© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/00 14. Juli 2000

 
Erdprojekt-Unsinn
Kunst im Reichstag: Dem Künstler fehlt Dreck
Thomas Hartenfels

In der vergangenen Woche flatterte allen Parlamentariern im Reichstag ein Brief des Konzept-Künstlers Hans Haacke auf den Tisch, in dem dieser das weitere Prozedere für seine Kunstinstallation "Der Bevölkerung" im Reichstagsgebäude bekanntgibt. Dem Brief lagen zwei Jutesäcke bei, mit denen jeder Politiker aus seinem jeweiligen Wahlkreis einen Zentner Erde für Haackes "Projekt" im Lichthof des Reichstages liefern soll. Diese "symbolische Handlung" stellt Haacke den Politikern zwar frei, jedoch wünscht er sich gerade von den Abgeordneten, "die dem Projekt zunächst ablehnend gegenüberstanden", einen Sinneswandel.

Ausgelöst werden soll der Meinungsumschwung unter den projektkritischen Parlamentariern durch "erneute Reflexion", die nach Haacke bei den "ersten sichtbaren Zeichen" der Realisation des Erdkunstwerks ausgelöst werden wird.

Tatsächlich müssen diese ersten Anzeichen des Kunstwerks unter nahezu der Hälfte der Volksvertreter ihre Wirkung entfalten, denn bei der Abstimmung über den April diesen Jahres von 150 Abgeordneten eingereichten Antrag gegen die Errichtung unterlagen die Haacke-Gegner nur knapp mit 258 zu 260 Stimmen.

Erste Reflexionsschwierigkeiten gab es schon drei Tage nach Erhalt des Haacke-Schreibens bei der CDU-Landesgruppe Sachsen. Diese sandte, die ihr zugeschickten Jutesäcke ungefüllt an Hans Haacke zurück und stellte diese Aktion unter das Motto: "Machd eiern Dregg alleene!", den Ausspruch des letzten sächsischen Königs nach seiner Abdankung 1918. Die sächsischen Bundestagsabgeordneten verweigern dem zwei Millionen teuren "Erdprojekt-Unsinn" ihre Unterstützung, da ihnen das Honorar für Haacke von einer halben Million Mark ungerechtfertigt erscheint. Außerdem halten sie die Inschrift auf dem Reichstagsgiebel ("Dem deutschen Volke") im Gegensatz zu Haacke "keinesfalls für antiquiert".

Damit entziehen die Sachsen Haacke die Argumentationsgrundlage, denn er empfindet die Inschrift "Dem deutschen Volke" als "zu aggressiv" und negativ vorbelastet. Durch das Adjektiv "deutsch" würden zu viele Menschen ausgegrenzt, und mit Volk assoziiert er sogleich "Volksgerichtshof", "Volksschädling" und "Volkssturm". Außerdem schildert Haacke seine traumatische erste Begegnung mit dem Reichstag: "Der Bau verstellte den Blick auf die Mauer im Osten" und kurz danach erschrak er über die Penetranz und Aggressivität der "riesigen Bronzelettern": "Dem deutschen Volke."

Den Bundestagsabgeordneten bietet er durch ihre Beteiligung die Möglichkeit "zur Korrektur der nationalistischen, exklusiven Parole auf der Fassade". Zeitgemäßer erscheint Haacke der schlichte 140 Quadratmeter große Trog mit der dezenten Neonaufschrift bei einer Buchstabenhöhe von 1,20 Meter.

Dem wollen sich vier CSU-Parlamentarier aus München nicht anschließen. Die Abgeordneten Johannes Singhammer, Herbert Frankenhauser, Aribert Wolf und Hans-Peter Uhl ließen Haacke fünf Tage nach ihren sächsischen Kollegen wissen, daß aus ihren Münchner Wahlkreisen "weder Erde noch ein einziger Kieselstein" auf Haackes Bundeskomposthaufen landen werde. Ähnlich reagierte auch schon vor dem Erdlieferungsschreiben Norbert Lammert, der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Kultur und Medien der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, auf die Haackesche "Bundesgartenschau". "Ästhetisch wie politisch mißlungen" sei diese. Er kenne kein anderes Parlament, das sein Haus, "statt mit einer Gemäldegalerie großer Köpfe und politischer Ereignisse demonstrativ mit modernen Kunstwerken ausstattet".

Sollten weiterhin nur die Bevölkerungsvertreter, die für das "Dreckkunstwerk" waren, ihre Erde abliefern, stimmt leider das ganze Werk nicht mehr. Haackes Erdhaufen soll nämlich die Bundesrepublik "en miniature" darstellen. Ein nur zur Hälfte gefüllter Holzbottich wird selbige wohl etwas kümmerlich aussehen lassen.


 
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