© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/00 14. Juli 2000

 
Die vergessenen Opfer ohne Lobby
Zwangsarbeiterentschädigung: Der Bundestag verabschiedete bei wenigen ablehnenden Stimmen das Stiftungsgesetz
Ronald Gläser / Richard Stoltz

Am Donnerstag voriger Woche verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Das Gesetz regelt die Entschädigungszahlungen für Fremdarbeiter während des Zweiten Weltkrieges. Insgesamt erhalten die Fremdarbeiter, Opferorganisationen und Anwälte zehn Milliarden Mark, die in erster Linie vom deutschen Steuerzahler aufgebracht werden müssen, weil die von den Spitzen der deutschen Wirtschaft zugesagten Zahlungen weit hinter den Erwartungen der Verbandsfunktionäre zurückbleiben. Otto Graf Lambsdorff erklärte dazu in der Bundestagsdebatte: "Es ist ein öffentliches Ärgernis, daß die Mehrzahl der Unternehmen noch immer nicht der Stiftungsinitiative beigetreten ist." Zu den größeren Firmen, die sich standhaft weigern, gehören nach Angaben des jüdischen Klage-Komitees zum Beispiel Blaupunkt, Sarotti oder die Engelhardt-Brauerei. Der Pressesprecher der Stiftungsinitiative hatte vorher davon berichtet, daß sich Unternehmenschefs am Telefon verleugnen ließen oder nicht zurückrufen würden.

Fast neunzig Prozent der Abgeordneten votierten für den Gesetzesentwurf. Dennoch gab es eine Reihe von Bundestagsabgeordneten, die sich gegen das Gesetz wandten. Während der Debatte kam keiner von ihnen zu Wort. Allerdings gaben eine Reihe von Abgeordneten die Begründung für ihr Abstimmungsverhalten zu Protokoll. So forderte die 34jährige CDU-Abgeordnete Sylvia Bonitz gleichzeitig die Entschädigung deutscher Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkrieges. Der Abgeordnete Brunnhuber beklagte, daß fast ausschließlich Juden entschädigt würden. Martin Hohmann und eine Reihe weiterer CDU/CSU-Abgeordneter faßten eine gemeinsame Erklärung ab, in der es heißt, daß jüdische Opferorganisationen die fünffache Zahl von überlebenden jüdischen Fremdarbeitern angeben würden.

"Ich gönne jedem Menschen, der unter KZ- oder ähnlich schweren Bedingungen Zwangsarbeit leisten mußte, seine Geste der Entschuldigung und des finanziellen Ausgleichs von Herzen," erklärte der Fuldaer Abgeordnete Hohmann. Trotzdem blieben Ungerechtigkeiten und Schieflagen. So sei eine optimale Rechtssicherheit nicht erreicht worden. Außerdem sei das Zwangsarbeiterprojekt in dieser Form nicht das Projekt der Union gewesen. Helmut Kohl habe ganz klar im September 1998 klar gesagt, "die Staatskasse wird nicht wieder geöffnet". Es handele sich um ein Projekt von Rot-Grün, wie der Koalitionsvertrag zeige.

Hohmann: "Der verständliche Wunsch, dem Zwangsarbeiterfonds unter Umständen schweren Herzens in der Hoffnung zuzustimmen, es werde der letzte Akt sein, ist Illusion." Im rot-grünen Koalitionsvertrag sei eine weitere Gesetzesinitiative zugunsten der "vergessenen Opfer" vorgesehen. "Die Jewish Claims Conference und Vertreter von Rußland, der Ukraine, Weißrußland, Polen und der Tschechischen Republik waren am Verhandlungstisch. Sie konnten sich auskömmliche Anteile der zehn Milliarden Mark sichern." Nicht aber der sogenannte Rest der Welt. Für diese große Gruppe ergebe sich eine Unterdeckung von ca. einer halben Milliarde Mark, sagte der CDU-Politiker.

Für die jüdische und polnische Opfergruppe seien je 1,8 Milliarden vorgesehen. Damit stehe für alle jüdischen Zwangsarbeiter der Höchstsatz von 15.000 Mark bereit. "Das wird trotz gleichen Leidensweges bei anderen Opfergruppen nicht möglich sein", erklärte Hohmann. Dies liege an den zugrundegelegten Opferzahlen. Die Bundesregierung habe die Zahlen von Professor Niethammer übernommen. Dieser habe sich an Zahlen orientiert, die er von der Jewish Claims Conference erhalten habe. Hohmann: "Diese Zahlen werden – auch von jüdischen Holocaustforschern – öffentlich stark angezweifelt."

Völkerrechtsexperten sähen in der Initiative eine verdeckte Reparation. Sie könnte Staaten, wie jetzt bereits Griechenland, zu noch härterem Vorgehen ermuntern. Mit diesem Gesetz würde die Büchse der Pandora geöffnet. Deshalb habe er gegen das Gesetz gestimmt. "Meine persönliche Ablehnung soll von der Regierung auch als Appell für eine Initiative für deutsche Zwangsarbeiter verstanden werden. Zweierlei Moral, zweierlei Gerechtigkeit und zweierlei Menschenrechte kann es nicht geben", sagte Hohmann.

Auch der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl kritisierte das Gesetz. Zwar trage die Stiftung den Titel "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" zu Recht, denn ohne Erinnerungen und Übernahme der Verantwortung für das Geschehene könne es kein friedliches Miteinander unter Nachbarn geben, sagte Uhl. Doch während der Verbrechen der Deutschen gedacht werde, würden die Verbrechen an Deutschen ausgeblendet werden. "Ohne jede Aufrechnungsabsicht muß festgestellt werden: Das Unrecht des Nazi-Regimes hat letztlich auch das Unrecht an vielen Deutschen ausgelöst. Aber ein Unrecht kann das andere Unrecht niemals rechtfertigen." Verantwortung beginne mit der Wahrhaftigkeit und sie ende mit ihr. So wie das Erinnern unteilbar und Leid nicht teilbar sei, sei auch die Verantwortung für Verbrechen nicht teilbar. "Willi Brandt kniete in Auschwitz. Roman Herzog bat im Warschauer Ghetto um Vergebung. Deutsche haben sich zu Recht für deutsche Untaten immer wieder entschuldigt und um Vergebung gebeten. Wir vermissen aber, daß auch die Gegner von einst sich ihrer Verantwortung stellen", erklärte Uhl.

Eine wahre Aussöhnung könne es nicht geben, wenn das Leid des einen anerkannt und das des anderen geleugnet werde. "Wer sich nicht erinnert und damit die eigene Verantwortung leugnet, der sät die Blume des Bösen. Wir wollen nur, daß die Prinzipien der Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit für alle Menschen, das heißt auch für Deutsche gelten." Vaclav Havel habe recht, wenn er fordere, jedes Volk solle sich um einen ehrlichen Umgang mit der Geschichte bemühen. "Die Geschichte kennt keinen Schlußstrich."


 
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