© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000

 
Ausgeträumt
Oper: "Eine tote Stadt"
Julia Poser

Erich Wolfgang Korngold wurde 1897 geboren und galt schon früh als musikalisches Wunderkind. Gustav Mahler, Richard Strauss und Alexander von Zemlinsky waren begeistert von den ersten Kompositionen des Zwölfjährigen. Korngolds bekannteste Oper "Die tote Stadt", 1920 zeitgleich in Köln und Hamburg uraufgeführt, geht auf den Roman des Belgiers Rodenbach "Bruges la Morte" zurück; Korngold selbst schrieb das Libreto. Der morbide Charme von Brügge bildet den Hintergrund der schwermütig-düsteren Geschichte um den Dichter Paul, der um seine verstorbene Frau Marie einen wahren Totenkult betreibt. Als Paul eines Tages die lebenslustige Tänzerin Marietta kennenlernt, ist er von ihrer Ähnlichkeit mit seiner Frau fasziniert. Er verliebt sich in dieses Abbild, aber Marietta will nicht nur Ersatz für die Tote sein. Als sie sich am Schal, an der Laute und schließlich am abgeschnittenen Haar Maries vergreift, erwürgt Paul die Tänzerin. Aus diesem Alptraum erwacht, erkennt er, daß er alles nur geträumt hat. Mit seinem Freund verläßt er Brügge, "die Stadt des Todes".

Musikalisch steht Korngolds Oper zwischen spätromantischer Tradition und zeitgenössischen impressionistischen Strömungen. Raffiniert beschreibt der junge Komponist den schwebenden Zustand zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Tod und Leben.

Der Intendant der Kölner Bühnen, Günter Krämer, inszenierte die filmtaugliche Geschichte einer morbiden Obsession. Von einigen interessant geführten Szenen abgesehen, ließ die kühle, nüchtern leere Bühne kein Gefühl aufkommen. Pauls "Kirche des Gewesen" blieb – trotz der Aufstellung von Maries Schuhen, ihren Fotos und einer verhangenen Büste der Toten – beliebig.

Die Partie des Paul gehört zu den schwierigsten für einen Tenor. Der junge Kapstädter Sidwill Hartman bot eine sensationelle Leistung. Ausbrüche von wagnerischem Forte meisterte er mit ebenso großer Leichtigkeit wie zarte, verhaltene Pianotöne; vorzüglich seine deutsche Aussprache und Textverständlichkeit. Vivian Tierny gefiel in der Doppelrolle der Marietta und der Erscheinung der toten Marie durch ihren ausdrucksvollen, klaren Sopran. Donnie Ray Albert als Pauls Freund und Janis Taylor als seine Haushälterin brachten schöne Stimmen aber gänzliche Wortunverständlichkeit. Michael Vier erhielt berechtigten Applaus für die Arie des Pierrot "Mein Sehnen, mein Wähnen". Schade, daß Mariettas hübsches Lied vom Glück ausgerechnet in der offenen Badezimmertür und ohne Laute gesungen wurde. Der Beifall war – frei nach Torbert – "endenwollend".


 
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