© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/00 11. August 2000

 
PRO&CONTRA
Ladenschlußgesetz abschaffen?
Gerd-Peter Huber / Jörg Hebsacker

Besonders am Standort Europa-Center wird die längst überfällige Abschaffung des Ladenschlußgesetzes deutlich: Im Herzen der Stadt bummeln zunehmend Touristen aus aller Welt bis spät in die Nacht. Besucher, die es aus ihren Hauptstädten gewohnt sind, rund um die Uhr shoppen zu können. Unsere Händler müssen wochentags die Läden um 20 Uhr schließen. Am Wochenende, wenn die Besucherströme ihre Spitzenwerte erzielen, ist am Samstag schon um 16 Uhr dicht – am Sonntag geht gar nichts. Im Beisein seines Rechtsanwalts kämpft man sich durch das Behördendickicht und beantragt im Genehmigungswirrwarr unter Vorgabe eines Jahrmarktes oder ähnlicher Belanglosigkeiten eine Sonderöffnung. Diese ständig wechselnden Öffnungszeiten sind dem Verbraucher nicht glaubhaft zu vermitteln, da dieser ein Gewohnheitstier ist.

Die unerträgliche – weil arbeitsplatzvernichtende – Wettbewerbsverzerrung im Handel würde mit einer Abschaffung des Ladenschlußgesetzes ebenfalls beseitigt: Einkaufspendler machen ihre Touren zwischen Tankstellen, Spätkauf und Fernbahnhof. Allein die BVG betreibt zur Zeit fünf sogenannte Ladenpassagen mit Sonderöffnungszeiten auf U-Bahnhöfen, fünf weitere sind in Berlin bis 2001 geplant. Tankstellen erzielen mittlerweile nicht nur den Hauptumsatz sondern tatsächlich ihren Hauptgewinn mit dem Verkauf aus den Giraffengroßen Regalen anstatt mit Kraftstoff.

Es wird Zeit, daß die Politik die Rahmenbedingungen ändert. Auch die Gewerkschaften verlieren die Rückendeckung durch ihre eigene Mitgliedschaft. Denn kein Arbeitnehmer wird eine einzige unbezahlte Stunde mehr arbeiten müssen. Neue Arbeitszeitmodelle mit Zeitsparkonten ermöglichen maßgeschneiderte Lösungen zum Vorteil aller Mitarbeiter. Wir brauchen kein Ladenschlußgesetz, wir brauchen ein Ladenöffnungsgesetz.

 

Gerd-Peter Huber ist Vorsitzender der Werbegemeinschaft Europa-Center in Berlin.

 

 

Glaubt man der veröffentlichten Meinung, dann wird die Freigabe der Ladenöffnungszeiten zu einem ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwung in der Bundesrepublik führen. Das Handelsblatt stilisiert das Ladenschlußgesetz zum Symbol des "durch Regulierungen gefesselten Riesen" Deutschland hoch. Erstaunlich ist die Ignoranz der Wirtschaftsjournalisten ebenso wie die der Wirtschaftsminister der Länder gegenüber den zu erwartenden Folgen dieser Freigabe. Die Erweiterung der Öffnungszeiten im Jahr 1996 führte nicht zu mehr Arbeitsplätzen, sondern zur Umwandlung von Voll- und Teilzeitplätzen in geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Parallel dazu ging die Zahl der Ausbildungsplätze im Einzelhandel zurück. Das weisen die Untersuchungen der damit beauftragten Institute aus, auch wenn IFO die falschen Schlüsse daraus zieht. Erreicht werden große Umsatzverlagerungen, weg von den Randgebieten in die zentralen Lagen. Dort können sich wegen der hohen Ladenmieten nur noch die Großen behaupten. Die Mittelständler der dezentralen Lagen bezahlen verlängerte Öfnungszeiten mit Umsatzeinbußen, denn nur die konzentrierte Nachfrage einer Region ermöglicht diese verlängerten Öffnungszeiten. Landauf, landab das gleich Bild: Betrieb in Innenstädten, geschlossene Läden in den nur wenige Minuten entfernten Lagen.

Der ohnehin vorhandene Konzentrationsprozeß im Einzelhandel erhält einen Turbobeschleuniger, verbunden mit Arbeits- und Ausbildungsplatzabbau. Volkswirtschaftlich wird nichts gewonnen, vielleicht gewinnt der Standort Leipzig (Sachsen) gegenüber Halle (Sachsen-Anhalt) – eine unsinnige Form des Wettbewerbs. Mit Sicherheit aber verlieren die mittelständischen Einzelhändler mit ihren vielen Ausbildungsplätzen. Damit betreiben die Wirtschaftsminister das Gegenteil von dem, was sie üblicherweise tun müßten: den Mittelstand zu stärken.

 

Jörg Hebsacker ist Vorsitzender des Deutschen Handels- und Industrieangestelltenverbandes.


 
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