© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/00 07. Juli 2000

 
Wir wollen keine fabrizierten Atheisten sein
Griechenland: Ein "Religionskrieg" zwischen orthodoxer Kirche und sozialistischer Regierung
Gregor M. Manousakis

Die Mitgliedschaft im Euro-Klub haben die Griechen der wirtschaftspolitischen Härte zu verdanken, mit der Premier Kostas Simitis seit 1996 regiert. Dieser Erfolg wird ihm allgemein anerkannt. Doch Simitis haftete schon immer der Verdacht an, er sei nur ein Technokrat, der von Geschichte und Tradition nichts halte. Er ist jetzt dabei, diesen Verdacht zu bestätigen.

Eine Mehrheit der Griechen bejaht die Aussicht eines geeinten Europas. Doch im Detail scheiden sich die Geister. Die Sorge, ob in einem vereinten Europa die Griechen ihre nationale Identität bewahren und als Volk weiter existieren können, ist weit verbreitet. Das Phänomen ist in der EU nicht neu. Vielmehr pochen alle auf die besonderen Merkmale ihrer nationalen Identität; die Deutschen auf die Stabilität ihrer Währung, die Franzosen auf ihre politische Sendung (und Führungsrolle), die Briten auf ihre Sonderstellung in Europa. Die politisch-psychologische Angst der Völker vor einer integrierten Zukunft ist auch Bestandteil des Einigungsprozesses. Manche EU-Politiker unterschätzen dies und provozieren so Unheil.

In Griechenland äußert sich diese Angst im Streit darum, ob die geplanten neuen Personalausweise die Konfessionszugehörigkeit enthalten sollen oder nicht. Die sozialistische Pasok-Regierung will diesen Hinweis streichen, die Orthodoxe Kirche Griechenlands ficht vehement dagegen. Die Medien, zumal die der Regierung nahestehenden, marginalisieren jedoch diese Sorge der Griechen.

Das Problem ist seit langem bekannt und wurde auch bei einem Treffen zwischen Simitis und dem Erzbischof von Athen und All-Griechenland, Christodoulos, im vergangenen Februar besprochen. Beide Männer kamen damals überein, eine Entscheidung darüber erst nach den Wahlen vom 9. April zu treffen. Danach weigerte sich aber Simitis den Erzbischof zu empfangen, und ließ verlauten, die Frage der Ausweise sei entschieden, denn nach EU-Richtlinien und wegen des Datenschutzes sei die Angabe der Religionszugehörigkeit in den Ausweisen nicht erlaubt. Nach einer Anfrage griechischer EU-Abgeordneter stellte sich heraus, daß das nicht stimmt.

Nach dem Gesetz 1988/91 müssen die griechischen Ausweise neben dem Foto weitere 17 Personalangaben enthalten, darunter die Namen des Vaters, der Mutter und des Ehepartners sowie die Konfenssion. Von diesen Auskünften sind nur die Blutgruppe und die Bereitschaft zur Organspende nicht obligatorisch. Dieses Gesetz ist bis heute in Kraft und die Absicht, die neuen Ausweise anders zu gestalten, ist nicht rechtens. Die Kirche verlangt ein neues Gesetz, was aber die Regierung ablehnt.

Bezeichnend für die derzeitige Lage ist, daß Gerüchte aufgekommen sind, wonach die Regierung die Trennung von Staat und Kirche, die Ersetzung des griechischen Alphabets durch das lateinische, die Streichung der Nationalität von den Ausweisen und ähnliches vorbereite. Die Regierung weist solche Absichten zurück, doch ihren Dementis wird wenig Glauben geschenkt. Vielmehr wird ihr von der Presse vorgeworfen, sie sei dabei, den "Post-Menschen" zu "fabrizieren": einen Konsumenten, der nur einen Namen als alleiniges Kriterium seiner Identität hat.

Nach einer aktuellen Umfrage liegt die Regierung falsch: 61,4 Prozent der Griechen sind für die Aufführung der Konfession im Personalausweis und nur 25,2 Prozent dagegen. Zugleich sprechen sich 50,7 Prozent der Befragten für die Trennung von Staat und Kirche aus. Fast amüsant ist dabei, daß 31,7 Prozent der Wähler der kommunistischen Partei für die Religionsangabe sind; ein Beweis mehr dafür, wie tief die Tradition – sogar Religiosität – bei den nicht gerade frommen Griechen verwurzelt sind.

Die Staatskirche macht mobil: Zehntausende – 97 Prozent der Griechen sind orthodox – trafen sich in den vergangenen Wochen in Saloniki und Athen, um gegen "gottlose Politiker" zu demonstrieren. Christodoulos sprach vom "moralischen Morast" im "Westen". Es sei "ein Skandal, der das Volk zu Atheisten machen soll", empörten sich die Bischöfe. Sie betrachten die Kirche als "die tragende Säule unserer Nation". In der kirchennahen Zeitung Sotir (Der Retter) ist gar von einem "heiligen Krieg" die Rede. Die Weigerung der Regierung, das Parlament über das Personalausweisgesetz entscheiden zu lassen, veranlaßt die orthodoxe Kirche, selbst eine Volksbefragung durch Unterschriftensammlung zu veranstalten. Damit wird ein folgenschwerer Weg beschritten. Es gibt keinen Zweifel, daß die absolute Mehrheit sich im Sinne der Kirche aussprechen wird.

Am Ende dieser Unterschriftensammlung könnten dann der Rücktritt der Regierung und Neuwahlen stehen: Der Verlust der absoluten Pasok-Mehrheit scheint dann möglich. Simitis, den 21 Prozent der Griechen, mehr als jeden anderen, auch nach 2004 als Ministerpräsidenten wünschen, kann so zum Sturz gebracht werden.


 
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