© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/00 14. Juli 2000

 
BLICK NACH OSTEN
Das Ende "Jugoslawiens" droht
Carl Gustaf Ströhm

Angesichts der sich zuspitzenden Lage in und um Montenegro – noch Teil der "Bundesrepublik Jugoslawien" von Slobodan Milosevic – verhält sich die US-Administration nach dem Motto: "Wasch‘ mir den Pelz, aber mach‘ mich nicht naß". Washington warnte Belgrad und forderte gleichzeitig seinen Schützling im "Land der schwarzen Berge", Präsident Mile Djukanovic, zu größter "Zurückhaltung" auf.

Die Motive sind klar: Clinton möchte seine Amtszeit nicht mit neuen Militärinterventionen beenden. Sollte die Lunte am montenegrinischen Pulverfaß zu glühen beginnen – etwa durch eine gezielte serbische Provokation oder durch eine Angst-Überreaktion der "autonomistischen" Montenegriner –, entstünde im hyperlabilen Dreieck zwischen Bosnien, Albanien und dem Kosovo ein neuer Brandherd, der die gesamte "westliche" Balkan-Strategie zurückwerfen würde. Auch die nach außen notdürftig geflickte Fassade des amerikanisch-russischen Verhältnisses müßte zu bröckeln beginnen. Den USA käme daher ein solcher Ausbruch momentan denkbar ungelegen, obwohl das Ziel der US-Politik im Südosten Europas unverändert ist: die Russen vom direkten Zugang zum Mittelmeer fernzuhalten – was zur Zeit nur über Montenegro (Bucht von Kotor/Catarro) möglich ist.

Am anderen Ende befindet sich Milosevic – ein unermüdlicher und keineswegs unintelligenter Spieler, seit elf Jahren an der Macht. Er scheint aber entschlossen, das große Spiel zu wagen. Diskrete westliche Angebote auf einen geruhsamen Lebensabend – fern von allen Kriegsverbrecher-Anklagen – hat er ebenso diskret in den Wind geschlagen und bereitet stattdessen seine faktische Einsetzung als Präsident auf Lebenszeit vor.

Ermutigt wird der starke Mann in Belgrad durch die desolate performance der bisherigen amerikanisch-europäischen Balkanpolitik. Weder im Kosovo noch in Bosnien ist der Westen einer produktiven Lösung der Probleme auch nur um einen Schritt näher gekommen. Wenn deutsche Politiker und Experten dieser Tage allen Ernstes ankündigen, die Bundeswehr werden noch mindestens "zwanzig Jahre" im Kosovo verbleiben, dann kommt schon das einer politischen Bankrotterklärung gleich. Das Kosovo und Bosnien könnten sich leicht in ein "Nordirland des Ostens" verwandeln: ein Gebiet, in dem alle paar Jahre das "Niederlegen der Waffen" gefeiert wird – und wo kurz darauf die nächste Bombe kracht.

Djukanovic und seine Leute malen für Montenegro die Gefahr des Bürgerkrieges an die Wand. Nun hat man im Westen den blutigen Zerfall Ex-Jugoslawiens – also des Tito-Staates fälschlicherweise als "Bürgerkrieg" bezeichnet, obwohl es sich damals in Wirklichkeit um einen Krieg zwischen verschiedenen Nationen (Serben, Kroaten, bosnische Moslems) handelte. Montenegro wäre insofern ein "wirklicher" Bürgerkrieg, als hier erstmals seit 1945 Angehörige der gleichen Nation aufeinander schießen müßten. Das würde die Lage noch weiter verschärfen.

Auf einer der vielen Balkan-Expertenkonferenzen fiel dieser Tage ein ausnahmsweise luzides Wort. Ein Amerikaner meinte, das Fiasko bisheriger "Friedensmissionen" in diesem Raum sei dadurch verursacht, daß man von Best-Case-Szenarios ausgegangen sei. So sei es auch zu den Massakern von Srebrenica 1995 gekommen. Man schwadroniere von einer "Zivilgesellschaft" und von "multinationalem Zusammenleben" – und sei dann völlig unvorbereitet, wenn die Realität an die Tore klopft. Diese aber ist "da unten" weder "zivil" noch "multinational".


 
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