© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000

 
BLICK NACH OSTEN
Der eiserne Besen fegt durch Zagreb
Carl Gustaf Ströhm

Als ich dieser Tage einen Kol legen in Zagreb fragte, wie er sich erkläre, daß Kroatien seit geraumer Zeit aus der Geräuschkulisse der internationalen Medien verschwunden sei, antwortete dieser: "Ganz einfach – wir sind nicht mehr Teil des Problems und deshalb uninteressant."

In Kroatien ist seit dem Tode des vom Westen boykottierten Staatsgründers Franjo Tudjman eine Koalition aus Reformkommunisten und Liberalen an der Macht, flankiert von einigen kleineren Parteien. An der Spitze des Staates steht ein Präsident – Stipe Mesic –, der es sich zur Aufgabe macht, seinen Vorgänger wo es immer geht "anzuschwärzen".

Zugleich hat die neue Regierung unter Premier Ivica Racan – der bis 1990 seine Karriere im kommunistischen Apparat machte (er war der letzte KP-Chef und zuvor "Chefideologe") – eine massive "Säuberung" des öffentlichen Lebens und der Medien eingeleitet. Das Fernsehen wurde gleichgeschaltet und befindet sich heute fest in reformkommunistischer Hand. Zahlreiche kroatische Diplomaten wurden (oder werden demnächst) auf die Straße gesetzt. Der neue Präsident Mesic nimmt sich einzelne nicht ganz botmäßige Zeitungen vor und kündigt an, man müsse solche Zeitungen "zur Seriosität veranlassen" – eine Ankündigung, die man auch als Drohung verstehen könnte. Die neue Regierung hat vom Präsidenten der Nationalbank über den Chef des Erdölkonzerns bis zum Leiter des Instituts für die Auslandskroaten auch Amtsträger "gesäubert", die in westlichen Demokratien nach Wahlen normalerweise unbehelligt bleiben.

Seltsam ist, daß derselbe Westen, der zu Tudjmans Lebzeiten sofort zur Stelle war, wenn es galt, die "Freiheit der Medien" und die "Menschenrechte" in Kroatien (natürlich gegen Tudjman) zu verteidigen, die neue große Säuberung völlig gleichgültig hinnimmt. Selbst die Tatsache, daß im kroatischen Fernsehen alte kommunistische Presse-Kader neuerdings den Kurs bestimmen, ruft keine Brüsseler oder Washingtoner Einwände oder Bedenken auf den Plan. Die neue kroatische Machtkonstellation entspricht den Interessen sowohl Washingtons als auch der EU, weil die jetzige Zagreber Regierung alle Forderungen des Westens ohne Wenn und Aber erfüllt. Tudjman war dazu nicht bereit und legte sich quer, was ihm als "Nationalismus" übelgenommen wurde.

Die neue kroatische Führung geht nun auch gegen die eigenen Militärs vor, die den "vaterländischen Krieg" gegen die Groß-Serben gewonnen haben. Armee und Polizei werden "umgekrempelt". In der kroatischen Öffentlichkeit herrscht gewisse Unruhe angesichts der Möglichkeit, daß die siegreichen Generäle und Soldaten demnächst als "Kriegsverbrecher" vor dem Haager Tribunal landen könnten – während die serbischen Angreifer bisher nur in Einzelfällen zur Verantwortung gezogen wurden.

Der alte Tudjman begriff instinktiv, daß sich Kroatien aus der Umklammerung des Balkan lösen muß, wenn es aus seiner jahrzehntelangen Misere heraustreten möchte. Die neuen Chefs in Zagreb teilen diese Befürchtung nicht. Sie fühlen sich sogar geehrt, daß Zagreb demnächst Gastgeber einer Konferenz der Balkanstaaten sein wird, die auf französische Initiative zustandekommt. Die "Re-Balkanisierung" Kroatiens birgt auch die Gefahr eines "neugewandelten Jugoslawismus" – unter der Europa-Flagge. Es sei grotesk – so ein Zagreber Beobachter –, daß der Weg in dieses Europa über den Balkan und möglicherweise sogar über Serbien führe.


 
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