© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000

 
Der 20. Juli unter Verdacht
Diskussionen über die ideologische Verwandtschaft zwischen Nationalsozialismus und konservativem Widerstand
Ricarda Neitzel

Pünktlich zum 56. Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 hat wieder einmal Peter Steinbach, Berliner Politikwissenschaftler und früherer Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im einstigen "Bendlerblock", zur Feder gegriffen. In der Tribüne, der Zeitschrift zum Verständnis des Judentums (Heft 154/2000) widmet er sich dem zur Zeit hochaktuellen Thema "Antisemitismus und Widerstand". Die Tribüne ist bekanntlich keine wissenschaftliche Zeitschrift, und Steinbach, der ohnehin nur als Zeitgeschichts-Impresario und Vorwort-Führer der bundesdeutschen Widerstandsforscher eine Rolle spielt, hat denn auch einmal mehr lediglich einen Beitrag zur – wie er es treffend nennt – "politischen Pädagogik" des 20. Juli geliefert.

Steinbachs positiven Bezugspunkt bilden die Studien von Christoph Dipper, Christian Gerlach, Theodore S. Hamerow oder Ines Reich, wie die publizistischen Attacken von Saul Friedländer und Hans Mommsen. Diese Autoren behaupten eine zwar partielle und temporäre, trotzdem tiefgehende weltanschauliche Konvergenz zwischen bürgerlich-konservativem Widerstand und Nationalsozialismus. Mommsen lieferte zum vorjährigen Gedenktag die bislang dichteste Summa aller ideologischen "Affinitäten" (Süddeutsche Zeitung vom 21. Juli 1999), die vor allem bei nationalkonservativen Protagonisten wie Carl Goerdeler und Ulrich von Hassell, bei den Offizieren im Stauffenberg-Umkreis und auch bei nicht wenigen kirchlichen Widerständlern eine Übereinstimmung mit dem "dissimilatorischen Antisemitismus" vorgeherrscht haben, was Mommsen zu dem Verdikt ermunterte: "Das Parteiprogramm der NSDAP ging über die Zielsetzungen des konservativen Antisemitismus im Grunde nicht hinaus." Saul Friedländer (Los Angeles/Tel Aviv) legte auf einem New Yorker Historiker-Symposium im Dezember 1999 noch einmal nach und klagte über den "virulenten Antisemitismus unter den Verschwörern des 20. Juli", die sich zum Teil an der "Ausrottungspolitik" von SS und SD beteiligten, indem sie eilfertig ihre Truppen als "Ersatz beim mörderischen Geschäft" der Einsatzgruppen angeboten hätten. Friedländer durfte sich dabei auf die Aufsätze Christian Gerlachs stützen, der mit großem publizistischen Widerhall erstmals 1995 in einem von Hannes Heer edierten Sammelband ("Vernichtungskrieg") nachzuweisen versuchte, daß die oppositionellen Offiziere der Heeresgruppe Mitte um Henning von Tresckow in "Massenverbrechen der Wehrmacht verstrickt" gewesen seien. Peter Hoffmann, einer der Pioniere der Widerstandsforschung, ist dieser These quellenkritisch abgesichert mit guten Argumenten ebenso entschieden entgegengetreten wie der Mainzer Zeithistoriker und FAZ-Mitarbeiter Günter Gillessen.

Als gesunkenes Kulturgut haben diese Anklagen inzwischen die "Nie wieder Deutschland"-Aktivisten aller Schattierungen erreicht, die etwa im letzten Herbst zur Einweihung des Goerdeler-Denkmals in Leipzig mit Bettlaken anrückten, um den 1945 hingerichteten Oberbürgermeister als "Antisemiten" zu verunglimpfen. Mit ähnlicher Intention hatte Radio Bremen 1997 die im Stadtstaat gastierende Anti-Wehrmachts-Schau Jan Ph. Reemtsmas mit einem Feature von Paul Kohl begleitet: "Stauffenberg – Karriere eines Militaristen". Ende der neunziger Jahre scheint man sich im bundesdeutschen Bewältigungsdiskurs also auf die offizielle Einschätzung des "reaktionären" Widerstands zubewegt zu haben, wie sie über Jahrzehnte hinweg in der "Antifa"-Ideologie der DDR gültig war.

"Die Leute ziehen eine Größe aus ihrer Zeit und deren Eros wie einen Fisch aus dem Wasser und freuen sich darüber, daß er zu stinken beginnt." Mit dieser Bemerkung Ernst Jüngers aus dem Jahr 1968, als die Verwechslung von Geschichtsschreibung und Moralpredigt erst richtig in Mode kam, könnte man dem von Rita Süßmuth, Helmut Kohl und anderen geschichtspolitisch Interessierten rituell abgefeierten 20. Juli als "Eckpfeiler unserer freiheitlichen Identität" mit mehr als nur klammheimlicher Freude beim Einsturz zusehen. Muß man doch nur einmal die scharfen Physiognomien Moltkes und Lebers beobachtet, die preußisch knappe Diktion "Fritzi" Schulenburgs im Redewechsel mit Roland Freisler erlebt haben, um intuitiv zu erfahren, daß mit diesen Männern 1944/45 eine Lebenswelt unterging, die mit jener der Süßmuths und Thierses nicht durch den dünnsten Faden verbunden ist.

Insoweit darf man den Friedländers sogar dankbar sein, wenn ihre Schuld-Deklamationen den bundesdeutschen Zugriff auf den nationalkonservativ-bürgerlichen Widerstand erschweren und Traditionsvereinnahmungen zukünftig verhindern. Warum sollte sich die multikulturell projektierte BRD-"Gemeinschaft von Fremden" (Günter Frankenberg) auch auf Preußen und Protestanten vom Schlage Yorcks und Trotts berufen dürfen? Insofern läßt sich Steinbachs jüngster Text als Dokument der Distanzierung lesen, das den Verfasser erneut auf der Höhe des Zeitgeistes zeigt. Die gehörige Portion Opportunismus, um rechtzeitig von unbequemen, nun womöglich "antisemitisch" kontaminierten Traditionen Abschied zu nehmen, ist Steinbach allemal zuzutrauen. War er doch mit seinem Ausstellungskonzept im "Bendlerblock", das sich Klaus Schroeder und Jochen Staadt zufolge (Das Parlament, 3.8.1997) durch feinfühlige Rücksicht auf die offizielle DDR-Historiographie auszeichnete, beteiligt am Prozeß des Wandels durch Anbiederung, für den neben ihm die SPD-Historiker Bernd Faulenbach (Vorsitzender der Historischen Kommission der Partei), der wissenschaftspolitische Großfunktionär Jürgen Kocka (FU Berlin) und Lutz Niethammer (Jena; siehe JF 29/00) stellvertretend genannt werden können.

Faulenbach, Kocka, Niethammer und Steinbach standen nach dem Mauerfall "vor dem Scherbenhaufen ihres seit den achtziger Jahren lauthals verkündeten Abschieds von der Wiedervereinigung und der Einheit der Nation" (Klaus Schroeder). Was sie jedoch in keiner Weise daran hinderte, wissenschaftspolitisch in die Offensive zu gehen und die Schaltstellen zu besetzen (oder zumindest einen Zugriff darauf zu versuchen), die es ihnen, verstärkt um die Bataillone aus dem akademischen PDS-Umfeld, ermöglichten, die Geschichte der DDR zu schreiben. Eine gelungene Wende, die Steinbach auf dem ideologisch umkämpften Feld der Widerstandsgeschichte offenbar zur Nachahmung animierte.


 
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