt. Den Sprengsatz identifizierten Polizei-Spezialisten als eine Rohrbombe, die in dieser Art bei früheren Attentaten noch niemals verwendet wurde. Bis heute ist unklar geblieben, wie genau die Handgranate aus britischer Produktion gezündet wurde.

Ebenso unklar sind bisher auch die Motive des Düsseldorfer Attentates geblieben. Für die veröffentlichte Meinung in Deutschland spielen derartige Nebensächlichkeiten freilich keine Rolle: der oder die Täter von Düsseldorf müssen ausgemachte "Rassisten und Neo-Nazis" gewesen sein. So machte der Express in Bonn zwei Tage nach dem Anschlag mit dem Foto einer durch die Explosion schwerverletzten schwangeren Frau, die ihr Baby verlor, und der reißerischen Schlagzeile auf: "Nazi-Bombe tötete ihr Baby".

Vorbereitet auf den kommenden "Terror von rechts" wurden viele "Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens" bereits durch den Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt, Ernst Uhrlau. Dieser warnte einen Monat vor dem Düsseldorfer Anschlag (Spiegel Online 25/00) davor, daß die wachsende Terrorbereitschaft der rechten Szene eine "gefährliche Zeitbombe" sei. Rechte Terroristen nähmen auch die Schädigung Unbeteiligter bewußt in Kauf. Zum gleichen Zeitpunkt monierte das Bundesamt für Verfassungsschutz die steigende Zahl rechtsextremer Webseiten, die offen Rassenhaß und die Anwendung von Gewalt propagierten und auf denen sich sogar "detaillierte Anleitungen zum Bomben basteln" (Spiegel Online, 25/00) fänden. Auch schwarze Listen politischer Gegner und Mordaufrufe hätten die Extremisten ins Internet gestellt.

Kein Wunder, daß Außenminister Fischer schnell ganz genau wußte, wem der Düsseldorfer Anschlag zuzuschreiben ist: "Auch wenn über die Täter und Motive des mörderischen Bombenanschlags von Düsseldorf noch keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen", erklärte Fischer, sollte uns "allein die Tatsache, daß Ausländerhaß als wahrscheinlichster Hintergrund erscheint, aufschrecken" lassen. Was auf diese "Aufschreckung" zu folgen hat, erläuterte Bundesjustizmiisterin Herta Däubler-Gmelin Ende Juli der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: Ihr mache Sorgen, daß sich viele Täter durch die Menschen in ihrem Umfeld bestätigt fühlten. Wörtlich erklärte Däubler-Gmelin: "Wir brauchen Einmischung für Toleranz und vollständige Ächtung rechtsextremistischer Töne und Attitüden in unserer Gesellschaft."

Rattenfänger mit einfach strukturierten Denkmustern

Warum Rechtsextreme gächtet werden müssen, erläuterte die Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach (Bündnis90/Die Grünen): Opfer der Rechtsextremen seien Menschen, "die auch von der Gesellschaft ausgegrenzt würden". Es komme daher darauf an, "die Position von Minderheiten zu stärken. Da wo sie an den Rand gedrängt werden, müssen sie offensiv in die Mitte der Gesellschaft zurückgeholt werden" (Pressemitteilung vom 1. August d.J.). Und weiter: "Insbesondere der unsensible Umgang mit politischen Themen wie Asyl und Zuwanderung trägt im hohem Maße zu einem gesellschaftlichen Klima bei, von dem Rechtsextremisten sich bestätigt fühlen". Das gelte "aktuell vor allem für Beiträge zur Einwanderungsdiskussion, die humanitäre Aspekte der Einwanderung durch reine Nützlichkeitskategorien ersetzen wollen".

In die gleiche Kerbe hat Buntenbachs Parteifreund Dieter Salomon, seines Zeichens Fraktionsvorsitzender der Bündnisgrünen im Landtag von Baden-Württemberg, in einem Redaktionsgespräch mit dem Mannheimer Morgen vom 4. August geschlagen. Seiner Auffassung nach dürften die Republikaner nicht wieder in den Landtag, weil man in Baden-Württemberg eine "große Koalition für Einwanderung" brauche. Ausländische Arbeitskräfte dürften nicht "abgeschreckt" werden. Dazu gehöre auch, daß Politiker "mit einer zweifelhaften Gesinnung" nicht länger in den Landtagen sitzen dürften.

Als Künder und Deuter des "ostdeutschen Fremdenhasses" hat sich nicht erst in der laufenden Debatte Bundestagspräsident Thierse einen Namen gemacht. In der Wochenzeitung Die Zeit verkündete dieser kurz vor dem Düsseldorfer Anschlag: "Etwas gegen Ausländer zu haben ist – nicht bei allen, aber bei einem beträchtlichen Teil der Ostdeutschen – fast schon selbstverständlicher Teil des Alltagsbewußtseins. Daß man sich dafür überhaupt nicht schämt, ist ein alarmierender Unterschied." Bereits Ende Januar raunte Thierse davon, daß der Rechtsextremismus längst kein Randphänomen der Gesellschaft mehr sei, sondern bis weit in ihre Mitte hinein reiche. Ideelle und moralische Entwurzelung seien die Gründe dafür, daß "rechtsradikale Rattenfänger" mit ihren einfach strukturierten Denkmustern und Parolen Erfolg hätten.

Unionsparteien wollen Meinungsführerschaft

Daß bei einer derartigen Debatte auch die Unionsparteien nicht außen vor bleiben können und wollen, zeigt der frühzeitige Ruf des bayerischen Innenministers Beckstein nach einem Verbot der NPD. Dieser Vorstoß und andere Vorschläge wie der des thüringischen Innenministers Christian Klöckert nach einem "Meldesystem verantwortungsbewußter Bürger", was eine freundliche Umschreibung für die Wiedereinführung von "Blockwarten" ist, diesmal mit politisch-korrekten Vorzeichen, zeigt, wie bemüht die Unionsparteien sind, die Meinungsführerschaft im Kampf gegen rechts an sich zu reißen. Diesem Ziel dürfte auch der Maßnahmenkatalog der CDU-Bundesvorsitzenden Angela Merkel vom 7. August geschuldet sein, in dem die rotgrüne Bundesregierung massiv dafür angegriffen wird, im Kampf gegen Rechts bisher zu zögerlich gewesen zu sein. Im Mittelpunkt dieses Papiers steht die Forderung nach Einrichtung wohnortnaher "Aktions-Foren gegen rechte Gewalt". Diese sollen klarstellen, "daß unsere Gesellschaft nicht gleichgültig wegschaut, wenn kleine Gruppen die Parole ausgeben, man wolle ’national befreite‘ oder ’ausländerfreie Zonen‘ schaffen".

Wie verschnupft Rot-Grün auf die unliebsame Konkurrenz im Kampf um die antifaschistische Meinungsführerschaft reagiert, zeigte die Reaktion des innenpolitischen Sprechers der Bündnisgrünen im Bundestag, Cem Özdemir, der dem CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz vorwarf, "politisch Dreck zu schmeißen". Polenz seinerseits hatte die Bündnisgrünen beschuldigt, im Kampf gegen Rechts "versagt" zu haben. Mit Donnerwort verkündete Özdemir, daß gerade die CDU wegen ihrer ausländerfeindlichen Kampagnen früherer Jahre eine gesellschaftliche Bringschuld habe.

Die antifaschistische Pole-position der Bündnisgrünen wird diesen in den letzten Tagen mehr und mehr durch den Berliner Innensenator Werthebach (CDU) streitig gemacht. Dieser will mit Hausbesuchen und Telefonüberwachung gegen Rechtsextremismus vorgehen. "Jetzt ist die Stunde der Repression, die Stunde der Bekämpfung", verkündete Werthebach der B.Z.. Erste Maßnahme sei der Hausbesuch bei Rechtsextremisten. "Wir werden nach der Sommerpause die rechten Rädelsführer ansprechen", kündigte Werthebach an. "Sie sollen wissen, daß sie unter Beobachtung stehen." Gleichzeitig werden ihre Telefone überwacht werden. Zusätzlich setzt Werthebach auf den Nachrichtendienst. "Alle Nachrichtendienstler müssen in die Szene eindringen, um rechtzeitig zu erkennen, ob und welche Gewalttaten geplant sind", sagte er.

Alle diese Maßnahmen könnten aber umsonst gewesen sein, wenn wahrgemacht wird, was der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, flankiert von seinem Stellvertreter Michel Friedman, am 7. August drohend in den Raum gestellt hat: "Eine weitere Eskalation der Gewalt von rechts könnte das jüdische Leben in Deutschland infrage stellen. Wenn wir im Zentralrat der Meinung wären, daß die Lage in Deutschland für Juden lebensbedrohlich ist, dann würden wir ohne zu zögern unsere 85.000 Gemeindemitglieder zur Auswanderung auffordern."


 
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