© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000

 
Pankraz,
Lindau und der Drang zu Kurzweil und Joy

Soviel Skepsis wie beim diesjährigen Lindauer Treffen der naturwissenschaftlichen Nobelpreisträger war nie. Die versammelten Laureaten zeigten sich richtig angewidert von dem ungeheuren Lärm, der zur Zeit um die Sequenzierung des menschlichen Genoms veranstaltet wird.

Erstens, so hieß es übereinstimmend, sei das Genom noch gar nicht vollständig sequenziert. Zweitens bedeute die Sequenzierung, für sich genommen, noch sehr wenig; es sei ungefähr so, als habe man sämtliche Nummern eines großstädtischen Telefonbuchs zusammengestellt, ohne zu wissen, zu welchen Namen die Nummern gehören und was sich unter den jeweiligen Namen verbirgt. Und drittens sei es überhaupt unfein und dubios, wenn Naturwissenschaftler allzu viel Lärm um ihre Forschungsergebnisse machten, sie seien schließlich keine Scharlatane und Martkschreier.

Die Internet-Diskussionen über mögliche Folgen der neuen Biologie zwischen den Herren Joy und Kurzweil, meinte Nobelpreisträger E., stünden im geistigen Niveau klaftertief unter dem, was man in Deutschland an vergleichbaren akademischen Diskussionen etwa zwischen den Bio-Ethikern Birnbacher, Sass und Wiesing gewohnt sei. Es gebe bei Joy und Kurzwell weder begriffliche Disziplin noch objektive Perspektive. Wüste Science Fiction mische sich stattdessen mit Börseninteressen, man habe den Eindruck, als gehe es den Herren gar nicht um Wahrheit, sondern lediglich darum, hinreichend "Risikokapital" auf eigene Mühlen zu leiten.

All das war Musik in Pan kraz‘ Ohren. Das Öf fentlichkeitsgebaren vieler "New Scientists" ist ja tatsächlich ziemlich widerlich, erinnert fatal an jene Marktschreiertypen aus der Renaissancezeit vor vierhundert Jahren, die so taten, als hätten sie den Stein der Weisen in der Tasche und könnten vor Kraft und Kreativität kaum laufen, obwohl nichts, rein gar nichts dahintersteckte, es nur darauf ankam, nichtsahnenden Fürsten Geld aus der Tasche zu ziehen.

Wissenschaftsorganisatoren wie Francis Bacon und Leibniz haben damals gründlich mit solcher leeren Kraftmeierei und Absahnerei aufgeräumt. Aka-demien und "Royal Societies" wurden gegründet, die höchste Leistungs- und Moralstandards festlegten und auch durchzusetzen wußten. Wer als Gelehrter ernst genommen werden wollte, mußte künftig reelle Ergebnisse vorweisen, die experimentell vielfach abgesichert waren und in mathematische Formeln gegossen werden konnten. Persönliche Bereicherung galt als zweitrangig und wurde durch strenges Patentwesen in Grenzen gehalten.

Nur so konnte das entstehen, was man heute "Scientific Community" nennt: ein internationaler Verein von Gentlemen, der – nehmt alles nur in allem – seinen Komment in erstaunlicher Weise über die Zeiten hinweg aufrechtzuerhalten wußte. Betrüger und Spinner wurden erfolgreich aus den Reihen ferngehalten. Zwischen den Mitgliedern herrschte eine gelassene, unideologische Umgangsart, von der sich die sogenannten Geisteswissenschaftler getrost einige Scheiben hätten abschneiden können.

Gewiß wurde der Komment auch immer wieder verletzt, vor allem wenn es um Prioritätenstreit ging; man denke nur an die Gemeinheiten, die Newton und seine Anhänger in Sachen Infinitesimalrechnung gegen den armen Leibniz anzettelten. Aber im Großen und Ganzen hielt das Gefüge, die naturwissenschaftlich inspirierte "Scientific Community" geriet zu den erfreulichsten Konstrukten, die das Abendland der Welt geschenkt hat. Erst in jüngster Zeit, da das Abendland insgesamt als Phänomen verblaßt, zeigen auch die Strukturen der "Scientific Community" mürbe Stellen.

Immer mehr Fälle werden bekannt, wo bis dato hochan gesehene Forscher Unterschleif begehen oder sich in betrügerische Machenschaften verwickeln. Protokolle von Versuchsreihen werden gefälscht, Daten geschönt, unangenehme Nebenfolgen verschwiegen oder bewußt ignoriert. Die Gier nach Geld und Medienruhm überspült alle Bedenken. Mächtige Institutsdirektoren spielen Gutachter in eigener Sache und stellen sich ein Unbedenklichkeitszertifikat nach dem anderen aus. Redakteure berühmter Wissenschaftszeitschriften lassen sich bestechen und jubeln Null-Events zu epochalen Großereignissen hoch.

Regierungen, die Geld geben sollen, zeigen sich überfordert und berufen Kommissionen ein, doch ist es gar nicht so einfach, unparteiische Gutachter zu finden. Firmen und Medien sind meistens schon vorher zur Stelle und lancieren Kandidaten, die alles andere als unparteiisch sind, nicht dem Gemeinwohl, sondern dem Individualprofit und/oder der Sensationsmacherei verpflichtet. Berufen wird in der Regel der größte Märchenerzähler, biete er nun liebliche oder schwarze Märchen.

Das kommt ja erschwerend hinzu: Nicht nur Heilspropheten à la Kurzweil, sondern auch Unheilspropheten à la Joy sind unterwegs (was für drollig passende Namen übrigens!). Wie zu Zeiten von "1984" mischen sich wieder Schlaraffenland- und Schreckens-Utopien und erzeugen ein Klima der geilen Angst, der panischen Geilheit. Jeder glaubt, irgendwas zu versäumen, von irgendwas ausgeschlossen zu bleiben. Viele fürchten, als letzte ins Grab zu sinken, bevor dann das Zeitalter der ewigen Jugend und der defnitiven Unsterblichkeit ausbricht.

Wie sagte Nobelpreisträger B. auf der Tagung in Lindau? "An eine ordentliche, fruchtbringende Gen-Veränderung ist noch sehr lange nicht zu denken, aber horrenden Unsinn kann man (mit oder ohne Gen-Technik) immer machen." Wir von der "Scientific Community", hätte er hinzufügen sollen, werden versuchen, gegen den neuesten Unsinn, der ausgerechnet im Namen unserer geliebten Naturwissenschaft passiert, Front zu machen. Aber die in Lindau vorherrschende Skepsis richtete sich wohl nicht zuletzt gegen die eigene Community und ihre Möglichkeiten.


 
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