© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    33/00 11. August 2000

 
Wie zu Stalins Zeiten
Die "Kampagne gegen Rechts" hat hysterische Züge angenommen
Andreas Wild

Am Anfang hielt man es noch für bloßen Aufruhr im Sommerloch, aber inzwischen hat das tagtägliche Reden der Politiker und der Medien über rechtsextremistische Umtriebe in Deutschland eine derartige Lautstärke und einen derartigen Grad von Penetranz und Hysterie erreicht, daß man sich zu fragen beginnt, was dahinterstecken könnte. Will Berlin mit dem Dauergetöse den Boden bereiten für den Ausnahmezustand? Werden die Gesetze demnächst aufgehoben zugunsten von Sonderregelungen, Notverordnungen, Standgerichten?

Seit Wochen nun schon prasselt auf den erstaunten Wahlbürger ein wahrer Feuerregen von Forderungen und Ankündigungen nieder, die alle auf das eine hinauslaufen: auf die Etablierung einer Lynchjustiz, die die normale Rechtsprechung und die legale Strafverfolgung "ergänzen" bzw. "ersetzen" soll. Statt der Polizei soll der paramilitärische Grenzschutz "aktiv werden". Personen, von denen behauptet wird, daß sie rechtsextremistisch seien, sollen unter Umgehung der Arbeitsgerichte gewaltsam von ihrem Arbeitspaltz entfernt werden. Außerdem sollen sie generell unter Kuratel gestellt werden, jede Woche soll ihre Wohnung von den "Sicherheitsbehörden" durchsucht und sie selbst Dauerverhören unterzogen werden.

Wie zu Zeiten Stalins in der damaligen Sowjetunion soll das Erwachsenenstrafgesetz auch auf Kinder und Jugendliche ausgedehnt werden. Ärzte sind bereits dazu übergegangen, Kinder von Personen, die Mitglieder von mißliebigen Parteien sind, nicht mehr medizinisch zu versorgen, Banken und Versicherungen werden aufgefordert, "politisch verdächtigen Individuen" die Konten und die Policen zu kündigen.

Maßnahmen des Staates und der Gesellschaft sollen ergänzt werden durch eine Art levée en masse, einen "Aufstand der Massen", der sich in Lichterketten, Wohlfahrtsausschüssen und "Protestdemonstrationen vor den Wohnungen der Rechtsextremisten" kundgibt. "Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!", skandiert die Bild-Zeitung den alten Kommunistenslogan. Man hat sich in einen Zustand hineingesteigert, in dem man nur noch mühsam verhehlt, daß man Blut sehen will, "Feindesblut", und in dem die "Anschläge des Feindes", für die es "Rache" zu nehmen gelte, geradezu phantastische Dimensionen annehmen.

Dies ist das vielleicht auffälligste an der wohlinszenierten Hysterie: der "Feind", den man "aufs Haupt schlagen", " ausräuchern", "zertreten" will, ist optisch und funktionell kaum wahrnehmbar. Aus den Medien bleibt er ausgeschlossen. Mißliebige Parteien, zu deren Verbot man aufruft, erreichen bei Wahlen selten mehr als ein Prozent. Das Ausmaß von Ethno-Prügeleien zwischen inländischen und ausländischen Jugendlichen liegt in Deutschland, auch in den neuen Ländern, deutlich unter dem etwa in den USA, in Frankreich oder England, von Ländern wie Indien oder Israel zu schweigen. Nicht einmal die von den Lockspitzeln des Verfassungschutzes und anderer Geheimdienste planvoll provozierten "Zwischenfälle" können diese positive Bilanz beeinflussen.

Die Medien japsen geradezu nach der täglichen Horrormeldung, um ihr Bürgerkriegsgetue rechtfertigen zu können. Daß ein "Vierzehnjähriger in Bochum verbotene Lieder gegrölt" oder ein Achtzehnjähriger in Gera einen "pakistanischen Asylbewerber" schief angesehen hat, wird von großen Sendern und Zeitungen als Aufmacher oder Spitzenmeldung verkauft. Vorverurteilungen, Unterstellungen, Verdrehungen, billigste Übertreibungen sind zum Standardrepertoire auch sich seriös nennender Zeitungen geworden. Das publizistische Niveau wird dramatisch gesenkt.

Bei alledem bleibt das Volk, der Adressat des Trommelfeuers, eigentümlich ruhig. Es hat sich (bisher jedenfalls) nicht aufhetzen lassen, es genießt seinen Sommerurlaub, seine Dichter lassen sich lieber in Festspielzelten sehen statt auf politischen Demonstrationen, seine Studenten pauken für die Zwischenprüfung und fürs Staatsexamen, statt Komitees zu bilden und Resolutionen zu verfassen. Überall Grillfeuer statt Lichterketten.

Gerade das macht die Politiker und die Medien so wild. Nie war die Differenz zwischen dem Volk einerseits und den Politikern und Medienvertretern andererseits so scharf markiert wie in diesem Sommer 2000. Und noch nie wurde derart eindrücklich demonstriert, wie wenig Politiker und Medien mit inszenierten Kampagnen im Grunde ausrichten können.

Noch nie freilich wurde auch so offenkundig, wie wenig das Volk von "seinen" Politikern zu erwarten hat, speziell von den "konservativen" und "bürgerlichen" unter ihnen. Diese haben sich in diesem Sommer auf breiter Front und in fast lächerlicher Weise als trojanische Esel der Antifa entlarvt.

War es vielleicht dies, was den Berliner Organisatoren der Kampagne vorschwebte: die CDU/CSU endgültig vom Volk zu lösen, ihre Vertreter als ohnmächtig grinsende Hampelmänner der Antifa vorzuführen? Dieser Teil des Unternehmens wäre bereits jetzt voll gelungen. Stoiber & Co. werden es schwer haben, jemals wieder aus dem Schatten der Berliner Koalition hervorzutreten.


 
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