© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000

 
Auf dem Weg zum Finale
US-Präsidentschaftswahlkampf: Republikaner und Demokraten sammeln ihre Anhänger / Bush führt in allen Umfragen / Konservative Republikaner kaltgestellt
Ronald Gläser

Noch halten sich die Parteien und die Wahlkampfmanager im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf mit großangelegten Kampagnen zurück. In wenigen Tagen aber wird der heiße Wahlkampf mit den Nominierungsparteitagen eröffnet. Am 29. Juli wird der traditionell zuerst stattfindende Republikanerparteitag in Philadelphia eröffnet. Bis zum 4. August steht George Bush dann im Mittelpunkt des Interesses. Vom 14. bis zum 17. August werden dann die Demokraten an der entgegengesetzten Küste, in Los Angeles, zusammenkommen.

Amerikanische Nominierungsparteitage sind eine perfekt inszenierte TV-Show. Hier werden die Delegierten zusammengetrommelt, um dem jeweiligen Führer zu huldigen. Seine Fähigkeiten, seine Leistungen, seine Charakterstärke und seine andere Vorteile werden dem Wahlvolk nahegebracht. Eine Diskussion um seine Person oder inhaltliche Fragen findet nicht statt.

Da die Fernsehsender dieses Spiel weitgehend mitspielen, dominieren die Kandidaten während ihrer Vorstellung sämtliche Nachrichten. Zehntausende von Berichterstattern pilgern aus dem ganzen Land in die Versammlungsstädte, als würde die Landung Außerirdischer bevorstehen. Ganze Containerdörfer werden für die Presse aufgebaut. Heerscharen von Bediensteten versorgen die Delegierte und Gäste mit Nahrung oder sichern das Gelände.

Diesen Rummel wird George Bush ausnutzen, um sich in Szene zu setzen und den Abstand in den Umfragen zum Vizepräsidenten Al Gore weiter auszubauen. Mit einem Wahlkampfbudget von 82 Millionen Dollar kann sich der Sohn des Ex-Präsidenten anschließend genug Sendezeit bei TV-Stationen kaufen, um seine Botschaft zu transportieren. Aber auch im Bush-Lager weiß man darüber Bescheid, daß die derzeitige Stimmung noch längst keinen Wahlsieg im November garantiert. Der Gouverneur von Texas liegt in den Umfragen knapp zehn Prozent vor dem amtierenden Vizepräsidenten.

Das liegt vor allem daran, daß Bush seine Wählerklientel sicher hinter sich weiß. Al Gore dagegen macht die Kandidatur des Grünen Ralph Nader erheblich zu schaffen. Sollte Al Gore die Reihen hinter sich schließen, könnte er den aktuellen Abstand zwischen den beiden Kandidaten schnell wettmachen.

Beide Bewerber haben sich noch nicht für einen Vizepräsidenten entschieden. Dies ist in jedem Falle eine schicksalsschwere Maßnahme, weil diese Wahl ein Signal an die Wähler bedeutet und sich auf die Popularität des Kandidaten auswirkt. Bush hat angedeutet, seinen Stellvertreter am 24. Juli benennen zu wollen. Der ehemalige republikanische Verteidigungsminister Richard Cheney leitet derzeit eine Partei-Kommission zu Auswahl eines geeigneten Bewerbers. Das zeigt, daß Bush selbst offenbar keine konkreten Vorstellungen hat.

Weil es keinen Favoriten für diese Amt gibt, kursieren etliche Namen von möglichen Vizepräsidenten bei den Republikanern. Viele linke Republikaner wünschen sich den Ex-Stabschef von George Bush sen., Colin Powell, dem im Wahljahr 1996 sogar Ambitionen auf das Amt im Weißen Haus nachgesagt wurden. Dieser scheint aber keinerlei Interesse zu haben. Ein Vieraugengespräch mit George Bush jun. blieb ergebnislos.

Zwei interessierte Anwärter sind neben einer Reihe weiterer Senatoren der Gouverneur von Oklahoma, Frank Keating, und der Abgeordnete John Kasich aus Ohio. So gut wie aussichtslos ist eine Kandidatur von Christie Todd Whitman. Die Gouverneurin von New Jersey galt lange als weiblicher Hoffnungsträger der Republikaner, weil sie mit einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik das Haushaltsdefizit ihres Staates in kürzester Zeit in einen Haushaltsüberschuß verwandelt hatte. Neben der Entscheidung über den Mitbewerber, die letztlich von Parteifunktionären und nicht von den Mitgliedern oder Anhängern getroffen wird, steht die Verabschiedung des Wahlprogramms im Mittelpunkt des Interesses. Diese "Wahlplattform" wird im Vorfeld festgelegt und von den Delegierten dann kommentarlos abgenickt.

In der Vergangenheit setzten die Konservativen in der Partei nach der Personalentscheidung hier wenigstens einige Akzente. Die Forderungen in den Wahlprogrammen befriedigten stets die christlich-konservative Klientel der Partei, die sich seit Reagan mit zwei gemäßigten Präsidentschaftskandidaten abfinden mußte. Diesmal allerdings droht auch diese letzte Bastion der Parteirechten zu fallen. Die Parteiführung besteht auf einer Streichung konservativer Anliegen wie der Forderung nach einer Abschaffung des Bildungsministeriums oder der Forderung nach einem radikalen Einwanderungsstop. Trotzdem deutet sich in den Umfragen ab, daß Bush die große Mehrheit der konservativen Wähler bei der Stange halten kann und die Konkurrenz des rechten Kolumnisten Pat Buchanan nicht zu fürchten braucht. Zu groß ist die Angst vieler Konservativer, weitere vier Jahre von einem Demokraten regiert zu werden. Kürzlich trat George Bush bei der Farbigen-Organisation NACCP auf und warb gezielt um die Stimmen der Schwarzen. Bush ging sogar so weit, die Vergangenheit der eigenen Partei zu kritisieren und eine Art Sparzulage für Geringverdiener zu fordern. Die Sozialpolitik wird eines der Schlachtfelder sein, auf dem der Präsidentschaftswahlkampf ausgetragen werden wird. Bush präsentiert sich daher als "fürsorglicher Konservativer", dem Schulspeisungen, Gesundheitssystem und staatliche Altersvorsorge nicht völlig egal sind. Gleichwohl tritt er für ein vierstufiges Steuermodell mit einem Eingangssteuersatz von zehn und einem Höchststeuersatz von 33 Prozent ein.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums steht Al Gore, auch wenn er sich – jenseits aller Rhetorik – gar nicht so sehr von George Bush jun. unterscheidet. Allerdings hat der Jurist in Vietnam gekämpft, was sowohl Clinton als auch Bush erfolgreich umgangen waren. Al Gore hat sich schon als Senator aus Tennessee schwerpunktmäßig mit Umweltpolitik befaßt und tritt für eine Art globale Kontrollmaßnahmen ein. In diesem Punkt vertritt der vierfache Familienvater wirklich radikale Positionen.

Er biedert sich bei den unterschiedlichen Minderheiten als deren Vorkämpfer an. So feiert er sich als "Kämpfer für die Juden" und als "Kämpfer für die Schwulen und Lesben". Homosexuelle sollen ihn unterstützen, weil er die Berufung James Hormels als Botschafter von Luxemburg befürwortet habe. Al Gore weiß natürlich, daß die meisten seiner Wähler die Größe, die Wirtschaftskraft und die politische Bedeutung Luxemburgs nicht kennen.

Die Suche des Demokraten nach einem aussichtsreichen Vizepräsidenten hält ebenso an. Der Energieminister Bill Richardson ist mittlerweile untragbar geworden, weil der Benzinpreis umgerechnet auf eine Mark pro Liter gestiegen ist. Auch vor dem Hintergrund der negativen Umfrageergebnisse dürfte Senator Richard Gephardt jegliche Ambitionen beiseite gelegt haben. Der Senator führt die demokratische Minderheitsfraktion und übt damit ohnehin eines der höchsten Staatsämter in der Hand seiner Partei aus. Er wird nicht das Risiko eines Fiaskos in Kauf nehmen, um dem 52jährigen Gore ins Weiße Haus zu folgen.

In der New York Times gingen die Spekulationen kürzlich sogar so weit, daß die Möglichkeit analysiert wurde, ob Bill Clinton erneut – diesmal als Vizepräsident – antreten könne. Dieser befindet sich mit einer Zustimmungsrate von 62 Prozent in einem Stimmungshoch und könnte den Wahlsieg Gores sicherstellen.

Realistischer ist allerdings, daß Bill Bradley, der Gegner Gores aus dem Vorwahlkampf, als Vizepräsident ins Rennen geschickt wird. Dieser hat sich nach eine längeren Pause zurückgemeldet und seine uneingeschränkte Unterstützung für Al Gore bekundet. Diese Schützenhilfe kommt im richtigen Moment, denn Gore hat mit 46 Millionen Dollar nicht nur weniger finanzielle Mittel als sein Gegner für den Wahlkampf zur Verfügung. Ihm laufen auch viele Anhänger davon.

Neben den Grünen droht Al Gore nämlich eine weitere typische Klientel der Demokraten zu verlieren. Der Gewerkschaftsflügel der Partei ist von den Resultaten der Freihandelspolitik der Clinton-Administration alles andere als angetan. Als wichtigste Einzelgewerkschaft hat ihm die Union der Automobilarbeiter die Gefolgschaft gekündigt. Als wichtigster Grund gilt die Öffnung des amerikanischen Marktes nach Asien und Mexiko, was den Wettbewerbsdruck auf die Automobilkonzerne deutlich verstärkt hat. Trotz all dieser Probleme hat Al Gore immerhin eine Strategie entwickelt, seinen Kontrahenten bloßzustellen. Er imitiert die Politik von George Bush sen. aus dem Wahlkampf von 1988. Damals hatte Bush das "Wirtschaftswunder von Massachussetts" des Demokraten Dukakis erfolgreich als das Gegenteil dargestellt. Massachussetts wurde damals als Amerikas "rote Hochburg" und als "kommunistisches Experiment" dargestellt.

Heute ist der Sohn des damaligen Präsidentschaftsbewerbers Erklärungen schuldig, warum immer weniger Schulspeisungen in Texas bezahlt würden, warum in Texas die Zahl der Versicherten schrumpfe und warum in Texas nur die Ölindustrie von Steuererleichterungen profitiere.

Zwei Wochen vor dem republikanischen Parteitag wurde diese Strategie nun durch die Aufdeckung eines weiteren Parteienfinanzierungsskandals durchkreuzt, der auch die vermeintliche Kernkompetenz Al Gores in Frage stellt. Das Weiße Haus hat unter Mitwirkung Al Gores im April 1999 dem umstrittenen Bauantrag für ein Mega-Einkaufszentrum außerhalb New Yorks zugestimmt. Gegen diese Einrichtung hatten Umweltgruppen monatelang demonstriert, weil es mitten im Marschland liegt und viele Tierarten beherbergt. Eine Woche nach der umstrittenen Entscheidung gingen auf dem Spendenkonto Al Gores 31.000 Dollar ein - von der Bauträgerfirma des Einkaufszentrums.


 
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