© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/00 07. Juli 2000

 
Wanderer zwischen den Redaktionen
Thomas Schmid, Ex-Revolutionär und Chefreporter der "Welt", wechselt im Oktober zur "FAZ"
Thorsten Thaler

Karrieren, die besonders rasant verlaufen oder auf verschlungenen Pfaden nach oben führen, werden gern mit dem Attribut "erstaunlich" versehen und entsprechend gewürdigt. Wer zum Beispiel vom professionellen Bücherdieb, Steinewerfer und Taxifahrer zum Außenminister der Republik aufsteigt, darf sich der Aufmerksamkeit der Medien sicher sein. Wer dagegen im Journalismus eine erstaunliche Karriere macht, muß nur im Ausnahmefall damit rechnen, zum Gegenstand des Interesses seiner Kollegen zu werden. So gesehen könnte der Chefreporter der Springer-Zeitung Die Welt, Thomas Schmid (54), nahezu unbemerkt zum 1. Oktober ins politische Ressort der FAZ wechseln.

In Sachsen 1945 geboren, wurde Schmid Ende der sechziger Jahre für ein Jahrzehnt linker Berufsrevolutionär. In Frankfurt am Main, wo er Germanistik, Philosophie und Anglistik studierte, gehörte er 1969 zu den Gründern der "Betriebsprojektgruppe", die sich bald den unzweideutigen Namen "Revolutionärer Kampf" (RK) zulegte. Vorbild war die linksextremistische italienische Gruppe "Lotta Continua" ("Wir kämpfen weiter"), die auch vor militanten Aktionen nicht zurückschreckte. Neben Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit und Matthias Beltz gehörte Schmid zum inneren Zirkel der Revolutionären Kämpfer und avancierte zum "wichtigsten Theoretiker der Gruppe" (Christian Schmidt); zudem war er informeller Kopf der RK-Zeitung Wir wollen alles.

1975 gründete er seine eigene Zeitschrift Autonomie. In der ersten Ausgabe forderte Schmid: "Wir sollten erst einmal entschieden von uns selbst ausgehen, von uns als Bewegung." Selbstbestimmung, Verweigerung und Widerstand – in diesem Dreiklang bewegte sich in den siebziger Jahren das Denken Schmids. Sein theoretisches Konzept nannte er "Politik in erster Person". 1978 hatte Schmid die Nase voll von den Indianerspielen, ging erst nach Hamburg, dann nach Berlin, wo er von 1979 bis 1986 Lektor im Wagenbach-Verlag war. Später arbeitete er unter anderem für die taz, die Zeit, die Süddeutsche und die inzwischen eingestellte Wochenpost und war stellvertretender Chefredakteur der Hamburger Morgenpost. Seit 1998 ist er bei der Welt. So richtig angekommen aber wird er erst im Oktober bei der FAZ sein.


 
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