© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    28/00 07. Juli 2000

 
Ein Kanzler spielt mittelalterlicher Fürst
CDU-Affäre: Der Parteispenden-Untersuchungsausschuß scheitert am "System Kohl"
Paul Rosen

Moorhuhn-Spiele können es nicht gewesen sein, die 1998 massenhaft von den Computern im Bonner Kanzleramt gelöscht wurden. Denn die Moorhühner gab es zu Helmut Kohls Amtszeiten noch nicht. Der Einwand des früheren Kanzleramtschefs Friedrich Bohl, man hätte nicht jeden Briefentwurf einer Sekretärin aufheben können, soll offenkundig der Verniedlichung dienen und verschleiern, daß 16 Jahre "System Kohl" zu einer völligen Verquickung von Privatem, Parteipolitischem und Regierungsgeschäften geführt haben. Da mußten wohl, das scheint nach dem Bericht des von Kohls Nachfolger Gerhard Schröder eingesetzten Ermittlers Burkhard Hirsch klar zu sein, massiv Spuren verwischt werden. Ein Untersuchungsausschuß des Bundestages kann das "System Kohl" nicht aufklären. Diese Institution ist das klassische Instrument der Opposition, um eine Regierung anzugreifen. Die Regierungsparteien SPD und Grüne, die im Berliner Parteispenden-Untersuchungsausschuß das Regieren in Bonn untersuchen wollen, werden sich am Gewicht des Altkanzlers verheben.

Der Oggersheimer denkt nicht daran, irgend etwas zur Aufklärung der Parteispenden-Affäre beizutragen. Natürlich hat er geholfen, wie er immer und selbstlos geholfen hat. Er hat Geld gesammelt. Acht Millionen Mark sind zusammengekommen, um den Schmerz der Rückforderungen von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse an die CDU-Parteikasse etwas zu lindern. Und die Tatsache, daß der WAZ-Verleger Erik Schumann, ein SPD-Mitglied, auch 700.000 Mark spendete, um den Schaden begleichen zu helfen, hat der CDU sogar noch unverdiente Sympathien eingebracht. Die SPD mußte Schumann rauswerfen. Aber die Namen der anonymen Spender, die ihm mit "Bimbes" Teile der Parteiarbeit finanziert haben, will Kohl weiter nicht nennen: "Ich denke deshalb auch nicht daran, die Spender der 1,5 bis zwei Millionen Mark heute zu nennen. Sie können sich vorstellen, was ihnen heute geschehen würde", sagte er bei seiner ersten Vernehmung vor dem Spenden-Ausschuß.

Da war es wieder, das Ehrenwort, das der selbsternannte Kanzler der Einheit wieder über das Gesetz stellte. Dabei geht es nicht um das Parteiengesetz, das man mit dem Ordnungswidrigkeitengesetz gleichstellen könnte, über das man selbst auch hin und wieder stolpert. Nein, die Verfassung gebietet den Parteien, über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel Rechenschaft zu geben.

Natürlich wollen SPD und Grüne im Ausschuß nachträglich noch ihr Süppchen kochen, weil sie über 16 Jahre unter diesem Kanzler zu leiden hatten. "Was hier geschieht, ist einer der beschämendsten Vorgänge in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland der letzten Jahre, wenn nicht der letzten Jahrzehnte", beklagte sich Kohl vor dem Ausschuß. Und Johann Michael Möller pflichtete dem Altkanzler in der Welt bei: "Es schlägt die Stunde der Verlierer von 1989." Damit deren Stunde schlagen kann, müssen aber die Gelegenheiten da sein. Hätte sich Kohl an Recht und Gesetz gehalten, wäre der gesamte Ausschuß überflüssig. Doch er hat regiert wie ein mittelalterlicher Fürst. Die innerparteiliche Demokratie war in der CDU weitgehend vor die Hunde gekommen. Jede Kontrolle fiel flach. Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, einer der wenigen, die Kohls Rachefeldzüge gegen Kritiker überstanden hatten, beschrieb den Verlauf von CDU-Vorstandssitzungen einmal sehr treffend: "1. Bericht des Vorsitzenden, 2. Verschiedenes." Und der Publizist Heimo Schwilk klagte bereits 1996 in einem JF-Interview, Kohl liege wie eine Grabplatte auf der Union. Heute wird man hinzufügen müssen, Kohl liege wie eine Grabplatte auf dem ganzen Land.

Doch diese Grabplatte wird kein Ausschuß und kein Staatsanwalt höher heben können, als das bisher gelungen ist. Kohl schweigt und wird weiter schweigen. Bei seiner ersten Venehmung im Ausschuß las er nur eine gut vorbereitete Erklärung vor, mit der er bekannt gab, was ohnehin schon jedermann wußte: Er habe kein Geld für Regierungshandeln genommen. Und Panzer an Saudi-Arabien habe er nur aus außen- und sicherheitspolitischen Gründen liefern lassen. Er habe den Saudis sein Wort gegeben und es gehalten, "wie ich es immer gehalten habe". Da setzte er sich wieder als Ehrenmann in Szene, Ehrenwort für Spender eingeschlossen.

Die lange Litanei von Dementis und Richtigstellungen wirkte im Ausschuß fast ermüdend. Natürlich habe er keine Kenntnisse über eventuelle kriminelle Machenschaften bei der Privatisierung des mitteldeutschen Chemiekombinats Leuna gehabt. Alles andere seien "skandalöse Verdrehungen". Und das Wort galt genauso für eventuelle Verbindungen zum Waffenhändler Schreiber, zu Airbus-Verkäufen nach Asien und der Lieferung von Hubschraubern. Wirklich prima: Der Mann, der erst die Bundesrepublik und dann das wiedervereinigte Land regierte, hat von allen heiklen Angelegenheiten nichts gewußt. Heiner Geißler fand schon vor vielen Jahren dafür das Wort vom Blackout. Dieser Blackout muß Grundprinzip des "Systems Kohl" gewesen sein.

Es bleibt natürlich die Frage, wie es zu den fast lächerlichen Szenen im Ausschuß und auch vorher in der Parteispendenaffäre kommen konnte. Eine Erklärung kann sein, daß Kohl den Machtverlust nie verwunden, sondern sich als Regent auf Lebenszeit gefühlt hat. Hatte nicht selbst der Spiegel, Kohl nie wohlgesonnen, eine Zeitlang vom "ewigen Kanzler" geschrieben? Es mag nur wie eine Randnotiz erscheinen, aber daß Kohl, nachdem man ihn aus dem Bonner Kanzleramt hinauskomplimentiert hatte, noch bis zum Berlin-Umzug im Kanzler-Bungalow wohnen blieb, spricht Bände. Da er in der Regierung nichts mehr zu sagen hatte, herrschte er wenigstens noch in der Partei weiter, als sei nichts geschehen und als sei er nicht zurückgetreten. Heute ist bekannt, wie er sich bis in die Details einmischte. Beschäftigte des Adenauer-Hauses suchten zuerst den Weg zu Kohl und dann zum gewählten Vorsitzenden Wolfgang Schäuble. Erst in der Hochzeit der Spendenaffäre und durch die furchtlos agierende damalige Generalsekretärin Angela Merkel endete das System Kohl: Gezwungenermaßen gab er den Ehrenvorsitz der CDU ab.

Das hinderte ihn nicht an weiteren Einmischungen. Aus dem Terminkalender seiner Sekretärin Juliane Weber ergibt sich, daß er die CDU-Mitglieder des Spendenausschusses bei sich einbestellte, um unterrichtet zu sein. Die SPD vermutet sogar, daß Kohl den CDU-Mitgliedern des Gremiums und besonders dem Obmann Andreas Schmidt Direktiven gegeben hat.

Kohls Verdienste um die Einheit mögen unbestritten sein. Aber die langen Schatten seines Regierungsstils verdunkeln das Werk. Und schlimmer ist: Er schadet der politischen Kultur und damit dem ganzen Land noch immer.

 

Merkel fordert von Kohl mehr Rücksichtnahme auf die CDU

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat Altbundeskanzler Helmut Kohl aufgefordert, vor dem Parteispenden-Untersuchungsausschuß mehr Rücksicht auf seine Partei zu nehmen und in der Öffentlichkeit mehr Zurückhaltung zu üben. Vor Journalisten in Berlin sagte Merkel am Dienstag, es sei verständlich und sein gutes Recht, daß Kohl um seine Ehre und seine historische Leistung kämpfe. Als Parteivorsitzende sagte sie aber auch: "Ich kämpfe genauso um die Zukunft der CDU und um eine gute Ausgangsbasis für die Bundestagswahl 2002."

Merkel sprach von einer "unterschiedlichen Interessenlage" Kohls und der CDU. Der Altkanzler habe mit dem Verschweigen der Spendernamen bei der CDU "auch in die Zukunft hinein eine offene Flanke hinterlassen". Dies sei bei seiner Zeugenaussage letzten Donnerstag wieder deutlich geworden. Angesichts der Interessenunterschiede könnte "ein gewisses Zurücknehmen in der öffentlichen Darstellung notwendig sein", sagte Merkel an die Adresse Kohls. Es sei zu berücksichtigen, daß "die Zeit des aktiven Politikers Helmut Kohl vorbei ist". (JF)


 
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