© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/00 14. Juli 2000

 
DJ Gotthilf und die Techno-Jünger
Gero Brandes

Gibt es etwas, was uns Erdenbewohner, egal ob schwarz oder weiß, Rentner, Pfadfinder oder Satanist, alle verbindet? Der Besitz eines Mobiltelefons, die Liebe zu Schokolade oder ein JF-Jahresabo? Alles falsch, es ist – die Love Parade. Dies wurde jedenfalls mit dem diesjährigen Motto "One world, one Love-Parade" suggeriert, und so mache ich mich auf den Weg zur großer Liebesparade. Soeben durch das Brandenburger Tor marschiert, habe ich Grund zum Staunen: Überall halbbekleidete Mädels, die zum Rhythmus der urwaldähnlichen Technoklänge ihren Körper in einer Art und Weise bewegen, die Sielmann nicht besser hätte filmen können. Ihre ob soviel weiblicher Nabelschau stieläugigen männlichen Kollegen waren meist weniger enthusiastisch, statt dessen lassen diese Stimmungskanonen lauthals Sätze wie "Haste die Trümmerbude gesehen, da kommt mir’s hoch" vom Stapel. (Trümmerbude ist eine "technodeutsche" Vokabel für eine unattraktive Raverin)

Schon bald hab‘ ich genug gesehen und will die Love-Parade verlassen. Doch bevor ich diesen Plan in die Tat umsetzen kann, werde ich Zeuge eines Novums in der Techno-Geschichte: Nicht nur der FDP-Verkäufer Guido Westerwelle, sondern auch Gotthilf Fischer läßt sich mit einer Techno-Version seines Liedguts nicht lumpen und ist ganz begeistert: "Die Jugend ist ganz fantastisch. Es soll mir keiner über die Jugend meckern." Nicht ganz so schleimig fällt das Urteil des Machers der Zeitung Front Page und Techno-Fürsten Jürgen Laarmann aus: "Einstmals war Techno Kampf gegen das Establishment. Die Love Parade ist einfach nur noch peinlich." Außerdem sieht er in der Love Parade ein Abbild der Klassengesellschaft: "Das Partyvolk auf der Straße, die hippen Technofans in den Clubs, die VIPs auf den VIP-Parties. (…) Sind anderthalb Millionen Menschen in der Stadt, ist es einigen sehr wichtig, wichtiger zu sein als andere."        

Eine Million Leute, kurze Röcke, String-Tangas und etwas unter 200 Tonnen Müll; die Love Parade war bestimmt die größte Party im Jahr 2000, und ich war dabei – das Jubeln bleibt mir im Halse stecken! Geschockt bin ich nicht über die "Dekadenz" der Liebesparade, denn was kann einen noch erschrecken in Zeiten, in denen Talkmaster nachmittags mit ihren Gästen darüber philosophieren, warum der Nachbar auf Fett in Strapsen steht, oder in denen WG-Bewohner gefilmt werden, die Shakespeare für einen amerikanischen Dokumentarfilmer halten. Doch stelle ich mir die Frage: Was haben urwaldähnliche Klänge, DJ Gotthilf und die Verschmutzung eines ganzen Stadtviertels mit Liebe zu tun?


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen