© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    27/00 30. Juni 2000

 
Ochs’ vorm neuen Tor
von Richard Stoltz

Wirklich, wir leben in finsteren Zeiten: Zu Ehren der (übrigens noch keineswegs ganz zuverlässigen) Sequenzierung des menschlichen Erb-Codes hat jetzt die FAZ ihr gesamtes Feuilleton, sechs volle Seiten lang, mit nichts als in Vierergruppen angeordneten Großbuchstaben gefüllt. Sechs große Zeitungsseiten lang Großbuchstaben, immer nur Großbuchstaben, mit denen kein Leser etwas anfangen kann, vor denen man nur mit vor Staunen weit aufgerissenen Nasenlöchern verharren kann. Der FAZ-Leser als Ochse vor dem neuen Tor. Man faßt es nicht.

Dennoch sei die Frage erlaubt: Was wollten uns die Herren damit sagen? Wollten sie uns zur Ehrfurcht ermahnen vor Gottes rätselhafter Schöpfung, vor dem "Buch des Lebens", vor dem man im Staub liegen muß, auch wenn man kein einziges Wort daraus lesen, geschweige denn verstehen kann? Oder wollten sie ihren Abonnenten suggerieren, daß sie, die Zeitungsmacher, das Buch durchaus schon lesen und verstehen können und daß man sich nur ihrer weisen Führung anzuvertrauen braucht, um selber wissend zu werden?

Die harmloseste Erklärung wäre noch: Sie wollten einen Scherz mit uns machen (und dadurch ins Gerede kommen). Das könnte man dann gerade noch durchgehen lassen. Denn wie sagt schon Goethe? "Wenn der Scherz am besten ist, soll man aufhören", will sagen: soll man seinen Laden dichtmachen.


 
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