© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    30/00 21. Juli 2000

 
Ein Richter will ins Parlament
In Hamburg gründete Amtsrichter Ronald Schill die "Partei Rechtsstaatlicher Offensive"
Holger Stürenburg

Um die Gründung der Partei Rechtsstaatlicher Offensive (PRO) wurde lange Zeit ein großes Geheimnis gemacht. Zwar hatte der Gründer, Hamburgs umstrittener Amtsrichter Ronald B. Schill, bereits vor vier Wochen öffentlich verlauten lassen, seine Partei nicht erst, wie zunächst geplant, am 3. Oktober 2000 ausrufen zu wollen, sondern bereits im Juli. Aber tatsächlich wußte niemand, wann dies genau geschehen sollte. Die Gründungsmitglieder in spe mußten ihr Wort geben, Ort und Datum niemandem zu verraten. Schließlich sollten weder Presse noch Antifaschisten davon etwas mitbekommen.

Dennoch waren einige griesgrämig dreinschauende Pressevertreter vor Ort, die jeden, der den Raum betrat, ansprangen und um Informationen ersuchten, als es am vergangenen Donnerstag endlich soweit war: Ronald Schill und 70 Interessierte hatten sich im Ratsweinkeller versammelt, in einem Raum, der sich direkt unter den Sitzbänken des Senates in der Hamburger Bürgerschaft befindet. Unter den Anwesenden waren viele junge Leute, eine große Anzahl von Akademikern, Lehrern, Anwälten, nur wenige Frauen und Arbeiter.

Mit den Worten "Jetzt können alle, die sich eine Zigarette oder Pfeife anzünden, dem Senat Feuer unter dem Hintern machen", eröffnete Versammlungsleiter Marlo Mettbach die dreistündige Gründungssitzung. Der langjährige CDU-Funktionär und spätere Mitbegründer der STATT Partei hatte eine Veranstaltung eröffnet, vor der sich die etablierten Parteien monatelang fürchteten, die viele Bürger der Hansestadt jedoch mit Vorfreude erfüllte: Endlich sollte eine wählbare Alternative entstehen zur verfilzten SPD, zu den ausschließlich Randgruppen hofierenden Grünen und vor allem zur Hamburger CDU, die nach über 40jähriger Oppositionszeit nicht einmal den Anschein erweckt, tatsächlich an die Regierung kommen und etwas verändern zu wollen – abgesehen von den linksliberalen Konzepten, mit denen sich die Union in Hamburg bisher dem Wahlvolk präsentierte.

Zunächst wurde – ohne Gegenstimme und lange Diskussion – das Parteiprogramm der PRO beschlossen. Es beruht auf dem Schwerpunkt "Innere Sicherheit", des Parteigründers Schill Leib-und-Magen-Thema, das in Hamburg von allen in der Bürgerschaft vertretenen Parteien seit Jahrzehnten mehr als stiefmütterlich behandelt wird. Man denke nur an Hafenstraße, "Rote Flora" oder die unhaltbaren Zustände rund um den Hauptbahnhof. Die Kriminalität in Hamburg will Schill innerhalb von 100 Tagen halbieren, sollte er nach der Bürgerschaftswahl 2001 mit an die Regierung kommen und – Schills Traum – selbst Innensenator werden.

Die PRO will das "Kartell strafunwilliger Jugendrichter" auflösen und Urteile über jugendliche Straftäter konsequent von "Erwachsenenrichtern" vornehmen lassen. Es soll zusätzlich ein geschlossenes Heim mit 100 Plätzen für den "harten Kern von Intensivgewalttätern unter Kindern und Jugendlichen" geschaffen werden. Der Drogenhandel soll zum Beispiel durch den "Einsatz von Brechmitteln zur Erlangung heruntergeschluckter Drogen als Beweismittel" unterbunden werden. "Scheinkäufer der Polizei" sollen in wechselnder Besetzung Drogendealer aufschnappen, modernste Technologie soll im Kampf gegen Händler genauso eingesetzt werden wie der Verfassungsschutz. Schill möchte, daß in Hamburg mindestens 10.000 Polizisten beschäftigt werden, diese sollen alle kugelsichere Westen erhalten und offensiv von der Politik unterstützt werden.

Auch der Ausländerpolitik wird von der PRO eine große Bedeutung zugemessen – und besonders in diesem Punkt bricht Schill eine ganze Anzahl von Denkverboten und Tabus: Die verfassungsrechtliche Absicherung des Asylrechtes soll vollständig abgeschafft werden. Ausländer, die in Deutschland zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt wurden, haben umgehend ausgewiesen und abgeschoben zu werden. Gleiches gilt für Fremde, die in Deutschland mit Drogen handeln oder scharfe Schußwaffen bei sich tragen.

Die innere Sicherheit nimmt zwar den meisten Raum im 22seitigen Programm ein, aber auch zu Schule, Wirtschaft, Verkehr und vielen weiteren Gebieten, die den Hamburgern unter den Nägeln brennen, werden programmatische Vorschläge gemacht.

Im weiteren Verlauf des Abends wurde Ronald B. Schill erwartungsgemäß einstimmig zum Vorsitzenden gewählt. Seine Stellvertreter wurden Mario Mettbach (47) und der Lauenburger Rechtsanwalt Dirk Nockemann (41). Schills Lebensgefährtin Karin Freund (33) wurde zur Schriftführerin gewählt, der Ex-CDU-Ortsvorsitzende vom Hamburg-Billstedt, Norbert Frühauf (41), zum Schatzmeister. In den erweiterten Landesvorstand wurden gewählt: der 22jährigen CDU-Rebell Björn J. Neumann, die Versicherungsmanagerin Peggy Rasch (32), die bereits im Frühjahr dieses Jahres eine Bürgerinitiative "Ich will Schill" ins Leben gerufen hat, aus der sich der Parteistamm entwickelte, der Vorsitzende des Vereins für Menschenrechte, Anthony Rau (41), sowie der langjährige SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Manfred Silberbach (64), der Schnapshersteller-Neffe Franz Josef Underberg (57) und der TV-Journalist Rainer Koppke.

Am nächsten Morgen lud Schill zur Pressekonferenz ins noble Hotel Elysee an der Rothenbaumchaussee. Fast 100 Pressevertreter wichtiger Zeitungen, Magazine, TV-und Radiostationen, meist aus Hamburg, aber auch aus dem Bundesgebiet, überfüllten den Saal, in dem Schill Partei, Programm und Vorstand der Öffentlichkeit präsentierte. Schills Rhetorik, die noch vier Wochen zuvor bei seinen Auftritten in verschiedenen Hamburger CDU-Ortsverbänden einige Mängel aufwies (JF berichtete), hat sich erheblich verbessert. Der Richter wird zunehmend tatsächlich das, was man ihm vorwirft: ein Populist.

Diese Bezeichnung lehnt Schill zwar nicht ab, den Vergleich mit FPÖ-Chef Jörg Haider weist Schill jedoch deutlich zurück. Eine Zusammenarbeit mit der FPÖ sei völlig ausgeschlossen. "Ich lehne Jörg Haider innerlich ab", reagierte Schill auf eine Anfrage der Wiener Wochenzeitung Zur Zeit. Haider habe, so Schill, in seiner Zeit als Kärntner Landeshauptmann "Gefühle und Gedanken offengelegt, die sehr in Richtung des Nationalsozialismus tendieren". Auch Vergleiche seiner Person mit Haider werden von Schill zurückgewiesen: "Hier geht es um eine gezielte Kampagne linker Kräfte, mich und meine Partei zu diskreditieren." Offenbar hat hier die – im von Rot-Grün regierten Hamburg besonders ausgeprägte – politische Korrektheit und die Angst vor Angriffen Linker gesiegt. Erste telefonische Drohungen bei Vorstandsmitgliedern sollen bereits in der Nacht nach der Parteigründung eingegangen sein.

Gemeinsam mit der CDU, eventuell der FDP und der STATT Partei soll eine Art "bürgerlicher Block" geschaffen werden, um den rot-grünen Senat "zum Teufel zu jagen". Zwischen "20 und 30 Prozent der Stimmen" hofft Schill, 2001 für die PRO gewinnen zu können. Meinungsumfragen geben ihm bereits jetzt zwischen 12 und 18 Prozent.

Mit Schills Parteigründung, die sich alle bundespolitischen Optionen offenhält (was durch eine für den Herbst geplante gemeinsame Veranstaltung mit dem CSU-Politiker Peter Gauweiler in München untermauert werden soll), ist in Hamburg eine Gruppe entstanden, von der sich traditionelle SPD-Wähler, die sich von ihrer Partei im Stich gelassen fühlen, ebenso angesprochen fühlen können wie wertkonservative Unionsanhänger, die Ole von Beusts schwarz-grünen Kurs nicht mittragen wollen. Auch viele Nichtwähler (1997: 40 Prozent) haben eine Alternative erhalten.


Erst rein, dann raus
Erste Austritte beschäftigen die Schill-Partei

Nur wenige Tage nach der Gründung der Partei Rechtsstaat- licher Offensive (PRO) haben zwei Gründungsmitglieder ihren Austritt aus der Partei erklärt. Bereits am Morgen nach der Gründung legte der bisherige Organisationsleiter Michael Schumann seine Mitgliedschaft und damit verbunden sein Amt als Beisitzer im erweiterten Bundesvorstand nieder.

Zwei Tage später erklärte die Parteimanagerin Magdalene Eberhard ihren Austritt aus der PRO. Frau Eberhard, die 24 Jahre lang als Chefsekretärin im Axel-Springer-Verlag gearbeitet hatte, klagte: "Die Partei hat mich nur ausgenutzt. Von Anfang an habe ich ehrenamtlich alles geschrieben und ausgearbeitet, was anfiel. Nun hat mich der neue Vorstand nicht einmal gegenüber der Presse vorgestellt!"

Nach dem Austritt von Magdalene Eberhard steht die PRO, die in diesen Tagen ihre Geschäftsstelle in Hamburg City-Süd eröffnen will, ohne Sekretärin und Managerin da. Eine Nachfolgerin ist nicht in Sicht. "Ich befürchte", so Frau Eberhard unter Tränen, "daß Vorsitzender Schill nur noch eine Marionette intriganter Vorstandsmitglieder ist".

Holger Stürenburg


 
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