© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000

 
Wem gehört das Genom?
Der Stifterverband verlieh seinen Wissenschaftspreis im wiedereröffneten Harnack-Haus an den Münchner Patentrechtler Joseph Straus
Janina Ahlers

Die große musikalische Abendgesellschaft, die Plancks im Harnack-Haus gaben, war mir willkommen. Es wurden Forellen serviert, und Schuberts Forellen-Quintett gespielt: Max Planck am Klavier mit dem Diener–Quartett, 2. Geige: Charlotte Hampe (die reizvolle Schwägerin Dieners) und Ursula Richter sang." So erinnerte sich Ella Petersen, Witwe des "repräsentativen" Germanisten Julius Petersen, an eines der vielen Gartenfeste draußen in Dahlem, wo sich in den dreißiger Jahren das elegante und gebildete Berlin gern im Gästehaus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (KWG) traf.

Bald darauf weideten am Potsdamer Platz die Panjepferde, und das Harnack-Haus sank zu einem Offiziersclub im US-Sektor West-Berlins herab. Generationen von FU-Studenten, die abends von der Universitätsbibliothek zur U-Bahn Thielplatz strebten, mußten nun am Aufgelopp der Nancys und Charlies vorbei, die dort auf lauten Grillparties die Freuden ihres Besatzerdaseins auskosteten. Erst 1994 erhielt der rechtmäßige Eigentümer, die in Max-Planck-Gesellschaft (MPG) umbenannte KWG, das prächtige, aber inzwischen arg ramponierte Anwesen zurück. Mit etlichen Millionen aus dem von Bund und Ländern gespeisten MPG-Etat (2000: 2,33 Milliarden Mark) mußten Architektur und Einrichtungen des 1929 eingeweihten Hauses nach historischen Vorgaben detailgetreu instand gesetzt werden, um daraus eine mit modernster Konferenztechnik bewehrte Tagungsstätte zu machen, die an die unterbrochene Tradition anknüpfend wieder zum kulturell-wissenschaftlichen Zentrum aufsteigen soll.

Zumindest ist dies die Vision, die der so umtriebige wie bajuwarisch-charmante MPG-Präsident Hubert Markl den Gästen präsentierte, die sich Mitte voriger Woche an einem schwülen Abend zur festlichen Wiedereröffnung des Harnack-Hauses in Dahlem einfanden. Die MPG, so Markl in seiner Ansprache, strebe an, in diesem Haus regelmäßig Ergebnisse der Wissenschaften und deren oftmals weitreichende Folgen für Staat, Gesellschaft und Wirtschaft der Öffentlichkeit nicht nur zu präsentieren, sondern auch kontrovers und offen mit allen Beteiligten zu diskutieren: "Neue Erkenntnisse der Wissenschaft haben heute mehr denn je politische, rechtliche, medizinische oder selbst militärische Folgen. Wir sollten uns durchaus an die Konferenzen über den Bau einer Atombombe oder einer ‚Uranmaschine‘ hier im Harnack-Haus 1942 erinnern." Von nicht geringerer sozioökonomischer Relevanz und Brisanz seien heute "Fragen zum Beispiel des Umgangs mit neuen Arten der pränatalen Diagnostik, der Xenotransplantation, der Gentechnik in der Nahrungsproduktion oder der Forschung mit pluripotenten Stammzellen" – das seien Fragen, denen sich die deutsche Wissenschaft so wenig wie andere werde entziehen können. Denn eine demokratisch verfaßte Gesellschaft könne sich nur über Information, Dialog, parlamentarische Abstimmung und gesetzliche Regelung darüber Klarheit verschaffen, wie sie von neuen Möglichkeiten, die aus der Wissenschaften hervorgehen, Gebrauch machen wolle.

Um das Harnack-Haus als ein solches Diskussionsforum im vielfach beschworenen "neuen Berlin" zu etablieren, hätte man keinen glücklicheren Auftakt wählen können als die Verleihung des mit 100.000 Mark dotierten Wissenschaftspreises des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft an den Münchener Juristen Joseph Straus. Der Abteilungsleiter am MP-Institut für ausländisches und internationales Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht repräsentiert als "Brückenbauer" zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, wie ihn der Laudator Manfred Erhardt, Berlins Ex-Wissenschaftssenator und jetziger Generalsekretär des Stifterverbandes, nannte, jenen Typus, der inmitten des einst so gerühmten "deutschen Oxford" zukünftig die Kommunikation zwischen Forschung und Gesellschaft vermitteln kann.

Straus, 1938 in Triest geboren, in Slowenien aufgewachsen, in Laibach und München rechtswissenschaftlich ausgebildet, war, wie es sich für einen Mann mit Affinitäten zur Praxis gehört, über ein Jahrzehnt juristischer Mitarbeiter in Rechtsanwaltskanzleien New Yorks und Tel Avivs. Die wissenschaftliche Karriere begann daher relativ spät als Referent am MPI in München, führte über die Habilitation (1986) schließlich dort zur Berufung auf eine C-3 Stelle und zur Honorarprofessur für Patentrecht an der Juristischen Fakultät der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität.

Mit über 200 Veröffentlichungen hat sich Straus seit Mitte der achtziger Jahre als einer der weltweit führenden Forscher auf seinem Fachgebiet profiliert. Seine Arbeiten decken das gesamte Spektrum der Fragen zum Schutz biotechnologischer Erfindungen und der Probleme ab, die bei der Fixierung internationaler Konventionen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums auftreten. Straus wuchs daher zwangsläufig auch in jene Rolle hinein, die man gemeinhin mit sichtlichem Degout als "Berater der Macht" bezeichnet.

Die politische Dimension seiner Arbeit ergibt sich allerdings schon schlagartig aus dem scheinbar simplen Titel einer seiner Aufsätze: "Wem gehört das Genom?" Spätestens seit dem Aufkommen der modernen Informationstechnologien und Biowissenschaften in den siebziger Jahren, so führte Straus in seinem Festvortrag aus, hätten deren Forschungsresultate, die Computersoftware und die rekombinante DNA-Technik, das Patentrecht und die Patentgesetzgeber vor neuartige Probleme gestellt. Seitdem sei auch klar geworden, daß Spannungen und Konflikte im internationalen Handel nur vermieden werden könnten, wenn für den Schutz von Erfindungen und anderen Gegenständen des geistigen Eigentums international harmonisierte und verbindliche Standards geschaffen würden.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Patentsicherung und – verwertung untermauerte Straus mit eindrucksvollen Zahlen. So habe sich die Anzahl von Patentanmeldungen und erteilten Patenten in den USA seit 1990 fast verdoppelt. Im Europäischen Patentamt stieg die Anmeldungszahl allein in einem Jahr von 90.000 (1998) auf 130.000 (1999). Entsprechend sind die Einnahmen aus Linzenzgebühren gestiegen: In den USA von 3 Milliarden (1980) auf 100 Milliarden Dollar (1997). Patente hätten sich also immer stärker zu eigenständigem Handelsgut entwickelt und würden von Unternehmen als Tausch- und Verhandlungsobjekt gepflegt.

Mit diesen Hinweisen hatte Straus zugleich wissenschaftspolitisch heiß umkämpftes Terrain betreten und die aktuell heftig diskutierte Frage nach der zeitlich begrenzten Aneigung der genetischen Information angeschnitten. Ungeachtet der Aufregungen um Craig Venter, den Bill Gates der Biotechnologie und einer der führenden Köpfe bei der DNA-Sequenzierung, erinnerte Straus daran, daß zwischen 1981 und 1995 weltweit fast 1.200 Patente auf humane DNA-Substanzen erteilt worden seien. Die großen US-Biotech-Firmen wie Amgen, Biogen oder Genetics hätten darauf aufbauend im Verbund mit der Pharmaindustrie mittlerweile eine Reihe neuer Therapeutika und Diagnostika entwickelt.

Die Frage scheint also nur zu sein, wer im globalen Wettbewerb der neuen Technologien die Nase vorn hat. Daß die Kontinentaleuropäer dabei hinter den US-Amerikanern, Briten und Japanern bislang weit zurückliegen, dies, so Straus, sei auch die Folge eines antiquierten Patentschutzsystems gewesen, dessen Grundsätze vom Stand der Wissenschaft und Technik bestenfalls der frühen sechziger Jahre stammten. Folge war, daß europäische Unternehmen ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sukzessive nach Übersee verlagert hätten, wo es keine gesetzlichen Patentierungsverbote gebe. Erst die 1998 verabschiedete neue Richtlinie bringe Europa ein gutes Stück näher an die globalen Wettbewerber, da sie im Bereich der DNA- Sequenzen den Bedürfnissen von Wissenschaft und Wirtschaft Rechnung trage, mit spezifischen Patentierungsausschlüssen aber auch ethische Bedenken der mißtrauischen Öffentlichkeit berücksichtige. Straus, der die Greenpeace-Warnungen vor der drohenden, patentgeschützten "Frankenstein-Wissenschaft" als "unseriös" zurückwies, sprach sich eindringlich dafür aus, daß die Bundesregierung die EU-Richtlinie bis Ende Juli in nationales Recht umsetzt.


 
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