© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/00 14. Juli 2000

 
Gesichtsverlust und Vision
Das Deutsche Historische Museum zeigt "Das Gesicht der Weimarer Republik"
Ekkehard Schultz

Durch Bilder wird das Andenken einer Zeit für die Nachwelt konserviert. Je größer die Menge der archivierten Bilder ist, desto eher glauben die Nachkommen, sich im sprichwörtlichen Sinne "ein Bild der Zeit" machen zu können. So wird historischen Ereignissen, denen es an visuellen Darstellungen mangelt, im historischen Gedächtnis zumeist eine weit weniger bedeutsame Rolle zugeordnet als Ereignissen, die sich aus einer Fülle von Bildern aufschlüsseln lassen.

Die neue Ausstellung im Deutschen Historischen Museum, die in Zusammenarbeit mit dem Einstein-Forum in Potsdam konzipiert wurde, muß sich freilich nicht mit dem Problem des Bildermangels herumschlagen. Die Epoche der Weimarer Republik hinterließ einen bereits gut aufbereiteten Bildervorrat. Trotzdem merkt auch der zeithistorisch Gebildete der Ausstellung an, daß sich Katalogautor Hans Puttnies nicht allein auf die Sichtung der vorhandenen großen Schätze beschränkte, sondern sich bei der Objektauswahl insbesondere des Potpourris der Hunderte von Periodika umfassenden "zeigeistigen" Wochen- und Monatspublizistik annahm, um Bekanntes und Unbekanntes vereinigen zu können.

Im Ausstellungskatalog wird darauf hingewiesen, daß sich unsere heutigen Vorstellungen von dieser Epoche weniger aus der enormen Vielfalt der damaligen Bilderproduktion zusammensetzen, sondern vielmehr aus dem Bild, welches die heutige Zeit von den Jahren zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus zeichnet. Unser historisches Wissen, das in kollektiven Geschichtsbildern seine Verankerung findet, greift somit auf unser Vorstellungsvermögen über vergangene Epochen zurück. Wie eine Zensur wirkt der Filter, mit dem wir aus dem Bilderkonsum einer Zeit eine Auswahl treffen. So stellen wir Bilder, die Meinungen bestätigen, über Bilder, die unser Wissen über eine Zeit in Frage stellen oder doch zumindest als weniger eindeutig einscheinen lassen könnten. So nehmen beispielsweise im kollektiven Gedächtnis unserer Zeit Bilder der künstlerischen Avantgarde beim Themenkomplex Weimar einen weit größeren Platz ein, als ihn die Moderne damals tatsächlich beanspruchen konnte. Weitaus charakteristischer, weil erheblich verbreiteter, sind für jene Jahre die zahlreichen Gemälde, Karten und Fotografien des Generalfeldmarschalls und späteren Reichspräsidenten Hindenburg. Zur weiteren Verzerrung trägt die selektive Verarbeitung eines Bilderkonsums durch eine historisch aufgeklärte Nachwelt bei.

Doch nicht der historische Wert einer Darstellung an sich, sondern der Bezug auf die Wahrnehmung des Menschen in der Weimarer Republik entschied über die Aufnahme der Objekte in die Ausstellung. Dabei wird zwischen Körpern bzw. Körperpartien und dem eigentlichen Gesicht unterschieden. Innerhalb von 15 Kategorien, wie "Arbeit und Kampf", "Hygiene und Benehmen", "Gesichtsverlust und Vision", versuchen die Ausstellungsmacher, einen Teil der authentischen Vorstellungswelt der zwanziger Jahre zu rekonstruieren. Dabei greifen sie in erster Linie auf Bilder zurück, die zur tagesaktuellen Verwertung bestimmt waren.

Bewußt wird in der Ausstellung auf konkrete Erläuterungen zu den einzelnen Darstellungen verzichtet. Lediglich wenige Sätze weisen den Betrachter in die Vorstellungen ein, die bei der Bildung der Kategorien eine Rolle spielten. Dies ist auch heute noch, zumindest bei historischen Ausstellungen, ein durchaus mutiges Unterfangen, was sich in den bisherigen Eintragungen im Besucherbuch widerspiegelt. Mehrere Gäste monieren das Fehlen "wissenschaftlicher" Erklärungen und Einordnungen. Andererseits bereitet der ästhetische Genuß, der allein aus dem Betrachten der Bilder resultiert, nicht nur kulturgeschichtlich Vertrauten ein wahres Vergnügen, wie andere Vermerke belegen.

Der Reigen der Abbildungen reicht von Straßenszenen über die Themen Arbeit, Mode, Film, Sport, Verbrechen bis zu den bekannten Physiognomien George Groszs oder Abbildungen von Rassetypen Hans F.K. Günthers. Die Breite der Themenpalette belegt, daß das eine Zeit beschreibende "typische" Bild immer ein Ausdruck selektiver Wahrnehmung ist und somit wenig mit der Realität korrespondiert. Hervorstechend ist der hohe Anteil erotischer Motive, die sich in direkter oder indirekter Form in gut der Hälfte der Objekte wiederfinden. Generell symbolisiert sich in den Frauendarstellungen ein gewachsenes Selbstbewußtsein ihrer Trägerinnen, obwohl in der Werbung häusliche Rollenbilder noch überwiegen. Interessant ist auch der hohe Stellenwert von Parapsychologie und Hypnose.

Eine besondere Funktion kam dem Blick zu: Ihm wurde als Spiegel des Inneren eine große Bedeutung zugemessen. Dieser generelle Trend wurde maßgeblich durch die Stummfilmproduktion mit ihrer besonderen Möglichkeit zur Verkörperung von Stimmungen gefördert. Der darauf aufbauende, fast inflationär anmutende Handel mit Postkarten der Kinostars legt ein reges Zeugnis von der Bemühung ab, nach dem "Gesichtsverlust" durch den Ersten Weltkrieg ein neues Aussehen zu kreieren.

Puttnies, der Kommunikationsdesign an der Fachhochschule Darmstadt lehrt, beweist mit seinem Mißtrauen gegenüber der "pädogogischen Dienstverpflichtung", wie er sein Unbehagen gegen die krampfhafte Interpretation einzelner Bildwerke beschreibt, daß auch zeithistorische Ausstellungen keine Zeigerfingerpolitik benötigen. Bemerkenswert bescheiden fällt auch seine Einstufung der Ausstellung aus. Sie sei nur ein erster Versuch, die "wirkliche Bildkultur der zwanziger Jahre nach ihrem Anteil am Menschenbild der Epoche zu durchforsten". So ist sie bewußt angreifbar gestaltet, weil sie dieser Aufgabe nur aus dem Blickwinkel eines Menschen nachkommt.

 

Die Ausstellung "Das Gesicht der Weimarer Republik" wird bis zum 12. September im Kronprinzenpalais, Berlin-Mitte gezeigt. Eintritt frei. Der Katalog kostet 38 Mark.


 
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