© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/00 07. Juli 2000

 
"Linientreue Zwerge"
Deutschlandlied: Offener Brief von Bestseller-Autor Frederick Forsyth an CDU-Ministerpräsident Erwin Teufel

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, in deutschen Zeitungen, die ich von Zeit zu Zeit lesen, habe ich entdeckt, daß einer Ihrer Kollegen, ein Herr Günther Oettinger, in den Medien unter erheblichen Druck der deutschen Political Correctness (PC) gekommen ist. Sein Vergehen war – sehr zu meinem Erstaunen –, daß er mit seiner Studentenverbindung das Deutschlandlied gesungen hat, und zwar in ganzer Länge. Ich mußte blinzeln und die Stelle mehrmals lesen, um mich zu versichern, daß ich nicht irre! Meine Reaktion war und ist: Na und?

Als ich 1952 als Junge in Deutschland weilte, lernte ich rasch den Text des Deutschlandliedes, und es wurde mir klargemacht, was der Dichter von Fallersleben gemeint und wie man ihn auch hundert Jahre lang verstanden hat: Meine Treue schulde ich ... "Deutschland, Deutschland über alles".

Natürlich hat dann Adolf Hitler für zwölf Jahre diese ursprüngliche Bedeutung in eine Art Herrenrassen-Hymne verkehrt. Aber Hitler pervertierte alles, womit er in Berührung kam: Recht, Gesetz, Geschichte, Kultur, Bildung und ursprünglichen Patriotismus.

Alle diese Dinge sind in einer demokratischen Gesellschaft längst wiederhergestellt. Warum aber nicht das Recht, sein Heimatland zu lieben und eben auch zu besingen?

Der Grund scheint die deutsche PC zu sein. Eine neue und absurde Religion, die die Herrschaft in Ihrem Vaterland, Herr Ministerpräsident, übernommen zu haben scheint und alle Züge einer Art aufkeimenden Neo-Faschismus‘ erkennen läßt.

Als Konservativer bin ich davon überzeugt, daß es gut und richtig ist, die bewährten Traditionen, Sitten und Weisheiten unserer Vorväter zu bewahren, um die Gegenwart zu erleuchten und die Zukunft zu bewahren. Ich glaube außerdem an Toleranz und an das Recht auf legitimen Dissens und offene Debatte.

Ein bedeutender britischer Konservativer sagte einst zu einem politischen Gegner: "Mein Herr, ich lehne alles ab, was Sie sagen, aber ich würde bis zum Tode für Ihr Recht kämpfen, es sagen zu dürfen." Die PC-Fanatiker haben das ins Gegenteil verkehrt: "Ich lehne alles ab, was Sie sagen, und ich werde bis zu Ihrem beruflichen und politischen Tode kämpfen, wenn Sie auch nur versuchen sollten, es zu sagen."

Das ist, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, der Grund, warum ich heutzutage beunruhigt bin, wenn ich nach Deutschland komme. Statt lebendiger und offener Debatte der großen Fragen – etwa wie: Sollen wir die Deutsche Mark und vielleicht gar noch den deutschen Staat abschaffen? – gibt es hier nur Friedhofsruhe.

Vor drei Jahren fragte ich in der deutschen Talk-Show "Cafe Europa" während einer Werbepause den Gastgeber, warum man in Ihrem Land einen – na sagen wir mal – reiferen Engländer ins Fernsehen einlädt, um die kommende Euro-Währung und die drohende europäische Bundesstaatlichkeit zu diskutieren. Er antwortete: "Herr Forsyth, Sie sind der einzige namenhafte Mensch, den wir finden konnten, der bereit war zu sagen, was Sie eben offen gesagt haben." Bedenkend, daß ich nicht mehr gesagt hatte, als daß ich die Abschaffung der D-Mark für voreilig und unklug hielte, schien mir das eine sehr armselige Erklärung.

Als Konservativer schmähe und verachte ich die drei politischen Extreme, die ich in meinem Leben kennengelernt habe: Nazismus, Faschismus und Kommunismus. Alle drei sind pervertierte Abkömmlinge des Sozialismus. Alle drei sind brutale und grausame Glaubensbekenntnisse. Auch sonst haben sie viel gemeinsam; sie sind einer Political Correctness verpflichtet und der Bestrafung eines jeden, der von der vorgeschriebenen Lehre abweicht. So funktioniert auch die PC von heute. Somit sind alle diese vier politischen Orthodoxien dem Konservatismus diametral entgegengesetzt.

Ich lehne die Political Correctness auch deshalb ab, weil sie sich als Glaubensbekenntnis der Toleranz vorzustellen versuchte, doch zum genauen Gegenteil pervertiert ist.

Auf diese Weise können die PC-Fanatiker ihre Orthodoxie – das Glaubensbekenntnis intellektueller Wichte – anderen aufbürden und jeden bedrohen, der es wagt zu widersprechen.

Lassen Sie mich nun einige rhetorische Fragen stellen. Wissen denn diese parteilinientreuen Zwerge nicht, daß Deutschland seit vielen hundert Jahren existiert, nicht nur die zwölf Hitlerjahre? Wissen sie nicht, daß der Beitrag der Deutschen zur Weltzivilisation tatsächlich unschätzbar ist? Haben sie eine Ahnung von der Länge der Liste der Staatsmänner, Wissenschaftler, Mathematiker, Künstler, Dichter, Musiker, Entdecker, Reformer, Philanthropen und Philosophen, die das deutsche Volk jenseits der zwölf Nazi-Jahre hervorgebracht hat? Wissen sie, daß sich etwa kein britischer Student der Philosophie zuwenden kann, ohne Hegel, Fichte oder Kant zu begegnen; oder der Wissenschaft, ohne Planck, Roentgen, Hahn, Hertz oder fünfzig andere Ihres Landes kennenzulernen; oder der Militärgeschichte, ohne den Genius des Alten Fritz oder Carl von Clausewitz‘ zu bestaunen?

Bemerken sie denn nicht, daß obwohl wir gegen Euch gekämpft haben, wir Briten immer die Größe hatten, den Mut eines Richthofen, Immelmann oder Boelckes zu würdigen? Oder daß nach 1945 etwa Euer Fliegeras Adolf Galland ein naher und persönlicher Freund unseres Asses Standford Tuck wurde?

Ist Ihnen nicht bekannt, daß wir bis heute Erwin Rommel respektieren und achten, weil er unsere Kriegsgefangenen so völlig korrekt behandelt hat? Oder daß wir immer noch Männer bewundern wie Pastor Niemöller, Gördeler, von Stauffenberg und all jene anderen Helden Deutschlands, die an den Fleischerhaken von Plötzensee von der Hand gewisser Schweine in schwarz starben? Können sie nicht akzeptieren, daß Hunderttausende deutscher Konservativer ihr Vaterland liebten und ihm in Anstand und Ehre dienten?

Letzlich sollten diese PC-Hexenjäger wenigstens erkennen, daß es große deutsche, völlig antifaschistische Konservative wie Konrad Adenauer oder Ludwig Erhard waren, die nach 1945 Deutschland aus dem Dreck gezogen und ins Wirtschaftswunder geführt haben?

Und wo waren die PC-Leisetreter während des Kalten Krieges? Die Hälfte von ihnen tanzte nach Moskaus Pfeife, Beschimpfungen gegen die anglo-amerikanischen Streitkräfte ausstoßend, die doch ihre Freiheit sicherten. Ich erinnere mich, denn ich war damals hier.

Ich glaube, hinter der Maske der Political Correctness und der Schmalspur-nur-keine-Abweichungen-Orthodoxie verbirgt sich ein grundlegender Ekel gegen Deutschland. Dies alleine erklärt das endlose Heraufbeschwören der zwölf Alptraumjahre und die Bereitschaft dazu, jeden Deutschen zu verleumden, der es wagt, sein Land zu lieben.

Nun, Herr Ministerpräsident, bitte richten Sie doch Ihrem Parteikollegen Oettinger aus, wenn er wieder einmal den Wunsch hat, Ihre völlig akzeptable Nationalhymne in allen drei Strophen zu singen, so ist er herzlich eingeladen, es hier bei mir in England zu tun. Ich nehme ihm das nicht übel – solange ich mein "God save the Queen" dabei murmeln kann. Und hinterher werden wir dann zusammen ein Bier trinken. So und nicht anders sollte es doch schließlich sein.

Herzliche Grüße von einem Konservativen an den anderen,

Ihr Frederick Forsyth


 
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