© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/00 14. Juli 2000

 
Pankraz,
Anna Karenina und die Heiligkeit der Ehe

Beim derzeitigen Großangriff der rot-grünen Koalition auf Ehe und Familie werden von Regierungsseite nicht nur "praktische" Argumente ins Feld geführt, sondern nicht zu knapp auch ideologische und historische. Vor allem die seit uralten Zeiten behauptete "Heiligkeit" von Ehe und Familie wird verhöhnt und denunziert, als vorsintflutliche Macke längst vergangener Naturvölker und Hochkulturen abgetan.

Aber haben diese Naturvölker und Hochkulturen, indem sie Ehe und Familie heiligten, damit nicht gerade einen äußerst praktischen Sinn an den Tag gelegt? Der frei schweifende Eros ist ohne Zweifel ein chaotisches, zerstörerisches, sozial desintegratives Phänomen, und die Alten haben das genau durchschaut und daraus ihre Konsequenzen gezogen, weil anders ein geordnetes Zusammenleben gar nicht möglich gewesen wäre.

Daß zwei Partner bloß aus "Liebe" heirateten, also weil sie sich intensiv zueinander "hingezogen" fühlten – dergleichen geriet nicht einmal ansatzweise in den Denkhorizont der Alten. Heirat und Sexualverkehr waren in erster, zweiter und auch noch in dritter und vierter Linie soziale, die Gemeinschaft als Ganzes betreffende Angelegenheiten, wurden vom Familienvorstand, vom Rat der Alten oder – bei matriarchalischen Systemen – vom Rat der Mütter und Tanten festgelegt und verabredet. Und die Priester spielten immer mit. Das Chaos mußte gebändigt werden, und das konnte nur mit Hilfe der Götter geschehen.

Familienbande waren geheiligte Bande. Es gab – den historischen Zufälligkeiten entsprechend – die verschiedensten Formen des Eheabschlusses: die Raubehe, die Kaufehe, die Dienstehe; es gab die verschiedensten Formen der Familienwirklichkeit: die Einehe, die Vielehe, die Polyandrie (also die gleichzeitige Ehe einer Frau mit mehreren Männern), das "Sorarat", wo der Mann nach dem Tod seiner Frau sofort zum Manne von deren jüngerer Schwester wurde, das Konkubinat, die Nebenehe ... Doch alle diese Formen waren geheiligt, standen unter dem Schutz und der Aufsicht der Götter, wurden durch religiöse Zeremonien fixiert und beglaubigt.

Familienstiftung war das wichtigste Element von Friedensschlüssen zwischen einander bekriegenden Völkern, wenn es keinen eindeutigen Sieger gab. Die Häuptlinge heirateten die Schwestern oder Töchter des ehemals gegnerischen Häuptlings und stellten so eine Verbindung zwischen den "Totems" der Völker her; Totems aber waren die Symbole der göttlichen Abkunft eines Volkes, seine heiligen, existenzsichernden Zeichen. Daraus entstand der den Gen-Austausch erweiternde, die genetische Vielfalt garantierende Brauch der Exogamie, wonach sich ein Mann eine Frau mit einem von dem seinen verschiedenen Totem zu suchen hatte.

Ein Großteil (wahrscheinlich der größte Teil) der Rechtsgrundsätze entwickelte sich aus dieser totemistisch angeleiteten Exogamie, vor allem das Güterrecht, das Erbrecht, das Wohnungs- und Bleiberecht. Ehescheidung war nur möglich, wenn die Priester und andere Rechtsobere zustimmten, stand unter vielen erschwerenden Kautelen und bedurfte komplizierter Verfahren. Ehebruch war ein todeswürdiges Verbrechen.

Trotzdem sind natürlich immer wieder Ehen gebrochen worden und werden immer wieder gebrochen, auch dort, wo nach wie vor rigorose moralische und auch rechtliche Sanktionen gegen Ehebrecher und "Beschmutzer der Familienehre" aufrechterhalten werden, wie in diversen islamischen Staaten. Die sogenannte schöne Literatur (die ja relativ selten etwa den Mord verherrlicht oder gar vor Gott rechtfertigt) wimmelt von berühmten Werken, von Anna Karenina bis Madame Bovary, in denen Ehebruch wenn nicht gerechtfertigt, so doch entschuldigt, der Sünder beweint und mit höchster Sympathie vorgestellt wird. Es gab immer ein gefühlshaftes Aufbegehren gegen das Gebot "Du sollst nicht ehebrechen".

Doch Gefühl und Vernunft sind nun mal zwei verschiedene Stiefel, und die Alten entschieden in einer so wichtigen Frage wie der Ehe nach Maßgabe der Vernunft; just deshalb heiligten sie Ehe und Familie. Wenn diese Institute heute in der politischen Diskussion total säkularisiert und sogar karikiert werden, muß das keineswegs Zuwachs an sozialer Vernunft bedeuten.

Ein Urgebot wird ausgehebelt, obwohl bei Lichte betrachtet keine Rede davon sein kann, daß die "moderne Entwicklung" dem Institut der Ehe regelrecht zuwiderlaufe, dergestalt daß sich Modernität und Ehe gegenseitig existenzgefährdend in die Quere kämen, gar gegenseitig ausschlössen. Das dürfte sich rächen.

Auch heute, unter modernen und modernsten Bedingungen, ist die gut befestigte und beiderseits respektierte (Hetero-)Ehe das wirksamste Mittel, um Effizienz und Rechtssicherheit auf den sozialen Rängen, auf allen sozialen Rängen, zu garantieren. Sämtliche alternativen Formen sexuell grundierten Zusammenlebens haben im Vergleich zur Familie versagt, haben zu sexueller Verelendung, bzw. zu krisenhaften inneren und äußeren Befindlichkeiten geführt, die soziale, rechtliche und mentale Lage nicht zuletzt der Kinder verschlechtert.

Jene kulturrevolutionären Aggressionen gegen Ehe und Familie wie z. B. in der russischen Oktoberrevolution nach 1917 oder in der "Studentenrevolte" von 1968 sind heute bis auf die Knochen blamiert, haben die Menschen nicht glücklicher, sondern unglücklicher gemacht. Die aktuelle Spaßgesellschaft mit ihrer flotten Permissivität und ihrem Berliner Spaßkanzler könnte daraus lernen, doch möglicherweise ist sie gar nicht mehr in der Lage, etwas dazuzulernen.

So ist es also – zumindest was die politisch Sphäre betrifft – Aufgabe der parlamentarischen Opposition, dagegenzuhalten und Lernprozesse einzuleiten. Sie sollte sich dabei ruhig auf die Heiligung von Ehe und Familie in alten Zeiten berufen.


 
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