© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/00 28. Juli / 04. August 2000

 
Gotland: Anfang August feiern die Schweden einen bösen dänischen König
Wie Valdemar in Visby wütet
Günter Schenk

In den engen Gassen Visbys, Got lands geschäftiger Metropole, hal len die Trommeln. Dazwischen tönen die Fanfaren der Sieger. Durch die Söderport, das alte Tor im Süden der Altstadt, drängt ein Heer bewaffneter Soldaten. Eine Mörderbande auf dem Weg zum Stora Target, dem großen Marktplatz mit seinen Cafés und Restaurants. Ein brandschatzender Haufen, die Gesichter versteckt unter Helmen und Visieren. Hoch zu Roß führt ein König die Truppe, seine Majestät Valdemar Atterdag. Große Fahnen schleppen seine Mannen mit, weithin sichtbare Banner mit weißem Kreuz auf rotem Grund. Dänemark erobert Schweden. Mit Pauken und Trompeten, Feuer und Schwert, nimmt Valdemar Visby ein.

Jahr für Jahr geht das so, immer Anfang August, wenn Visby seine Mittelalterwoche feiert. Die "Medeltidsveckan", weiß Asa Wikström, die für die touristische Vermarktung der Insel zuständig ist, ist Gotlands wichtigste Urlaubs-Attraktion. Denn jeder zweite Feriengast, will ein Marketing-Institut herausgefunden haben, kommt im August nur deswegen nach Visby. Rund hunderttausend sind es inzwischen, Festland-Schweden vor alle, die für ausgebuchte Flüge, und volle Hotels sorgen. Dann wird es eng in den mittelalterlichen Gassen, die Massen schieben sich über das Kopfsteinpflaster, vorbei an mächtigen Steinbauten, deren älteste fast tausend Jahre zählen. Mehr Auslauf bietet sich erst wieder hinter den kilometerlangen Stadtmauern, den einzigen Skandinaviens übrigens, die das Städtchen und seinen Hafen vom Hinterland trennen. Jahrhundertelang trotzte der elf Meter hohe steinerne Ring allen Attacken der Landbevölkerung, die neidisch mitansehen mußte, wie sich Visby mit Hilfe der Hanse zur "Regina maris", zur "Königin der Ostsee", mauserte.

Heute gehört Visbys Altstadt zum Weltkulturerbe. Ein architektonisches Juwel wie man es im Norden Europas so sonst kaum mehr findet. Der richtige Rahmen also für ein Stück lebendiges Mittelalter, das die Bürger der Stadt seit 1984 Jahr für Jahr neu in Szene setzen. Für die Organisation sorgt eine Stiftung, in deren Auftrag vier festangestellte Mitarbeiter tätig sind. Vier Millionen Kronen, sagt Mats Adler, der Cheforganisator, kostet die Mittelalterwoche. Fast 900.000 Mark umgerechnet, die sich zu drei Vierteln durch Eintrittsgelder und Sponsoring rechnen. Die Restsumme spendiert die staatliche Lottogesellschaft, die wie in vielen anderen Ländern auch in Schweden kulturelle Projekte kräftig bezuschußt.

Visbys Mittelalterwoche ist mehr als Kommerz und Klamauk, Geschichte zum Anfassen sozusagen. Viele Programme sind auf Kinder zugeschnitten, denn früh übt sich, wer Geschichte später lebendig halten soll. Ganz einfach ist das in Almedalen, dem versandeten Hafen von einst, der heute als Park dient. Auf grünem Rasen dreschen dort zwei Buben mit Gummischwertern aufeinander ein. Schaumstoffhelme schützen ihre Gesichter. Es ist kein höfischer Kampf, eher der ritterliche Versuch, möglichst schnell überschüssige Kräfte abzubauen. Ein Kinderspiel Marke Mittelalter.

Auf dem Donners Plats halten falsche Advokaten Gericht, ein spaßiges Spektakel. Beim Bad auf den Packhusplan zählen nackte Tatsachen, lassen sich angegraute Festland-Schweden von jungen Blondinen den Rücken schrubben, ein feucht-fröhliches Gaudium für Amateurfilmer und Hobbyfotografen. Plötzlich kreuzt eine Prozession den Weg, zieht eine Theatergruppe mit Bibel und Glockenklang von Kirche zu Kirche. Von Ruine zu Ruine genaugenommen, denn bis auf eine wurden die siebzehn mittelalterlichen Gotteshäuser alle zerstört. In ihren Mauern finden heute Ausstellungen und Kammerkonzerte statt, andere dienen als Freiluft-Café. Ganz erhalten blieb nur der Mariendom, die 1225 geweihte Kirche. Deutsche Kaufleute hatten sie einst finanziert und auf Deutsch wird dort noch immer sonntagmorgens Gottesdienst gefeiert.

Die Goten zählten einst zu den reichsten Völkern der Erde . Von Seefahrt und Handel lebten sie, von professionellem Management, das schließlich zur Keimzelle der Hanse wurde, dem mächtigsten Städtebund des Mittelalters. Den Ton in Visby gaben Deutsche und Gotländer gemeinsam an. Gleich hinter dem Hafen hatten sie stattliche Häuser gebaut, mehrstöckige Zweckbauten, die bis heute überdauert haben. Daneben stellten sie Wehrtürme wie den Kruttornet, der als einer der ältesten Schwedens gilt. Von seinen Zinnen wird wie immer die Mittelalterwoche von zwei historisch Kostümierten ausgerufen. Schließlich ziehen Bogenschützen auf, Ritter im Kettenhemd, Männer mit Armbrust. Gaukler und Spielleute zeigen sich, Kinder im Narrenkleid bauen Pyramiden. Mit einem Tanzbären mischt sich ein Maskierter unter das Volk. Im Park und entlang der Standgatan, Visbys wichtigster Einkauffstraße, halten Händler Helme und Harnisch feil, Pfeile und Bogen, Schwerter und Hellebarden, handgemachtes Kriegsspielzeug für Erwachsene.

Irgendwann haben die Händler auf den Straßen ausgedient, übernehmen die Militärs das Ruder. Durch die Söderport ziehen Soldaten in die Stadt, böse Krieger mit Feuer und Schwert, an ihrer Spitze König Valdemar. Ein Mordbrenner, der Visby an den schwärzesten Tag seiner Geschichte erinnert, an die Einnahme der Stadt durch dänische Truppe im Jahr 1361. "Dieser Tag", erzählt Gunnar Beck, ein kunstsinniger Gotländer, "ist doppelt traurig, weil die Bürger Visbys damals auch der Landbevölkerung, die vor den dänischen Mordhaufen in die Stadt zu fliehen suchten, den Weg hinter die schützenden Mauern versperrten". Fast zweitausend Gotländer wurden so von den Dänen vor Visbys Toren niedergemetzelt. Frauen, Kinder und Greise zumeist, an deren Sterben noch heute ein Steinkreuz in der Neustadt erinnert.

Aber auch Visbys städtische Bürgerschaft konnte und wollte Valdemar damals nicht aufhalten. Bedingungslos wurde kapituliert, der Stadtschlüssel freiwillig herausgerückt. Historische Fakten, die zum Auftakt der Mittelalterwoche jährlich lebendig werden. Vor dem alten Stadttor wie auf dem Marktplatz, wo die Bürger alle ihre Schätze den dänischen Soldaten ausliefern müssen. Gestalt gewinnt dann auch jene Jungfrau vom Land, die dem Bösewicht Valdemar verfallen war und ihm als Liebesdienst die Stadttore öffnete. Eine Legende, die Stoff für einen Hollywood-Film liefern könnte, um 1860 von einem Gotländer ersonnen, der damit das traditionell schlechte Verhältnis zwischen Bauern und Städtern literarisch festschrieb. Klar, daß die Jungfrau vom Land bis heute in Visby büßen muß, im sogenannten Jungfrauenturm, in den sie Jahr für Jahr eingemauert wird - symbolisch, versteht sich.

Neben dem historischen Festspiel gibt es eine ganze Festwoche, organisiert von der Medeltidsveckans Kansli, einer gemeinnützigen Stiftung, die alle Gewinne in Erziehungs- und Bildungsprogramme steckt. Ein besonderer Augenschmaus ist das Ritterturnier vor der Stadtmauer, eine Stunt-Schau in historischer Ausstattung. Gleich im Dutzend krachen da die Lanzen aufeinander, prügeln sich die Kombattanten im Kettenhemd. Ein wüstes Hauen und Stechen für die Viertausend auf der Tribüne. Beim Festkomitee ist man stolz auf die Truppe, auf die Gotländer Männer und Frauen, die oft Monate für ihre Auftritte Proben.


 
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