© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000

 
Im Würgegriff der Spätzle-Mafia
Parteien II: Auf dem Parteitag der Grünen in Münster haben die Realos endgültig die Macht übernommen
Moritz Schwarz

Die Inszenierung wirkte noch längst
nicht so professionell wie bei den beiden großen Parteien CDU und SPD. Aber das Bemühen der Grünen, zu einer Partei der Neuen Mitte zu werden, war auf ihrem Parteitag in Münster schon deutlich zu spüren. Anders als auf dem Bielefelder Kosovo-Sonderparteitag im vergangenen Jahr gab es kein Tohuwabohu, angekündigte Störaktionen blieben aus, und auch die Sicherheitsbeamten der drei grünen Minister konnten sich entspannt zurücklehnen.

So sehr sich die Grünen allerdings der einstmals von ihnen verachteten Mitte schamlos angepaßt haben, so sehr haben sie diese neue Mitte auch geprägt. Zwar kämpft die Bundeswehr, aber sie ficht für andere Ziele als sich das die Altvorderen des Grundgesetzes noch gedacht haben. Zwar predigen nun auch die grünen Basisdemokraten den bürgerfernen EU-Überstaat, aber sie funktionalisieren ihn zu ihrem Kommunismus-Ersatz aus sozialistischen Traumtagen.

Rudolf Walther, einer der Autoren des "Schwarzbuch des Kommunismus" analysierte in der taz: "Die Führungsriege hat nicht erkannt, daß es im privaten wie im politischen Leben Grenzen der Selbstverleugnung gibt". Und die Zeit kommentierte: "Der genügsamste Partner, seit es Koalitionen gibt". Immerhin haben sie damit auch Politikfähigkeit bewiesen, so stimmte der Parteitag mit satter Mehrheit dem umstrittenen Kompromiß zum längst fälligen Atomaustieg Deutschlands zu. Parteisprecherin Antje Radcke hatte zuvor klar Front gemacht gegen die zäh von Jürgen Trittin und seine Mannen ausgehandelte Konsensregelung auf 32 Jahre. Zwar glostet nun auch noch in Zukunft Atomstrom aus unseren Steckdosen, doch erstmals hat damit der konservative Gedanke einer Verantwortung für die Nachkommen gegen die linke CDU/CSU-Politik realpolitische Gestalt angenommen.

Antje Radcke zog die Konsequenz aus der Niederlage und stand für eine erneute Nominierung zur Parteisprecherin nicht mehr zur Verfügung. Amtskollegin Gunda Röstel hatte zuvor schon ihr Desinteresse an einer weiteren Amtszeit bekundet. Erwartungsgemäß wurden so der baden-württembergische Fritz Kuhn (73,7 Prozent) und die Berlinerin Renate Künast (82,6 Prozent) neue Vorsitzende der Partei. Damit erhält der Realo-Flügel um Joschka Fischer, der als frischgebackenes Mitglied des Parteirates (68,7 Prozent) erstmals ein Parteiamt innehat, entscheidend Verstärkung, gilt doch vor allem Schwabe Kuhn als Realo-Urgestein. Auch Reinhard Bütikofer, ebenfalls aus dem "Ländle", schaffte die Wiederwahl zum Bundesgeschäftsführer. Bei soviel Deutsch-Südwest machte schließlich das Wort von der "Spätzle-Mafia" die Runde.

Die Frage bleibt, ob es durch Realo-Übergewicht und Atomkompromiß langfristig zu einer Abspaltung des linken Flügels kommt. Joschka Fischer gab indes die Marschrichtung vor: Zu den grünen Themen der Zukunft gehörten vor allem alternative Energien, die Gentechnik und die Integration von Ausländern. Grüne Hausthemen ohne Streitpotential.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen