© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    31-32/00 28. Juli / 04. August 2000

 
Zur Absurdität verformt
Kino: "Luna Papa" von Bakhtiar Khudojnazarov
Ellen Kositza

Die siebzehnjährige Mamlakat (Chulpan Khamatova) lebt in einem usbekischen Dorf nahe Samarkand zusammen mit ihrem verwitweten Vater und ihrem Bruder Nasreddin (Moritz Bleibtreu), einem ehemaligen Soldaten, der aufgrund einer Kriegsverletzung geistig behindert ist. Mamlakat sorgt sehr innig für Vater und Bruder und träumt mit ihrer Freundin von dem Mann, der einst kommen und sie heiraten wird.

Ein Hauch der weiten Welt erreicht das Dorf, als in der nahegelegenen Stadt eine Theatergruppe gastiert. Die Schauspieler reisen mit einem Motorflugzeug an, und schon das Brummen der Maschine, die immer wieder ihre Runden über die Landschaft dreht, sorgt für erwartungsvolle Aufregung bei Nasreddin, der durch den stählernen Vogel fasziniert ist und bei Mamlakat, die selbst so gerne Schauspielerin wäre. In einer Vollmondnacht nähert sich das Mädchen allein dem Auftrittsort der Gruppe. Während sie aus dem düsteren Dickicht eines Hains heraus das Treiben der Darsteller beobachtet, wird sie von einem Mann angesprochen, der vorgibt, Schauspieler zu sein - und zudem ein Bekannter von Tom Cruise, ein Freund des berühmten amerikanischen Filmschauspielers! Mit geweiteten Augen, fassungslos, weicht Mamlakat zurück, der Unbekannte folgt ihr durch das Dickicht. Im Gehen und Tasten nach einem Weg erzählt er dem staunenden Mädchen von seinem schillernden Beruf, gebannt lauscht sie. Unversehens sind beide an einen Abhang geraten, sie stolpern, rutschen, fallen übereinander, und bevor die Sonne aufgeht, trennen sich ihre Wege.

Bald ahnt Mamlakat, daß sie ein Kind erwartet. Der spontane Versuch, es abtreiben zu lassen, scheitert am bizarren Tod des einzigen erreichbaren Gynäkologen just in der Minute vor dem Eingriff.

Was in der westlichen Welt allenfalls eine persönliche Tragödie wäre - den Vater des eigenen Kindes nicht benennen zu können -, ist in dem zentralasiatischen Dorf ein gewaltiger Skandal; Mamlakat wird zu einer Geächteten. Gemeinsam mit Nasreddin und ihrem Vater begibt sich die Schwangere nun auf die turbulente Suche nach dem Erzeuger des Ungeborenen in der Theaterwelt umliegender Ortschaften und Städte. Turbulent: das meint hektisch, kunterbunt und "witzig", und dieser - sich später sukzessiv verstärkende - Unterton markiert eine qualitative Schnittstelle inmitten des Films. Was eben noch bei aller Leichtigkeit des Erzählens atmosphärisch fesselte und von tieferem Grund unterlegt schien, gerät nun ein wenig albern und scheint sich bisweilen dem Stil amerikanischer Filme anzubiedern. Das beginnt mit der Stimme des Ungeborenen aus dem off, nicht so penetrant zwar wie in "Guck mal, wer da spricht", unnötig trotzdem, und gipfelt in schlecht passenden Einbrüchen von Fiktionalität in die Gegenwart des usbekischen Steppendorfes.

Spricht der russische, international bereits vielfach ausgezeichnete Regisseur Khudojnazarov über seine Filme, gefällt es ihm, den Begriff eines "fantastischen Realismus" als Stilbezeichnung zu gebrauchen. Das mag bedeuten: Wo die alte Welt der Tradition und des Aberglaubens mit der Unordnung der Postmoderne zusammentrifft, erhält das real Greifbare eine neue Dimension, es kann sich zur Absurdität verformen. Da fallen Kühe vom Himmel, erheben sich Häuser in die Luft, wird ein Dorfmädel zur schießwütigen Feministin.

Nun ist "Luna Papa" zwar eine russisch-französisch-deutsche Koproduktion, seine künstlerische Ausführung vom Drehbuch bis zur Musik lag jedoch fast ausschließlich in den Händen tadschikischer Filmleute. Vielleicht ist es geschmäcklerisch und sentimental, zu wünschen, der Film hätte mehr regionale Bodenhaftung wahren sollen, anstatt in die bunte, globale Kiste halbfiktiven Nonsenses zu langen. Dann wäre er eben ein russisches Kunstwerk geblieben, aber wenigstens eines ohne MTV-kompatible Bilder.

Eher nebenbei stellt sich die Frage, was es bedeutet, daß Moritz Bleibtreu, längst ein Star am Pophimmel, nach wie vor als eine Idealbesetzung für den Typus des Debilen gilt. Angesichts der gerne bemühten Etikettierung Bleibtreus als "Frauenschwarm" mag sich auch eine solche Erscheinung unter das "Zlatko-Syndrom" subsummieren lassen. Der Sexappeal des Minderbemittelten eben.


 
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