© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/00 07. Juli 2000

 
Kriegserlebnis und Kriegsdeutung nach 1945
Zwischenbilanz einer internationalen Konferenz über die literarische Verarbeitung des Zweiten Weltkrieges
Ulrike Imhof

Fand der Zweite Weltkrieg überhaupt statt? Zumindest in der Luft wohl nicht – traut man den Befunden Winfried G. Sebalds, die sich in bundesdeutschen Feuilletons rasch verbreiteten. Sebald hatte die Nachkriegsliteratur in der BRD und der DDR gemustert und ein "Darstellungstabu" registriert, einen "Ausfall des kollektiven Gedächtnisses", da eine so tiefgreifende Erfahrung wie der alliierte Bombenkrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung nach 1945 keinen literarischen Niederschlag gefunden habe. Doch wie jede allzu griffige Formel, so fand auch Sebalds These nach und nach Widerspruch bei denen, die eine größeres Lektürepensum absolviert hatten und auf literarisch verarbeitete Bombennachterfahrungen etwa von Gert Ledig oder des Hamburgers Hans-ErichNossack verweisen konnten.

Die Kontroverse stand noch im Raum als im letzten Herbst im Polnischen Kulturinstitut in Berlin eine internationale Konferenz zum Thema "Schuld und Sühne? Kriegserlebnis und Kriegsdeutung in deustchen Medien der Nachkriegszeit (1945–1961)" stattfand. Zwei dicke Tagungsbände mit Dutzenden der in Berlin gehaltenen Referate sollen noch in diesem Jahr erscheinen. Daß es sich dabei nicht um die üblichen Textgräber handeln dürfte, die selbst bei germanistischen Fachkollegen im Regal zu verstauben pflegen, macht ein jetzt publizierter Überblick deutlich.

Das einstige Flaggschiff der DDR-Germanistik, die Weimarer Beiträge (Heft 2/2000), bringt ein Referat von Helmut Peitsch, das aufhorchen läßt. Der weit links angesiedelte FU-Germanist gibt unter anderem den Eröffnungsvortrag von Dagmar Barnouw (Los Angeles) wieder, die darlegte, daß die westdeutsche Literatur von einer "fast totalen Zensur" der privaten Erinnerung durch eine öffentliche, kollektive Erinnerung beherrscht worden sei: "Identifikation mit den jüdischen Opfern ist die verlangte Sühne der Kollektivschuld", die die Erinnerung ans eigene Opfer zum Schweigen verdamme. Als Träger dieser Gedächtnisdisziplinierung machte Barnouw im Anschluß an die Grußworte der PDS-Abgeordneten Petra Bläss "Angehörige der Intelligenz" aus, die den Kollektivschuldvorwurf internalisiert hätten.

Auf Peitsch machte dieser Vortrag offenbar einen so nachhaltigen Eindruck, daß er Barnouw sogar eine "berechtigte Polemik" gegen Schlagworte wie "Tätervolk" und "Tätergeneration" konzedierte.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen