© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000

 
PRO&CONTRA
Soziales Pflichtjahr einführen?
Heike Schulze / Daniel Bahr

Unter Berücksichtigung der verschiedenen sozialpolitischen Aspekte und der demographischen Entwicklung, würde in Deutschland die Einführung eines Pflichtjahres für Jugendliche eine sozialpädagogische Bereicherung für die individuelle Entwicklung jedes Einzelnen sein. Dabei soll den Jugendlichen die Möglichkeit zur Wahl gegeben werden, sich für den Einsatz im Sozial-, Pflege-, oder betreuerischen Dienst, im Umwelt- oder Naturschutz oder ähnlichen bedarfsorientierten Bereichen entscheiden zu können.

In unserer heutigen Gesellschaft verlernen Jugendliche immer mehr, soziale Kontakte zu anderen sozialen Gruppen aufzubauen und zu pflegen. Oft haben sie Berührungsängste gegenüber Alten, Kranken, Behinderten, sozial Schwachen und Kindern. Im Rahmen eines Pflichtjahres würden Jugendliche lernen, persönliche soziale Mitverantwortung durch und mit Hilfsbedürftigen und Schwachen zu tragen und umzusetzen. Dadurch erlangen Hilfsbereitschaft, Solidarität und Mitgefühl eine neue, bewußtere Bedeutung. Diese für Gesellschaft und Volk so unentbehrlichen Verhaltensweisen können nur auf praktischem Wege erlernt werden. Ein soziales Pflichtjahr vor der Ausbildung oder dem Studium eröffnet Jugendlichen die Möglichkeit Berufsbilder kennenzulernen, zu erleben und sich für die eigene berufliche Zukunft eine bessere Orientierung zu verschaffen. Auch brächte die Einführung eines Pflichtjahres angesichts der katastrophalen Situation auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt den vielen Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz Milderung in ihrer darausfolgenden zunehmenden Perspektivlosigkeit und Frustration. Ähnliches gilt für den derzeitigen Pflegenotstand in Krankenhäusern und Pflegeheimen sowie für sozial arbeitende Vereine und Verbände, deren Wirkungskreis durch Mittelkürzungen stetig eingeengt wird. Letztlich gilt es, nicht mittelfristige, sondern langfristige Alternativen herbeizuführen.

 

Heike Schulze ist Sozialarbeiterin und Familienpolitikerin der Freiheitlichen Deutschen Volkspartei (FDVP) in Sachsen-Anhalt.

 

 

Die Wehrpflicht geht in den Ruhestand. Deutschland diskutierte heiß. Die vielen Günde für eine Aussetzung und wenigen Gründe dagegen sind ausgetauscht. Doch nun erscheinen neue Gewitter am Himmel. Die Wohlfahrtsverbände machen mobil für ein soziales Pflichtjahr. Die, die jahrelang von der günstigen Arbeitskraft der Zivildienstleistenden profitierten und ihre Leistungen weit unter dem Marktpreis anboten, sehen ein wichtiges wirtschaftliches Standbein wanken. Fadenscheinige Gründe werden für ein soziales Pflichtjahr vorgeschoben: Von gesellschaftlichem Engagement reden die einen - von der Übernahme sozialer Verantwortung die anderen. Hardliner sehen gar den Sozialstaat in Gefahr. Was ist ein soziales Pflichtjahr wirklich? Es ist die Ausbeutung der Jugend, die Ausbeutung der Gesellschaft: Junge Menschen werden ein Jahr später auf den Arbeitsmarkt kommen und international weniger konkurrenzfähig sein. Sie werden ein Jahr später beginnen, in die Sozial- und Steuerkassen, die ohnehin leer sind, einzuzahlen. Wer wird dies finanzieren? Der Staat, die Gesellschaft, jeder Bürger. Denn: Es wird nicht nur weniger Einnahmen, es wird durch die Besoldung auch höhere Ausgaben geben. Vorgeschoben wird die Bedürftigkeit alter und kranker Menschen. Sicher, diese Menschen benötigen unsere Hilfe. Aber nicht einseitig auf Kosten der Jugend.

Ein Ausstattung der betroffenen Einrichtungen mit "normalen" Arbeitskräften wäre richtiger. Sicher, die Kosten würden steigen. Aber: Es würden lediglich die tatsächlichen, nicht mittels Pflichtdienstleistenden subventionierten Preise verlangt werden müssen. Das schafft Transparenz und rückt so manchem Dauerkurgast ins Bewußtsein, welche Leistungen er in Anspruch nimmt. Es entstünde Transparenz. Was wird sich dann bei einem Wegfall des Pflichtdienstes ändern? Die Jugend wird international konkurrenzfähig, Preise für soziale Dienste werde marktgerecht, neue Arbeitsplätze werden entstehen und die Sozial- und Steuerkassen werden entlastet.

 

Daniel Bahr ist Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen und Mitglied im Bundesvorstand der FDP.


 
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