© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    29/00 14. Juli 2000


Manipulation
von Philip Plickert

Wenn Wahlen tatsächlich etwas ändern könnten, wären sie nach Brecht schon längst verboten. Aus diesem Gefühl heraus speist sich die weitverbreitete "Politikverdrossenheit" der Deutschen. Zwischen den großen Parteien herrscht ein stilles Einvernehmen, die Diskussion über die EU-Osterweiterung nicht wirklich kontrovers zu führen. Der Schein einer demokratischen Alternative zu Fischers Vision einer EU mit "27, 30 oder noch mehr Mitgliedern" muß zwar gewahrt werden – Stoiber darf also ein wenig knurren –, doch in Wirklichkeit interessiert der Wille des Volkes kaum. So wird in Brüssel als idealer Beitrittstermin für die ersten sechs Kandidaten das Jahr 2005 gehandelt. 2005 hätte den Vorteil, daß es im Wahlkampf 2002 für den deutschen Wähler noch in weiter Ferne läge. Dürfen die Deutschen 2006 dann erneut an die Urne, ist es für eine Korrektur zu spät.

Europa-Politiker aller Parteien sind von der Richtigkeit ihres Tuns derart überzeugt, daß sie das skeptische Volk nur als lästig empfinden. Ihr Ziel einer weitestgehenden Auflösung Deutschlands in die EU steht fest, es müssen nur noch Widerstände beim Wahlvolk gebrochen werden. Dazu ist keine Manipulation zu schäbig, denn der Zweck heiligt die Mittel. Zwar spricht das Grundgesetz den Parteien nur ein Mitwirkungsrecht bei der politischen Willensbildung zu und bestimmt klar, "alle Staatsgewalt geht vom Volke aus", doch die Praxis zeigt ein anderes Bild. Wenn parlamentarische Vertreter den gesetzlichen Souverän nur noch als Manövriermasse bei Wahlen betrachten, dann ist das demokratische Prinzip auf den Kopf gestellt.


 
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