© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000

 
UMWELT
Wie die Taube auf der Straße
Volker Kempf

Ein gnadenloser Überlebenskampf findet derzeit in der "globalisierten" Wirtschaft statt. Selbstbehauptung – "Ellenbogen" – braucht man, um heute in dieser Wirtschaft zu überleben. Im Garten kann man in diesen Sommertagen die Gesetze des Fressens und Gefressenwerdens oder der Verteidigung von Territorien beobachten.

Doch entspricht das, was sich da beobachten läßt, dem Wettbewerb in der modernen Welt? Oder geht es nicht eher zu wie im Straßenverkehr, in dem eine Taube nicht viel zu kämpfen und zu melden hat.

Eine Taube auf der Straße wurde, gewiß keine Seltenheit, mit einem lauten Knall von einem PKW angefahren. Die rechte Häfte des Vogels war deutlich angeplättet. Da humpelte das Tier gestört noch ein paar Schritte auf der Fahrbahn umher. Dann kam ein Bus ... Es war kurz und schmerzlos – das Ende dieses Vogels.

Was heißt das aber auf die Menschenwelt übertragen? Die Moderne rollt und rollt, und wer bei dem Tempo nicht schritthält, wird einfach überrollt. So antiquiert wie die Taube auf der Straße ist in der modernen Welt auch der Mensch. Menschliches Versagen, heißt es meist, wenn ein Zug verunglückt. Die Gentechnik soll uns da modernisieren. Armer Vogel, armer Mensch, die nicht bleiben dürfen wie sie sind; es sei denn, sie befinden sich im Jenseits eines artgerecht eingerichteten Tauben- oder Menschenparks.

Von der "Schicksalsgemeinschaft von Mensch und Tier" hat der britische Zoologe Desmond Morris mit einem seiner Buchtitel treffend gesprochen. Wohl wahr: schöne Zeiten, in denen der Kampf der Tiere im Garten noch dem Kampf unter den Menschen entsprach.


 
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